Die Lage ist ernst: „Il settore del turismo e` quello piu` severamente colpito, anche perché non ha nessuna possibilita` di rimediare, da solo, alle perdite accumulate“, so Ministerpräsident Giuseppe Conte gegenüber La Repubblica am 26. April. Auch Südtirols Tourismus, noch vor zwei Monaten hochtouriger Konjunkturmotor der heimischen Wirtschaft, steht still, nachdem 2009 bis 2019 die Nächtigungen um 20 Prozent anwuchsen. Die Bettenzahl sprengte bis Februar 2020 die bis heute gültige Obergrenze von 229.088. Zugleich waren rund 50 neue Tourismuszonen beantragt, die nun auf Eis liegen. Heuer wären 15 Millionen Nächtigungen bereits ein Erfolg, realistisch sind es weniger. Tourismus steht in Südtirol wie im Alpenraum in vorderster Reihe der Lockdown Loser.
Der touristische Sektor steht nach Covid-19 vor einem tiefen Struktur- und Mentalitätsbruch. Südtirols Chancen im neuen Tourismusszenario der Alpen sind gut, wenn grundlegendes Umdenken erfolgt.
Zunächst aber: Tourismus ist nicht k.o., sondern angezählt. Konsum und Urlaubswünsche werden durch die Krise nicht auf Dauer geschwächt, sondern neu aufleben. Weder droht das Ende noch die Verzwergung des Tourismus, absehbar ist aber seine Transformation nach einem extremen Härtetest. Denn ein dynamischer Aufbruch im Sommer oder Herbst scheidet aus. Plausibel ist das von den Tourismusberatern Kronbichler/Taurer skizzierte „pessimistische Szenario“: Start im Herbst, der nächste Winter als eine Herausforderung (siehe dazu auch SWZ Nr. 14/20, hier nachzulesen in SWZonline oder über die SWZapp).
Die Anfälligkeit des Tourismus „verdankt“ sich aber nicht nur dem Coronavirus, sondern lag bereits in der Luft. Sie ist auch die Folge einer Marktüberhitzung, vor der oft genug gewarnt wurde. Über den Höhenflug äußerten sogar touristische Verantwortungsträger: „Wir haben ein bissl großgetan, wenn nur nichts dazwischenkommt.“ Selbst haben wir den Boom nicht nur aus grüner Sicht kritisiert, sondern vor dem Überangebot einer Bettenblase oft genug gewarnt.
Keine Illusionen: Die Krise wird zum Dauergast
Touristische Nachfrage bleibt auf unabsehbare Zeit geschwächt. Gäste des Auslands werden auch nach Ende der Reisesperren nur zögernd kommen,
Südtirols mäßige Internationalität jenseits der Hauptmärkte Deutschland und Italien ist vorerst ein Vorteil: Während Österreich oder Oberitalien Gäste aus den USA und China schmerzlich vermissen, wiegt ihr Ausfall in Südtirol geringer, zumal der Airport Bozen zwar teuer, aber touristisch belanglos ist. Die inländische Nachfrage wird früher anziehen, aber entkräftet durch Einkommensschwund und kurze Aufenthalte.
Das Social Distancing, die Abstandspflicht, erzwingt in allen Betrieben scharfe Auflagen und kleine Gästezahlen. Statt Frühstücksbuffets gibt es ein Comeback von Zimmer- oder Tischservice. Dem Austausch von Herzlichkeiten beim Ein- und Auschecken steht eine Trennwand entgegen. Die Benutzung von Schwimmbädern, Saunen und anderen Wellnesseinrichtungen wird kontingentiert, Dauer-Desinfektion wie Mundschutz Pflicht. Aufstiegs- und Freizeitanlagen sowie Veranstaltungen werden abstandspflichtig, Sommerfeste und Konzerte auf ein Minimalprogramm beschränkt sein.
Erfolg winkt Destinationen, die Sicherheit garantieren: „Testen mit Gästen“ lautet die Devise, bis zur Erfindung eines Impfstoffs. Immerhin könnte Mundschutz zum Werbeträger avancieren: Mit Hotelnamen oder dem Südtirol-Logo als Gesichtsdekor. Ein Sicherheitsprotokoll für ganz Südtirol ist vordringlich, aber die Vortäuschung von Herdenimmunität in einzelnen Gemeinden wäre ein falscher Alleingang.
Bevorteilt sind die zuletzt geschwächten 3- und 2-Sterne-Häuser wie der erfolgreiche Urlaub auf dem Bauernhof. Bei geringen Gästezahlen, niedrigem Preis und Mitarbeiterstand agieren sie leichter; sie verbinden Social Distancing und Social Pricing.
Wer sind Verlierer, wer kommt besser davon? Größere, vielfach neu errichtete oder erweiterte 4- und 5-Sterne-Hotels gehen in schwere Zeiten, brauchen sie doch starke Auslastung von mehr als 70 Prozent. Nun wird Größe zum Nachteil: Geringere Auslastung bei hohen Fixkosten ist toxisch. Noch mehr drückt die oft hohe Fremdkapitalquote – sprich Bankschulden.
Die Vereinigung der großen Luxushotels im Allgäu schildert dramatisch den hohen Kostensockel in ihrer Region: Bei Vielsternebetrieben erreicht er 10.000–25.000 Euro – täglich! In anderen Worten: Jeder Million Euro Umsatz, die in den ersten vier bis sechs Wochen der Hotelschließungen fehlt, stehen in einem Großhotel Kosten von 400.000 bis 800.000 Euro entgegen. Mit dem Nachfrageschwund droht ein harter Preiskampf, unvermeidlich mit Dumping und Unterbieten der Konkurrenz.
Bevorteilt sind die zuletzt geschwächten 3- und 2-Sterne-Häuser wie der erfolgreiche Urlaub auf dem Bauernhof. Bei geringen Gästezahlen, niedrigem Preis und Mitarbeiterstand agieren sie leichter; sie verbinden Social Distancing und Social Pricing.
Es wird Hilfe geben, Opfer – und Spekulanten
Südtirol wird – so viel ist gewiss – zwischen Zuschüssen, Zinsbeiträgen und geförderten Kreditlinien alle Register der Unterstützung ziehen, auch Steuersenkungen und Stundungen ins Spiel bringen, weit über nationalem Level. EU-Recovery-Hilfen werden als Verlustbeiträge fließen; darauf zielen auch Staat und Federalberghi. Daher gilt auch: Achtung vor Missbrauch!
Dennoch wird die Krise Opfer fordern. Der aktuelle Verschuldungsgrad der Branche, bereits im März nahe der Euro-Milliarde, will mit den bis Herbst massiven Ausfällen trotz Stundungen und Entgegenkommen bedient und getilgt werden. Trotz Stützung ist ein schmerzlicher Aderlass kaum vermeidbar. Auch 1982/83, in einer jäh auftretenden Hochzins- und Rezessionsphase mit gefährdeten Betrieben und anschließender Stützungsaktion, wurden nicht alle 400 „unverschuldet verschuldeten“ Gastwirte gerettet, obwohl der Einbruch weit geringer war.
Probleme bereiten touristisch nicht mehr nutzbare Immobilien, die aus Gründen von Schließung oder Verkauf ihre bisherige Zweckbindung einbüßen; frei werdende „Kubaturen“ im Tourismus sind vor Spekulation und Leerständen zu schützen. Denn potente Immobilienverwerter werden sich vermehrt umtun, mit Folgen, vor denen oft gewarnt wurde, zum Beispiel wird heimisches Eigentum z. T. auswärtiger Kontrolle weichen. Umso mehr ist die Raumordnung anzupassen, um vorsichtige, spekulationsfreie Umwidmungen zu ermöglichen.
Ziel I: Krisenfester Tourismus – non un passo dal cielo, ma con i piedi per terra
Tourismus muss auch in Südtirol künftigen Krisen vorbauen und ein Überangebot vermeiden. Daher sind für höhere Krisenfestigkeit weniger Betten und Betriebe in Zukunft unvermeidbar; Beschränkung und Qualifizierung des Angebots von Dauer. Ein Zurückfahren des quantitativen Angebots sichert Auslastung und Qualität, zudem Einklang mit dem Umfeld vor Ort, mit den Ansässigen, von denen viele nicht vom Tourismus leben.
Bezahlt macht sich der relativ hohe Anteil an Stammgästen, die trotz Covid-19 gewohnten Erholungsorten und Familienbetrieben treu bleiben. Neue Chancen bieten Geschäfts- und Tagungstourismus, da nach der Überdosis an Homeoffice und Videoschalten persönliche Meetings gesucht sind.
Ziel II: Weniger, aber gute Arbeitsplätze
Eine Hauptsorge des alpinen Tourismus war bis 2020 das Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte, auch in Südtirol. Nach dem Rekord mit 37.000 im Tourismus Beschäftigten wird es künftig mehr Arbeitssuchende geben. Viele Mitarbeiter erwarten dringend wieder Beschäftigung zu akzeptablen Löhnen. Aber der Neustart der Tätigkeit wird von Kosteneinsparung und Reduzierung der Anzahl von Mitarbeitenden begleitet sein. Auf die bis vor Kurzem oft hektische Suche nach qualifizierten Arbeitskräften folgt ein spürbares Überangebot. Umso mehr ist Sozialdumping zu bekämpfen, vielmehr sind Leistung und flexibler Einsatz der geringeren Zahl an Mitarbeitenden zu honorieren. Für manche, die nicht mehr zum Zuge kommen, sind systematische Umschulungen und ein neuer Berufseinstieg unvermeidbar.
Ziel III: Klima-Destination Südtirol
Die Krise wird das Gesundheits- und Sicherheitsbewusstsein von Gästen sprunghaft steigern. Auch nach erfolgreichem Einsatz eines Impfstoffes Ende 2021 haben Sicherheit und Wohlbefinden Vorrang. Überfüllte Orte sind out, Gesundheit und Aktivurlaub in Heimatnähe haben Vorrang. Südtirol hat hier gute Karten – wenn es nicht wieder überläuft.
Sollte der hochgelobte Green New Deal in Europa wirklich kommen, wird er auch Südtirols Tourismus einen radikalen Wandel abverlangen: Klimasicherheit vieler Häuser mit Ressourcenschonung, regionale Produkte nicht nur als Etikett, sondern als Exzellenzen einer neu biologisierten Landwirtschaft, Schonung der Landschaft anstelle von Übernutzung, Mobilität mit niedrigem CO2-Ausstoß. Die von der öffentlichen Hand ermöglichten Krisenhilfen und -transfers sollten an entsprechende Auflagen geknüpft werden.
Safe, smart, slow: Südtirols neue Stärke im Tourismus
Der touristische Sektor steht nach Covid-19 vor einem tiefen Struktur- und Mentalitätsbruch. Südtirols Chancen im neuen Tourismusszenario der Alpen sind gut, wenn grundlegendes Umdenken erfolgt. Die Eckwerte Gesundheit und Sicherheit müssen in neuen Leitbildern Ausdruck gewinnen: Sicher, klug, sanft – längst bekannte Schlagworte gewinnen neue Aktualität, als Ziele, die Erfolg versprechen. Umdenken und Umsteuern werden aber nicht sanft verlaufen, sondern bedürfen Weitblick und Radikalität. Getragen von effektvoller öffentlicher Hilfe mit klaren Zeitplänen, die bisher fehlen. Mehr als die Worte von Premier Conte wiegt das Vertrauen der Gäste, das wichtiger ist denn je zuvor.
Hans Heiss, Historiker und ehemaliger Landtagsabgeordneter der Grünen