Bozen – Die Arbeitnehmer:innen von heute sind viel wechselbereiter, als sie es noch vor einigen Jahren und Jahrzehnten waren. Dazu gibt es Dutzende Studien, etwa von forsa, Stepstone oder Ernst & Young. Die Gründe für die höhere Wechselbereitschaft sind viele: Das neue Unternehmen bietet mehr Gehalt, flexiblere Arbeitszeiteinteilung oder abwechslungsreichere Tätigkeiten. Einer Firma über Jahrzehnte oder sogar ein ganzes Arbeitsleben lang treu zu bleiben, können sich immer weniger Menschen vorstellen.
Trotzdem gibt es sie noch: Mitarbeitende, die jahrzehntelang für dasselbe Unternehmen arbeiten. Im Herbst hat die Handelskammer 51 Personen ausgezeichnet, die zwischen 36 und 50 Jahre bei einer Firma gearbeitet haben.
Vier von ihnen sind Stefan Fink, Brigitte Silginer, Florian Webhofer und Erika Kob. Sie alle sind bzw. waren mindestens 40 Jahre für ihren Arbeitgeber tätig. Insgesamt kommen sie auf 173 Jahre Betriebszugehörigkeit. Die SWZ hat sich mit ihnen getroffen und sie gefragt: Was hat sie über all diese Zeit bewogen, zu bleiben? Und würden sie es heute noch einmal gleich machen?
Stefan Fink: „Mir war nie langweilig.“
Nur drei Tage nach der Matura, am 1. August 1978, trat Stefan Fink aus Lengmoos seinen Job bei der Raiffeisenkasse Ritten an – und blieb der Bank bis zu seiner Pensionierung im Dezember 2024 treu. 47 Dienstjahre kann er vorweisen. Heute arbeitet er noch an ein bis zwei Tagen pro Woche, übernimmt Dienstfahrten, hilft aus, wenn notwendig.

An seine ersten Arbeitstage erinnert sich der 66-Jährige gut. Er beginnt zu erzählen, seine Augen leuchten. „Das sind schöne Erinnerungen“, sagt er. Als er seine Arbeit aufnahm, litt die Wirtschaft gerade unter einem Phänomen, das vielen heute nicht mehr bekannt ist: Münzmangel. Als Ersatz für Münzen gaben die Unternehmen haufenweise Minischecks aus, zu 50 oder 100 Lire. „Ich hatte in der Bank die Aufgabe, diese zu sortieren und zu bündeln“, erinnert sich Stefan Fink.
Einen Tipp würde Stefan Fink seinem jüngeren Ich geben, wenn er könnte.
Im Laufe seiner Karriere wechselte er öfter die Abteilung, übernahm neue Aufgaben und Verantwortungsbereiche. „Das hat meine Arbeit immer sehr spannend gemacht. Mir war nie langweilig“, sagt Stefan Fink. Auch heute noch beobachtet er, dass die Möglichkeit, sich zu entwickeln, von seinen Kolleginnen und Kollegen sehr geschätzt wird. Aber, sagt er, eine interessante Tätigkeit sei nicht genug, um jemanden zu binden. „Es muss rundum passen.“ Für Stefan Fink war neben den Entwicklungsmöglichkeiten das wertschätzende Arbeitsklima ein wichtiger Grund, dass er Jobangebote anderer Banken wiederholt ablehnte. Es sei wichtig, die Mitarbeitenden spüren zu lassen, dass sie gebraucht werden. Und noch etwas habe zu seiner langjährigen Treue beigetragen, ergänzt Fink: „In nur zehn Minuten war ich zu Fuß von zu Hause im Büro.“
Ob er unter den heutigen Umständen ebenfalls fast 50 Jahre bei einem Arbeitgeber bleiben würde, weiß der Rittner nicht. Die Zeiten seien anders. Aber einen Tipp würde er seinem jüngeren Ich geben, wenn er könnte: „Man muss nicht alles selbst erledigen. Wenn man Mitarbeiter einbindet und ihnen Wertschätzung und Verantwortung gibt, dann läuft es besser – und man hat weniger Stress.“
Brigitte Silginer: „Das Umfeld muss passen.“

Mit ihren ersten Arbeitstagen vor 40 Jahren bei Rubner Holzbau in Brixen verbindet Brigitte Silginer vor allem ein Gefühl: Aufregung. „Meine Kollegin, die damals mit mir am Empfang arbeitete, hat mir ein paar Dinge gezeigt. Dann war sie auch schon im Urlaub.“ Brigitte Silginer hatte deshalb an ihren ersten Arbeitstagen keine Büronachbarin, die sie bei Bedarf fragen konnte, die ihr zeigen konnte, wie die Prozesse im Unternehmen liefen. „Das war am Anfang schon ein Schock“, erinnert sie sich. Noch etwas bereitete ihr damals Bauchschmerzen: das Italienischsprechen am Telefon. Vor ihrem Job in Brixen habe sie die zweite Landessprache kaum verwendet. „Aber ich habe es über die Jahre gelernt. Heute ist es kein Problem mehr“, sagt Silginer.
„Ich habe immer wieder überlegt, mir einen Job zu suchen, der näher an meinem Wohnort ist. Aber ich habe mich stets mit allen gut verstanden. Das ist auch der Grund, weshalb ich noch hier bin“
Fast 40 Jahre sind vergangen, seit sie im Mai 1985 ihren Job antrat. 40 Jahre, in denen sich viel verändert hat. „Anfangs hat das Telefon ständig geklingelt“, erinnert sich die 59-Jährige. Heute läute das Telefon nur noch selten. Ein Großteil der Kommunikation laufe mittlerweile über Mails und Handys, genauso wie über zertifizierte E-Mails (PEC). Die PEC sei eine große Entlastung, sagt Silginer. „Anfangs mussten wir taschenweise Werbeprospekte, Einschreiben oder Mahnungen per Post verschicken.“ Die PEC hat das vereinfacht.
Weniger angenehm sei hingegen der Verkehr auf dem Weg von St. Sigmund (Kiens), ihrem Heimatdorf, zur Arbeit. Über die Jahre habe die Zeit im Auto zugenommen. „Ich habe deshalb immer mal wieder überlegt, mir einen Job zu suchen, der näher an meinem Wohnort ist. Aber ich habe mich stets mit allen gut verstanden. Das ist auch der Grund, weshalb ich noch hier bin“, sagt Brigitte Silginer. Sie ist überzeugt: Wenn das Umfeld nicht passt, dann fällt es leicht, einen Arbeitgeber zu verlassen.
Ende 2026 wird sich die Pustererin in die Rente verabschieden, mehr Freizeit haben. Und vielleicht auch ein bisschen Zeit mit ihrer ehemaligen Arbeitskollegin verbringen, die sie an ihren ersten Arbeitstagen ins kalte Wasser warf. Denn sie wurde über die Jahre zu einer Freundin.
Florian Webhofer: „Die Projekte sind spannend.“

„Ich bin ein Babyboomer. Nach der Schule war es schwierig, eine fixe Arbeitsstelle zu finden“, sagt Florian Webhofer, Jahrgang 1961. Er hatte Glück: 1983 stellte ihn das Unternehmen Rubner Holzbau ein. Als junger Bub sei er im Unternehmen von den älteren Angestellten umhergejagt worden, habe oft „die Drecksarbeiten“ erledigen müssen. Als Florian Webhofer darüber spricht, wirkt er nicht verbittert, im Gegenteil. Es klingt, als erinnere er sich gerne zurück. Nach und nach stieg er auf, wurde Schichtleiter und für andere verantwortlich. Heute arbeitet er in der Arbeitsvorbereitung für die Produktion.
Vieles habe sich mit der Zeit verändert, sagt er. Er erinnert sich noch daran, wie er und seine Kolleginnen und Kollegen die Arbeitsstunden auf Kartonkärtchen stempelten. Wie er Zeichnungen, die er mit Hand gefertigt hatte, per Post verschickte. Oder an die „Auftragskartln“: „Das waren gelbe Karten. Oben stand die Auftragsnummer und darunter trug man mit Hand alle Spesen eines Auftrags ein.“
„Wir lassen dich nicht gehen. Ein paar Jährchen gehen schon noch.“
Im Laufe seiner Karriere habe er viele tolle Projekte realisieren dürfen. Webhofer: „Wir haben die Eishallen in Brixen und Bozen gebaut und auch den Blumenmarkt in Sanremo. Solche Projekte umzusetzen, gefällt mir.“ Noch etwas schätzt er an seiner Arbeitsstelle: Als Klausner hat er einen kurzen Weg zur Arbeit. Regelmäßig bewältigt er ihn mit dem Fahrrad, zu Mittag radelt er oft heim zu seiner Familie. Auch dieser Umstand habe ihn an seinen Arbeitgeber gebunden. Wäre er heute einer der jungen Angestellten im Unternehmen, würde er wohl nicht so lange in der Firma bleiben, meint Webhofer. „Aber für mich hat es immer gepasst.“
Nach 42 Jahren bei Rubner Holzbau wird Florian Webhofer heuer in Rente gehen. Zwei seiner Arbeitskollegen, die in der Cafeteria des Unternehmens gerade am Kaffeeautomaten stehen, drehen sich zu ihm um, als er davon spricht. „Wir lassen dich nicht gehen. Ein paar Jährchen gehen schon noch“, scherzen sie. Florian Webhofer lächelt. Er freut sich darauf, bald mehr Zeit für seine Familie und seine Hobbys zu haben. Aufs Mountainbiken und Skitourengehen.
Erika Kob: „Die Arbeitszeitflexibilität war eine große Hilfe.“

Es ist ein Donnerstagnachmittag im Februar, als die SWZ Erika Kob in ihrem Büro in der Wolkensteingasse in Bozen besucht. Die Völserin arbeitet schon ihr ganzes Arbeitsleben lang für Athesia. 1980, mit gerade einmal 17 Jahren, trat sie ihren Job in der Zentralbuchhaltung des Unternehmens an. Damals befand sich ihr Büro unter den Lauben, später wurde es verlegt in die Museumsstraße, Weggensteinstraße und dann an die jetzige Adresse in der Wolkensteingasse.
Eigentlich könnte Erika Kob schon in Rente sein. „Aber ich will nicht nix tun“, sagt sie.
„In den ersten Jahren trugen wir im Büro noch einen Schurz“, erinnert sich Erika Kob. Eine Schneiderin habe die Maße aller Mitarbeiterinnen genommen, dann wurde der Stoff ausgesucht. Auch sonst habe sich viel verändert. Die Computer, die kurz vor ihrem Arbeitsantritt angekauft wurden, waren zunächst riesig. „Die waren wie große Kästen“, sagt Erika Kob. Viel wurde händisch gemacht, viel auf Papier. Zettel jeglicher Art seien in Ordnern aufbewahrt worden. Nach und nach wurden die Computer schmaler, die Zettel weniger. Neue Programme, etwa SAP, kamen hinzu. „Ich hatte immer wieder die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen.“
Als Erika Kob Mutter wurde, stellte sie auf Teilzeit um. Eine Weile arbeitete sie an Vormittagen, später nur an Nachmittagen, je nachdem, wie es organisatorisch besser passte. Dieses Entgegenkommen und die Flexibilität des Unternehmens schätzt sie bis heute. „Das war für mich eine große Hilfe.“ Auch das Arbeitsklima sei immer gut gewesen. „Man ist viel bei der Arbeit. Man muss sich wohlfühlen“, unterstreicht sie.
Eigentlich könnte Erika Kob schon in Rente sein. „Aber ich will nicht nix tun“, sagt sie. Deshalb arbeitet sie noch an zweieinhalb Tagen pro Woche. Dass ihre Töchter auch so lange bei einem Unternehmen bleiben werden, wie sie es getan hat, glaubt sie nicht. Nicht, weil ihnen die Arbeit nicht Spaß mache, sondern weil es heute eben anders sei.
Erika Kob erfüllt es mit Stolz, ein Leben lang für ein Unternehmen gearbeitet zu haben. Das ist nicht zu überhören. Sie erzählt von der Verleihungszeremonie in der Handelskammer im Herbst. An der Wand ihres Büros hängt die Auszeichnung für ihre Treue. In einem weißen Rahmen.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Es gibt sie noch