Naturns – Valeria Caldarelli sitzt auf der sonnigen Terrasse ihres Hotels La Vimea in Naturns, ein Glas fermentiertes Schwarzkarottentonic in der Hand. Bio, vegan, ausgewählt. Wie alles hier. Von der Bettwäsche bis zum Wein. Ich bekomme auch eins, dunkelviolett, leicht säuerlich, überraschend erfrischend. „Ein bisschen anders – so wie wir“, sagt Valeria Caldarelli und lächelt. Ihr Auftritt ist ebenso markant wie das Getränk: schwarze, kinnlange Haare, goldene symbolträchtige Kette, trendige, zerrissene Jeans, schwarze Doc Martens-Boots – natürlich strikt vegan. Darüber ihre „Wohlfühlweste“, wie sie sie nennt. Gekauft vor Jahren in New York, getragen immer dann, „wenn ich mich gut fühlen möchte, es aber nicht unbedingt der Fall ist“.
Valeria Caldarelli ist keine, die Kompromisse eingeht. Sie ist zierlich, aber präsent. Radikal in ihrer Klarheit, herzlich in der Begegnung, offen für Gespräche – aber konsequent in ihren Prinzipien. Vor 46 Jahren ist sie der Liebe wegen aus den Marken nach Südtirol gekommen – und geblieben. „Ich will niemanden missionieren“, sagt sie, „aber ich möchte Türen öffnen. Wer eintritt, darf sich auf etwas Neues einlassen, etwas Zeitgemäßes.“ Und das glaubt man ihr. Denn was sie sagt, bleibt hängen. Weil es nicht um Ideologie geht, sondern um Integrität. Um den Mut, alte Pfade zu verlassen – und neue konsequent zu gehen.
„Ich will nicht nur ein Hotel führen. Ich will etwas bewegen. Einen Impuls geben. Eine bessere Welt für meine Kinder und Enkelkinder mitgestalten.“ Valeria Caldarelli
Authentizität statt Verzicht
Und wie Valeria Caldarelli selbst, ist auch das La Vimea: bewusst, ruhig, ohne viel Chichi, authentisch. Hinter der hellen Lobby öffnet sich ein wilder Garten mit Naturteich, verschiedenen Bäumen, Kräutern, essbaren Blüten, wilden Erdbeeren – alles gepflegt von der Gastgeberin selbst. Hier wird kein Fleisch serviert, keine Kuhmilch, kein Fisch. Nicht aus Dogma, sondern aus Überzeugung. Aus Liebe zur Natur, zum Leben – und auch zur Idee, dass nachhaltiger Urlaub nicht Verzicht bedeuten muss. „Ich verstehe gar nicht, wieso vegane Lebensweise immer mit Verzicht in Verbindung gebracht wird“, lacht sie, „das ist ein Ammenmärchen.“

Valeria Caldarelli und ihre Söhne führen zwei der konsequentesten veganen Vier-Sterne-Hotels Europas: das La Vimea in Naturns und das Paradiso.Pure Living auf der Seiser Alm. Ihre Tochter war es, die ganz unbewusst den ersten Denkanstoß gab – mit gerade einmal drei Jahren. Ohne Druck, ohne Erklärung. „Sie wollte plötzlich kein Fleisch mehr essen“, erinnert sich die vierfache Mutter. „Nun sind fast 40 Jahre vergangen – und wir sind ihr gefolgt, einer nach dem anderen.“ Heute lebt fast die ganze Familie vegan.
Valeria Caldarelli selbst stellte ihre Ernährung 2005 radikal um – aus gesundheitlichen Gründen. Bei ihr wurde eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert, sie stand vor einer schwerwiegenden Entscheidung. „Ich habe mich für einen radikalen Umstieg entschieden. Zuerst Rohkost, dann strikt vegane Ernährung, viel Sport. Die Kraft der Selbstheilung, eine neue Wahrnehmung von meinem Platz in dieser Welt. Heute, nach 15 spannenden Jahren, lasse ich nur die Fakten über meinen Gesundheitszustand sprechen.“
Der Mut, alles zu verändern
Seitdem ist sie überzeugt – nicht nur von der gesundheitlichen, sondern auch von der ökologischen und ethischen Dimension dieser Lebensweise. Und sie lebt sie entschlossen. Auch im beruflichen Alltag. „Es ist kein einfacher Weg ohne Gegenwind – aber es lohnt sich.“ Was sie tut, tut sie mit Konsequenz. Und mit einer inneren Überzeugung, die ansteckend ist. „Ich will nicht nur ein Hotel führen“, sagt Valeria Caldarelli, „ich will etwas bewegen. Einen Impuls geben. Eine bessere Welt für meine Kinder und Enkelkinder mitgestalten.“
Das La Vimea ist kein klassisches Hotel. Kein Ort, an dem man sich einfach in den Liegestuhl fallen und bedienen lässt, ohne weiterzufragen. „Unsere Gäste wissen, worauf sie sich einlassen“, sagt Caldarelli. Und das sollen sie auch. Jeder Gast erhält vor der Anreise eine ausführliche E-Mail: 100 Prozent vegan, 100 Prozent bio, ein fixes Gourmet Menü am Abend, nachhaltige Materialien, bewusster Konsum – Badelatschen bitte wenn möglich selbst mitbringen, um nicht Mengen davon täglich entsorgen zu müssen. „Nachhaltigkeit soll keine Ferien machen, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Umwelt zu schonen“, sagt Caldarelli nüchtern.
„Wir informieren, regen an, inspirieren – wir belehren nicht. Aber wer hierherkommt, soll das auch wollen.“ Valeria Caldarelli
Plastik ist tabu, ebenso weißer Zucker. Die Strohhalme sind aus Glas, die Gläser aus Eco-Crystal. Cola, Fanta & Co. gibt es nicht – stattdessen eine durchdachte Auswahl an biologischen Getränken. Die Cocktails enthalten immer eine Kräuterkomponente aus dem Garten. Das Schwimmbad wird mit einer Salzanlage betrieben. Die Liste ist viel länger, der Leitfaden kristallklar.
Und wer nicht damit einverstanden ist? „Dann passt es einfach nicht: Unsere Energie ist zu kostbar, um sie in Erwartungen zu investieren, die wir nicht teilen“, sagt Valeria Caldarelli. „Aber wir mussten lernen, besser zu kommunizieren. Am Anfang etwa haben wir das Vegan-Sein nicht klar genug in den Vordergrund gestellt. Dann kamen die falschen Gäste, mit Erwartungen, die wir nicht erfüllen konnten. Wir mussten daraus lernen. Heute machen wir es anders – und es kommen die richtigen Menschen, Menschen mit einem offenen Geist, das reicht.“
Die Hotels sind Familiensache. Zwei ihrer Söhne führen das vegane Haus auf der Seiser Alm, die Tochter führt die vegane Agrivilla I Pini in der Toskana, der dritte Sohn ist auch im Hotelbereich tätig, in Österreich.
„Profit ist wichtig – aber nicht mein erstes Ziel. Sonst dürften wir das alles nicht machen.“ Valeria Caldarelli
Griechin ist die Seele der Küche
Im La Vimea – und auch im zweiten Haus auf der Seiser Alm – wird vegane Küche nicht einfach serviert, sondern zelebriert. Mit Hingabe, Kreativität und einem tiefen Bewusstsein für Qualität. „Ein traditioneller Chefkoch kann nicht automatisch auch gut vegan kochen“, sagt Caldarelli offen. „Dazu braucht es neue Kompetenzen und auch eine andere Wertschätzung. Wenn ich Gemüse nur als Beilage kenne, sehe ich es nicht als Star. Wir brauchen mehr als Technik – wir brauchen Gefühl, Respekt, Seele.“ Und das hat sie in Aggeliki Charami gefunden. Die Griechin, international gefeiert als Rockstar der veganen Küche, verantwortet die Menüs im La Vimea und im Paradiso.Pure Living mit dem 100 Prozent veganen Gourmet-Restaurant Omnia. „Es gibt immer wieder Gäste, die selber nicht vegan leben, aber eine offene Einstellung haben, um dieser spannenden Erfahrung mit Interesse zu begegnen. Dann hört man meistens: ‚Wow. Ich habe eine Woche lang kein Fleisch gegessen – und es war wunderbar‘“, sagt Caldarelli.

Und was für Nicht-Veganer ein Einlassen ist, ist für Veganer Entspannung pur. „Ein junges Paar sagte mir neulich: Das ist der erste Urlaub, in dem wir nicht ums passende Essen kämpfen müssen. Kein Fragen, kein Selberkochen, kein Stress. Einfach genießen“, so die Hotelchefin.
Mission statt Businessplan
„Profit ist wichtig – aber nicht mein erstes Ziel“, so Valeria Caldarelli nüchtern. „Sonst dürften wir das alles nicht machen. Viele sagten, wir seien verrückt, als wir das La Vimea 2016 vegan eröffneten. Aber wir wussten: Wir können nicht halbherzig sein. Entweder ganz oder gar nicht“, sagt sie und lacht. Klar sei es herausfordernd, aber das Ziel sei nicht der schnelle Gewinn. Sondern der langfristige Wert.
Diese Haltung zieht sich durch alles, was Valeria Caldarelli tut. Ihr Team ist international, aber handverlesen. „Ich stelle niemanden ein, der einfach nur einen Job will. Ich will Menschen, die verstehen wollen, worum es hier geht, und unsere Werte mit Freude und Überzeugung teilen.“ Fast alle Mitarbeiter:innen seien selbst Veganer.
„Über junge Gäste freue ich mich am meisten, denn sie sind die Zukunft.“ Valeria Caldarelli
Die Arbeit ist intensiv. Die Küche, das Haus, der Austausch mit den Gästen – alles verlangt Präsenz und Überzeugung. Und ja: Es war ein Risiko. Als sie das Haus auf der Seiser Alm nach über 25 Jahren klassischer Hotellerie auf vegan umstellten, wandten sich 90 Prozent der Stammgäste ab, im La Vimea waren es 100 Prozent. „Das war menschlich hart. Manche haben uns nicht mal mehr angeschaut. Andere sagten, wir seien Terroristen. Aber wir wussten: Wenn wir diesen Weg gehen, können wir nicht zurück“, erinnert sich Valeria Caldarelli. Heute kommen andere Menschen, die richtigen. Diejenigen, die Wertschätzung und Dankbarkeit für diesen Ort zeigen. Manchmal auch welche, die schon seit Jahrzehnten vegan leben. „Über junge Gäste freue ich mich am meisten, denn sie sind die Zukunft, und ich arbeite jeden Tag für die Zukunft.“
„Das war menschlich hart. Manche haben uns nicht mal mehr angeschaut. Andere sagten, wir seien Terroristen.“ Valeria Caldarelli
Ein Leben im Wandel
Valeria Caldarelli spricht energetisch, klar, überzeugt – nie dogmatisch. Ruhig zu sitzen, fällt ihr schwer. Sie erzählt von ihrer späten Studienzeit in den USA, während sie mit ihrer Familie eine Auszeit von der Hotellerie nahm. „Ich habe Jura studiert, das ist meine zweite Leidenschaft. Aber ich glaube, ich wäre zu direkt für eine Anwältin“, lacht sie. Und sie erzählt vom Leben in Südtirol, von ihren Kindern, ihren sieben Enkelkindern. „Ich habe das Gefühl, angekommen zu sein. Hier, in dieser reichen Region. Auf diesem Weg.“ Und mit reich meint sie nicht Geld, sondern den Überfluss an allem, was in Südtirol gedeiht – was die Erde hervorbringt.
Valeria Caldarelli selbst lebt sehr reduziert. Praktiziert Intervallfasten, liebt die Natur, die Stille, das Laufen im Freien. „Essen ist für mich kein Hype. Ich kann auch mal einen Tag nichts essen, das stört mich überhaupt nicht. Dann knabbere ich einfach ein paar Mandeln. Aber wenn ich esse, dann bewusst.“ Und wenn sie Urlaub macht? Dann in veganen Hotels – oder in Ferienwohnungen mit eigener Küche. „Ich brauche Authentizität, Luxus ist für mich, wenn meine Essenz respektiert wird“, sagt sie.
Ich frage mich nie, was Gäste von mir erwarten. Denn was man erwartet, ist nicht immer das, was man wirklich braucht und was man als zeitgemäß im weiten Sinne bezeichnen kann.“ Valeria Caldarelli.
Die Zukunft ist jetzt
„Wir sind Pioniere – und das ist nicht immer einfach. Aber jemand muss den ersten Schritt machen. Ich frage mich nie, was Gäste von mir erwarten. Denn was man erwartet, ist nicht immer das, was man wirklich braucht und was man als zeitgemäß im weiten Sinne bezeichnen kann“, so Valeria Caldarelli.
„Stattdessen arbeite ich täglich zusammen mit meinem Team daran, Neues zu entdecken – Dinge, die dem Wohlbefinden von Mensch und Umwelt dienen. Dabei sind positive, ansteckende Energie, Respekt und Vertrauen entscheidende Schlüssel.“
Valeria Caldarelli hat nicht einfach ein Hotel geschaffen, sondern einen Raum für Veränderung. Für Bewusstsein. Für echten Dialog. Ohne Zeigefinger – aber mit Haltung. „Ich arbeite an einem Traum, der die Realität ein kleines Stück besser machen will. Das geschieht in sehr kleinen Schritten. Heute sehe ich mein Leben als eine spannende Reise, auf der Weg und Ziel eins geworden sind.“
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Ein Glas Verantwortung
















