Mir ist in diesen Tagen in der Süddeutschen Zeitung Petra Cnyrim untergekommen. Die Münchner Psychologin hat ein knapp 200 Seiten starkes Buch über Schimpfwörter und Flüche geschrieben. Das Buch, so schreibt sie im Vorwort, solle „keine Anregung zum kreativen Schimpfen darstellen, sondern unserer Sprache neugierig auf den Grund gehen“. Cnyrim analysiert, woher die einzelnen Schimpfwörter kommen und was sie zu Schimpfwörtern macht.
Petra Cnyrim ist nicht die Erste, die sich literarisch mit dem Fluchen auseinandersetzt. Im Internet findet sich eine ganze Reihe von Büchern darüber. Dabei dürfte es das Fluchen genau genommen gar nicht geben. „Das sagt man nicht!“, wird uns als Kindern eingetrichtert, wenn uns mal ein „böses Wort“ rausrutscht, das wir aufgeschnappt haben. Wir sagen es trotzdem, Frauen weniger, Männer mehr, manche Männer noch mehr. Und weil es die Erwachsenen sagen, vor allem die Väter, lernen die Kinder, dass die bösen Wörter so bös doch nicht sein können.
Scheiße oder Schießen?
0,3 bis 0,7 Prozent der Wörter, die wir täglich benutzen, sollen Fluchwörter sein, im Schnitt wohlgemerkt. Zum Vergleich: Personalpronomen wie „ich“ und „du“ kommen auf ein Prozent der Wörter. Der Mensch flucht offensichtlich ziemlich viel.
Geht es nach der Wissenschaft, dann ist das gut so. Das Aussprechen von Schimpf- und Fluchwörtern hilft nämlich, emotionalen Druck abzubauen. Das wirkt sich auf unser Wohlbefinden aus. Böse Wörter sind irgendwie also gesund. Auch wirken sie schmerzlindernd. Im Rahmen einer Studie mussten Probanden ihre Hand in Eiswasser halten – die Gruppe, die dabei „Scheiße“ schreien durften, hielt den Schmerz länger aus als die Gruppe, die „Schießen“ rief.
All dieses Erhellende über das Fluchen und Schimpfen lässt sich in den Weiten des World Wide Web nachlesen. Für praktischen Anschauungsunterricht mischt man sich hingegen am besten unter das Südtiroler Volk, denn die Südtiroler sind besonders leidenschaftliche Flucher. Ihr Wohlbefinden muss ausgesprochen hoch sein, wenn stimmt, was die Wissenschaft sagt. Geflucht wird nämlich nicht nur, wenn Dampf abgelassen werden muss: Dio c… und dio p… werden so gedankenlos eingestreut wie Ähs am Satzanfang, am Satzende oder mittendrin, ebenso das böse italienische Wort für Prostituierte. Das italienische, wohlgemerkt! Denn geflucht wird im gelobten mehrsprachigen Land Südtirol vornehmlich in italienischer Sprache. Das klingt dann gleich viel weniger fluchwörterlich. Und vielleicht versteht der liebe Gott auch gar kein Italienisch.
Fluchen am Arbeitsplatz: Wie wäre es mit einer Sperre?
Zur Verteidigung der Südtiroler muss erwähnt werden, dass nicht nur ihnen böse Wörter in italienischer Sprache entweichen. So war sich der Delegierte des italienischen Fußballverbands beim Play-off-Spiel des FC Südtirol gegen Pro Vercelli ganz sicher, blasphemische Kraftausdrücke auf Italienisch gehört haben. Der Trainer und ein Abwehrspieler – beide sind Italiener – wurden für einen Spieltag gesperrt. Die Regeln sind streng, immerhin sind Profisportler Vorbilder für die Jugend.
Falls wirklich geflucht wurde, dann war es richtig, dies zu ahnden. Ich habe mir daraufhin ausgemalt, wie es wohl wäre, wenn Fluchen am Arbeitsplatz genauso mit einem Tag Sperre bestraft würde wie Fluchen auf dem Fußballplatz. Der Fußballplatz ist ja nichts anderes als der Arbeitsplatz der Profikicker. Vermutlich wäre dann so mancher Südtiroler dauergesperrt – einen Tag arbeiten, einen nicht. Vermutlich würden ganze Baustellen stillstehen und andere Arbeitsorte auch. Und würde Fluchen beim Feierabendbier eine Sperre nach sich ziehen, dann könnten die Bars frisch zusperren. Sie wären dann im Fluch-Lockdown.