Bozen – Eva Ogriseg ist die Ansprechpartnerin in Südtirol, wenn es um private Investments in Start-ups geht. Als CEO des Business-Angel-Netzwerks tba network wählt sie unter Hunderten Start-ups die vielversprechendsten aus und bringt diese mit den Mitgliedern des Vereins zusammen.
Das tba network wurde 2018 von den Südtiroler Unternehmern Harald Oberrauch, Gert Gremes und Alexander Pichler gemeinsam mit 17 Gleichgesinnten gegründet. Mittlerweile zählt es 34 Mitglieder – allesamt Unternehmer:innen aus Nord- und Südtirol, die sich regelmäßig austauschen und bereit sind, in vielversprechende junge Ideen zu investieren. Immer wieder werden auch Events für Gründer:innen organisiert, wie etwa das „Founders BBQ“ am 23. Juli in Brixen.
Eva Ogriseg ist seit 2019 CEO von tba network. Jährlich ist sie mit 700 bis 800 Start-ups konfrontiert, aus dem deutschsprachigen Raum sowie Italien. Einige, die sich bei Ogriseg melden, möchten sich nur austauschen. Die meisten hingegen hoffen auf ein Investment. Für Ogriseg heißt das: Sie muss aussortieren.
„Im Idealfall bekomme ich ein sauberes, vollständiges Pitchdeck mit Informationen zum Problem, das das Start-up lösen will, zum Lösungsvorschlag, zur Businessidee, dem Markt und Wettbewerb usw..“ Dann komme es zu einem ersten Call, in dem sich beide Seiten kennenlernen. Verläuft dieser erfolgreich, bekommt das Start-up die Chance, die eigene Idee online den tba-Mitgliedern vorzustellen. Im Anschluss an den Pitch gebe es im Rahmen einer Due Diligence weiterführende Gespräche, Analysen und diverse Feedbackschleifen. „Jeder kann selbst entscheiden, ob und wie viel er investiert. Meist ist es aber so: Wenn sich ein Investor findet, schließen sich drei oder vier weitere an“, sagt Eva Ogriseg. In einigen Fällen investiert auch eine gemeinsame Holding der tba-Mitglieder.
SWZ: Frau Ogriseg, Sie schauen sich im Jahr 700 oder 800 Start-ups an. Von diesen suchen sie 15 bis 20 aus, die ihre Idee den tba-Mitgliedern pitchen dürfen. Wie sortieren Sie aus?
Eva Ogriseg: Am Ende ist es natürlich Bauchgefühl, aber das Bauchgefühl entwickelt man, wenn man sich so viele Start-ups angesehen hat. Das Allerwichtigste ist: Wer ist das Team? Wenn man früh wie wir in ein Start-up investiert, kann es gut sein, dass man es sechs, sieben oder acht Jahre lang begleitet. Deshalb ist es wichtig, dass man mit den Personen auch auf persönlicher Ebene auf einer Wellenlänge ist und dass man sich gerne miteinander austauscht. Die Investoren sind ja auch Mentoren.
„Die Frage nach dem Warum ist sehr wichtig. Sind das Leute, die einfach ein Unternehmen gründen wollten, oder sind das Leute, die wirklich für das Problem brennen?“
Was schauen Sie sich nach dem Team an?
Das Warum. Sind das Leute, die einfach ein Unternehmen gründen wollten, oder sind das Leute, die wirklich für das Problem brennen? Einer, der an einem Medizinprodukt tüftelt, weil seine Schwester krank ist, hat natürlich eine viel stärkere Motivation als jemand, der sich die Idee einfach so ausgedacht hat. Und dann versuche ich noch herauszufinden, was diese Personen für Eigenschaften haben. Dabei achte ich vor allem auf die Extrovertiertheit. Denn nur im Kämmerlein sitzen und an der Idee basteln, ist nicht genug. Schließlich muss man das Produkt auch verkaufen können – egal ob an einen Investor oder Kunden.
Welche Eigenschaften sollten in einem Gründerteam noch vorhanden sein?
Offenheit für Feedback – was nicht heißt, dass wir dem Start-up diktieren wollen, was es tun und lassen soll, aber die Gründer sollten schon bereit sein, Rückmeldungen anzunehmen. Beim Team schaue ich mir außerdem an, warum gerade diese Leute zusammenarbeiten: Ist das eine Zweckgemeinschaft? Oder eine Liebesheirat? Die Teamdynamik ist wichtig. Es braucht jemanden, der das Zepter in der Hand hat, die CEO-Rolle übernimmt und die Verantwortung für das große Ganze hat. Aber er braucht auch gleichberechtigte Partner, denn einer alleine kann nie alle Kompetenzen abdecken. Deswegen vermeiden wir es auch in der Regel in „Solo-Gründer“ zu investieren.
Was sind Warnsignale?
Da gibt es sehr viele. Etwa wenn ein Start-up das Problem, das es lösen möchte, nicht ganz verstanden hat. Ich frage dann immer: Was genau ist das Problem? Wer hat das Problem? Wie groß ist es und wie viele haben es? Und ist dieses Problem auch wirklich groß genug, dass jemand bereit ist, Geld für die Lösung auszugeben?
Was sind weitere Red Flags?
Viele Start-ups denken viel zu klein. Sie denken in einem zu kleinen Kosmos und fragen sich nicht, wie sie ein wirklich großes Business bauen können. Das ist gerade bei uns in Südtirol so. Start-ups wollen dann beispielsweise ein Problem für die Südtiroler Bergbauern lösen. Man kann durchaus ein lokal erfolgreiches Unternehmen aufbauen – aber das macht es noch nicht zu einem skalierbaren Start-up und einem interessanten Investment Case, der im Idealfall irgendwann Hunderte von Mitarbeitern hat und Millionenumsätze generiert.
Wird der Begriff „Start-up“ mittlerweile inflationär gebraucht?
Ja, auf jeden Fall. Ein Start-up muss ein technologisches Alleinstellungsmerkmal mitbringen. Es muss eine Komponente haben, die sonst niemand hat. Und es muss skalierbar sein. Es muss – zumindest in der Theorie, in der Praxis sieht es oft anders aus – in der Lage sein, exponentiell zu wachsen. Ein Hardwareprodukt, das immer X kostet und das immer für Y verkauft wird, ist nicht skalierbar. Wenn ein Hardwareprodukt hingegen eine Software nutzt, die skaliert werden kann, dann ist es schon etwas anderes.
Software-Start-ups sind dementsprechend für Investoren wahrscheinlich attraktiver als Hardware-Start-ups.
Ja. Wir haben zwar auch in Hardware-Start-ups investiert, aber da ist immer eine Softwarekomponente dabei.
„Excel kann z. B. genauso ein Konkurrent für eine spezielle Software-Lösung sein. Man muss sich immer die Alternativen anschauen. Wenn diese reichen, um das Problem zu lösen, dann ist das Problem nicht groß genug oder die Lösung nicht gut genug.“
Wann ist der richtige Moment für ein Start-up, sich um Finanzmittel zu bemühen?
Am besten so früh wie möglich. Oder genauer gesagt: Start-ups sollten sich von Anfang an ein Netzwerk aufbauen und frühzeitig den Kontakt zu potenziellen Investorinnen und Investoren suchen, selbst wenn sie noch gar kein Investment benötigen. Ich sage den Start-ups immer: „Erzählt allen so früh wie möglich von eurem Vorhaben, sowohl potenziellen Kunden als auch Investoren.“ Oft entgegnen sie dann: „Aber was, wenn uns jemand die Idee stiehlt?“ Meine Antwort darauf: „Wenn sich eure Idee so leicht kopieren lässt, war sie vielleicht ohnehin nicht stark genug.“ Geheimhaltungsklauseln sind für uns deshalb auch eine riesige Red Flag. Ich empfehle Gründern außerdem, sich mit anderen Start-ups auszutauschen, z. B. beim Noi Techpark oder bei unserem Founders’ BBQ. Sie können unglaublich viel voneinander lernen. Und im Gespräch mit anderen merkt man schnell, welche Fragen immer wieder gestellt werden. Jetzt fällt mir noch ein Warnzeichen ein.
Bitte.
Die Aussage „Wir haben keine Konkurrenz“. Excel kann z. B. genauso ein Konkurrent für eine spezielle Software-Lösung sein. Man muss sich immer die Alternativen anschauen. Wenn diese reichen, um das Problem zu lösen, dann ist das Problem nicht groß genug oder die Lösung nicht gut genug. Was wir noch raten: Die Gründerinnen und Gründer sollten bereit sein, ihre Jobs aufzugeben. Denn wenn Investoren ihnen Geld geben, wollen diese sich darauf verlassen können, dass die Gründer nicht nur abends, wenn sie müde von der Arbeit nach Hause kommen, an der Businessidee feilen. Es braucht auf allen Seiten die Bereitschaft, ein gewisses Risiko einzugehen.
Stellen wir uns vor: Ein Start-up meistert beim tba network die erste Auswahlrunde und bekommt die Gelegenheit, vor den Investoren zu pitchen. Wie läuft das ab?
Ich probe die Pitches vorher immer mit den Start-ups. Im Call haben sie dann fünf Minuten Zeit, um ihre Idee auf den Punkt zu bringen. Manche schaffen das besser als andere. Deshalb mein Rat: Übt euren Pitch! Schaut euch andere Pitches an, schaut euch etwas ab. Dann stellen die Investoren Fragen. Erst in den Wochen darauf entscheidet sich, ob jemand wirklich investiert.
„Die Einzelinvestments liegen zwischen 10.000 und 50.000 Euro. Gemeinsam versuchen wir aber, bei den Investments die Schwelle von 100.000 Euro zu erreichen.“
Was braucht es für ein erfolgreiches Match?
Das kann man nicht eindeutig beantworten. Das Team muss überzeugen und das Thema ansprechend sein. Vielleicht kennt jemand das Problem sogar aus dem eigenen Business. Wenn man Bezug zur Sache hat, gibt man lieber Geld dafür.
Wie oft hat das tba network schon ein Investment vermittelt? Verraten Sie auch eine Summe?
Wir haben in etwa zwei Dutzend Start-ups investiert. Es gibt andere Netzwerke, die deutlich größer sind, die Hunderte Mitglieder haben. Da findet man natürlich leichter jemanden, der bereit ist, zu investieren. Bei uns ist das deutlich schwieriger. Dafür legen wir dann in der weiteren Zusammenarbeit Wert auf einen engen und persönlichen Austausch.
Und die Summe?
Die Einzelinvestments liegen zwischen 10.000 und 50.000 Euro. Gemeinsam versuchen wir aber, bei den Investments die Schwelle von 100.000 Euro zu erreichen. Die Gesamtsumme liegt dann meistens zwischen 100.000 bis 500.000 Euro. Manchmal muss man in einem zweiten Schritt noch einmal Geld investieren. Bei zwei Start-ups haben wir schon je rund eine Million Euro investiert. Insgesamt sind über die Jahre circa fünf Millionen Euro in die Hand genommen worden.
Welches ist das erfolgreichste Start-up im Portfolio des Netzwerks?
Eines vorweg: Bei Start-ups braucht man einen langen Atem. Den Erfolg messen kann man erst, wenn es einen Exit gibt, also wenn das Start-up an die Börse geht oder verkauft wird. Vorher gibt es die Aufwertung nur auf dem Papier. Eines der erfolgreichsten Beispiele ist Xund, ein Digital-Health-Unternehmen aus Wien. Wir haben in das Start-up vor fünf Jahren investiert, als es nur aus einem Team und einer Idee bestand. Heute ist das Unternehmen ein Vielfaches wert – ein klarer Beweis dafür, dass sich Geduld lohnen kann.
Gibt es ein Start-up, von dem Sie heute sagen, da hätten Sie lieber die Finger davon lassen sollen?
Ja, da gibt es mehrere. Namen möchte ich keine nennen. Aber auch das gehört zum Learning-Prozess dazu. Manche sind zu langsam gewachsen, bei manchen hat sich das Team aufgelöst oder ist nur eine Person übrig geblieben.
Sprechen wir noch über die Kapitalgeber. Wie finanzierungsfreudig sind Südtirols Unternehmer?
Wie in jedem Verein gibt es auch bei uns Mitglieder, die sich stärker engagieren, und andere, die weniger aktiv sind. Niemand ist verpflichtet, zu investieren. Wichtig ist aber, sich bewusst zu machen, dass ein Investment in ein Start-up mit deutlich höherem Risiko verbunden ist als etwa der Kauf einer neuen Maschine für ein etabliertes Unternehmen. Es kann passieren, dass das eingesetzte Geld komplett verloren geht. Deshalb sollte niemand Kapital investieren, das eigentlich für die Altersvorsorge oder die Ausbildung der Kinder gedacht ist. Außerdem sollte man sich auf zwei Dinge einstellen.
Welche?
Erstens: Die Start-ups, bei denen es nicht gut läuft, zeigen das meist sehr schnell. Diejenigen, die sich gut entwickeln, lassen den Erfolg oft erst nach Jahren erkennen. Manche Investoren verlieren deshalb früh die Motivation. Und genau deswegen ist der zweite Punkt entscheidend: Es ist wichtig, sich ein Portfolio aufzubauen. Wer in zehn oder 20 Start-ups investiert, hat eine deutlich größere Chance, dass eines davon richtig erfolgreich wird – im Vergleich zu jemandem, der alles auf ein oder zwei Start-ups setzt.
Man hört, dass die Investmentkultur, gerade was Risikokapital anbelangt, bei uns noch wenig ausgeprägt ist.
Das stimmt. Die europäische Kultur, nicht nur jene in Südtirol, ist grundsätzlich zurückhaltender und weniger risikofreudig als jene in Amerika. Dort gibt es auch viel größere Venture Capital Fonds, also Wachstumskapital für Start-ups, die „erwachsen“ werden. Aber mit dem tba network versuchen wir unseren Beitrag zu leisten, um das zu ändern. Außerdem begrüßen wir die Gründung des Alpine Fonds von Euregio+ und Redstone.
Das tba network gibt es seit sieben Jahren, Sie sind seit Anfang 2019 CEO. Hat sich in dieser Zeit die Mentalität geändert, was das Investieren in Start-ups anbelangt?
Ja, ich denke schon. Vieles sind Babyschritte. Aber ich finde, dass wir mittlerweile mit Stolz darauf schauen können, was wir aufgebaut haben, und dass wir auch in der Szene einen guten Bekanntheitsgrad genießen. Natürlich können wir nicht jedes Start-up unterstützen. Lieber unterstützen wir die, die wir aussuchen, richtig. Mittlerweile bin auch ich ins kalte Wasser gesprungen und habe privat in fünf Start-ups investiert. Es macht Spaß selbst zu schwimmen und nicht nur vom Beckenrand aus zuzuschauen. Emotional ist das noch einmal ganz was anderes.
Abschließend: Wenn Sie einem Gründer oder einer Gründerin nur einen Tipp mitgeben dürften, welcher wäre das?
Das Thema Netzwerk-Bauen: Seid mutig, geht raus und erzählt der Welt von euch.
Interview: Silvia Santandrea
DIE SERIE Dieses Interview ist der Auftakt zur Serie „Start-up Südtirol“. In den kommenden Wochen wird die SWZ junge Unternehmen und deren Gründer:innen vorstellen, so wie bereits in den vergangenen Jahren. Alle Artikel, auch jene der vergangenen Jahre, können hier und in der SWZapp nachgelesen werden.