Ich liebe britisches Fernsehen. Netflix, Amazon Prime und dergleichen nutzen wir nicht, aber unser Schweizer Telekommunikationsanbieter hat für uns ein Fernsehpaket geschnürt, bei dem wir drei Sender der BBC und noch ein paar andere britische Kanäle anschauen können. Und wenn wir fernsehen, dann sehr häufig diese Sender. Dokumentationen mit Mary Beard, Simon Reeve, James Fox und anderen sind spannend gemacht und ungemein lehrreich – schon allein wegen der Ästhetik: Wie lange wird es wohl noch dauern, bis im deutschsprachigen Fernsehen eine ältere korpulente Dame mit wehendem weißem Haar, einem Kleid wie ein Kartoffelsack, schiefen Zähnen und einem watschelnden Gang ganze Dokumentationsreihen präsentieren darf?
Von Backen bis Hundefrisieren
Aber natürlich schaue ich mir nicht nur kulturell wertvolle Sendungen an, sondern auch die leicht kuriosen, auf den ersten Blick sogar abstrusen Formate, mit denen gerade britische Sender nicht geizen. Sie kennen bestimmt Wettbewerbsshows wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Dancing Stars“. So etwas interessiert mich nicht. Aber nach diesem Vorbild gibt es zahlreiche andere Shows, in denen nicht um die Wette gesungen oder getanzt wird, sondern ganz solides Handwerk im Vordergrund steht. The Great British Bake Off zum Beispiel, bei dem talentierte Hobbybäcker sich wochenlang durch diverse Ausscheidungssendungen backen, bis zum Schluss ein strahlender Sieger übrig bleibt. In jeder Folge gibt es knifflige Aufgabenstellungen: Entweder muss ein präzises – und natürlich höllisch schwieriges – Rezept nachgebacken werden, oder man muss seine Kreativität und Kunstfertigkeit zu einem bestimmten Thema unter Beweis stellen.
Nach demselben Schnittmuster (Achtung, Wortwitz) gibt es die Sendung The Great British Sewing Bee, bei der genäht und geschneidert wird und angehende Modedesignerinnen ihre Kreationen präsentieren. Vor Weihnachten messen sich Bastlerinnen und Heimwerker der unterschiedlichsten Disziplinen bei Kirstie’s Handmade Christmas und wetteifern, wer den schönsten Christbaumschmuck, das tollste Kinderspielzeug, das originellste Lebkuchenhaus, den festlichsten Weihnachts-Türkranz und so weiter kreiert hat. Bei Interior Design Masters müssen sich Amateur-Innenarchitekten mit der Gestaltung von Büroräumen, Schlafzimmern, Geschäften oder Speisesälen herumschlagen. Und bei The Great Pottery Throw Down wird getöpfert, dass die Scheibe raucht.
Der bisher vielleicht skurrilste Neuzugang in der Reihe dieser Handwerks-Wettbewerbssendungen ist Pooch Perfect. Dort müssen Hundefriseure ihre Meisterschaft beim … naja, eben Hundefrisieren unter Beweis stellen. Wer kämmt und föhnt den Husky am schönsten? Wer verleiht dem Terrier die größte Eleganz? Und wer schert dem Pudel die schicksten Muster ins Fell?
Nagellack für Hundepfötchen, ernsthaft?
Liebe Leserinnen und Leser, falls Sie jetzt entsetzt mit dem Kopf schütteln: Das habe ich zuerst auch. Aber da ich selbst Hundebesitzerin bin, habe ich die Sendung dann natürlich trotzdem angesehen. Sie hat ihre albernen Seiten (Nagellack für Hundepfötchen, ernsthaft?). Aber wie die anderen Sendungen auch übt sie auf mich eine ganz besondere Faszination aus. Was mich an all diesen Formaten begeistert, ist das Eintauchen in eine mir völlig fremde Welt. Da ich nämlich kein Händchen fürs Töpfern habe und jedes Bastelwerk, das ich angehe, unvermeidlich und fast naturgesetzmäßig in einem Murks endet, bewundere ich erstens natürlich, was andere mit ihrer Fingerfertigkeit zustande bringen. Aber dann bewundere ich erst recht die Nuancen, die den Juroren beim Bewerten auffallen. Die Vase, die ich eigentlich sehr gelungen finde: „Naja, der Übergang vom Bauch zum Hals ist nicht so geschmeidig.“ Der Teller, der mir etwas fad erscheint: „Fantastisch, wie du da mit den Texturen und den Farben gespielt hast!“
Den Experten zuzuhören, die sich über Biskuit-Teige, Stehkragen oder Hundeschuren unterhalten, ist überaus spannend. Man merkt: Da ist mehr dahinter als ein simples „Gefällt mir – gefällt mir nicht“. Die Begründung der Verdikte öffnet immer auch die Perspektive auf die wahre Könnerschaft. Durch The Great Pottery Throw Down habe ich viel über die verschiedenen Töpfertechniken und Materialien, über Glasuren und Brennöfen gelernt. Zwar werde ich nie selbst mit diesem Hobby anfangen (jetzt erst recht nicht), aber ich habe gesehen, wie viel Können, wie viel Sorgfalt und Fleiß in jedem kleinen Schälchen, in jeder Figur, ja, sogar in jedem Lehmziegel stecken.
Und seit ich Pooch Perfect angeschaut habe, weiß ich, um wie viel schöner mein Hund sein könnte, wenn ich ihn nicht zehn Minuten, sondern zwei Stunden kämmen würde. Aber ganz ehrlich: Er ist mir auch so schön genug.
Ich bleibe ganz bescheiden bei meinen Leisten
Das Wahrnehmen des Abgrunds, der sich zwischen mir als Hobbybäckerin, -innenarchitektin oder -hundefriseurin und den wahren Könnerinnen auftut, ist heilsam. Ich kann’s halt einfach nicht besser. Und wenn ich es besser können wollte, hätte ich einen weiten Weg vor mir.
Letzten Endes sind diese Sendungen also auch Übungen in Bescheidenheit. Ich staune über den Einfallsreichtum, die Gestaltungskraft und die Expertise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und weiß zugleich, dass ich nicht annähernd daran heranreiche. Würde ich bei der Aufgabenstellung „dänisches Gebäck“ in zwei Stunden einen fein geblätterten Plunderteig oder eine rustikal-fruchtige Pumpernickeltorte zaubern? Wohl kaum. Könnte ich einen lebensecht aussehenden Apfel töpfern? Höchstens ein lebensechtes Hundehäufchen. Und apropos Hund: Was geschähe, wenn man mir einen Cockerspaniel zum Waschen, Föhnen und Legen anvertrauen würde? Wahrscheinlich würde sich der Tierschutz einschalten.
Ich bleibe also ganz bescheiden bei meinen Leisten, in diesem Fall bei den Essays und Theaterstücken, der Literatur und der Poesie. Da bin ich in meinem Element. Da erkenne ich die Nuancen und kann eine kompetente Meinung abgeben. Und obwohl ich solche Sendungen selbst gerne anschaue: Ich bin heilfroh, dass es keine Show gibt, bei der Gedichte, Sketche oder Zeitungsartikel um die Wette geschrieben werden. The Great Poetry Write Down – nein, das wäre dann doch zu viel des Guten.
Sema Mahlknecht