Und, was singen Sie beim Händewaschen? Zweimal „Happy Birthday“, wie manche vorschlagen? Oder sind Sie eher der spirituelle Typ und versuchen es mit „Meine Zeit steht in deinen Händen“? „Highway to hell“ ginge auch. Zweimal „I’m on a highway to hell“ singen, und dann den Rest des Händewaschens nur noch unartikuliert herumschreien. Sie fühlen sich danach besser, bestimmt.
Ich singe „Backe, backe Kuchen“. Dauert auch gut und gerne 20 Sekunden und evoziert in mir das freundliche Bild eines sonnengelben Napfkuchens auf Omas Sonntagstafel. Und jedes Mal denke ich mir, dass ich dieses im Lied besungene Kuchenrezept mit Eiern, Schmalz, Butter, Salz, Milch, Mehl und Safran mal ausprobieren sollte. Klingt eigentlich ganz interessant.
Wie spricht man eigentlich Quarantäne aus?
Danach sind meine Hände sauber, und die Haut macht, was sie nach dem Kontakt mit Seife am liebsten macht: Sie blättert ab. Also wird nach dem Händewaschen auch noch eingecremt. Ohne Lied. Dafür mit sehr viel Geschnaube und Augenrollen. Ich habe Handcreme schon immer gehasst, aber jetzt ist sie zur unabdingbaren Notwendigkeit geworden, wenn ich verhindern will, dass meine Hände sich in Seife auflösen. Mit diesem Problem dürfte ich nicht die Einzige sein. Insofern wundert es mich, dass man bei all den vielen Corona-Bildchen und -Videos, die kursieren, so wenig über Händewaschen und -eincremen sieht.
Dabei wissen wir doch: Gewaschene Hände machen der Quarantäne ein Ende. Aber wie spricht man eigentlich Quarantäne aus? Wie das italienische „quaranta“ (denn davon ist das Wort doch abgeleitet)? Also „Kuarantäne“? Oder deutsch „Kwarantäne“? Weder noch. Die richtige Aussprache ist „Karantäne“. Das Wort kam nämlich über den französischen Umweg ins Deutsche. Und da sagt man eben „karant“ und nicht „kuaranta“.
Epidemiologen oder eher Emideppiologen?
Ja, man kann in so einer „Karantäne“ eine Menge lernen. Neue Wörter zum Beispiel. Wie oft hatten sie früher das Wort „Durchseuchung“ in ihrem aktiven Sprachgebrauch? Tröpfcheninfektion? Herdenimmunität? Plötzlich kommen sie uns so locker-flockig von den Lippen, als wären wir alle gestandene Virologen. Apropos Virologen. Hätten Sie gedacht, dass es so viele Virologen, Epidemiologen, Pandemie-Forscher und Seuchenexperten gibt? Die verbreiten sich derzeit – der Wortwitz muss sein – viral. Wir lauschen ihnen und nicken oder schütteln den Kopf. Denn neuerdings sind wir selbst ja auch Virolologen und Pandabär-Experten und Seichtheitsforscher und Emideppiologen. Da kann man dann schon mitreden. Da weiß man Bescheid. Im Zweifelsfall weiß man es sogar besser. Wir haben die Hände gewaschen. Wir sagen Karantäne. Und wir haben so viele Klopapierrollen gehortet, dass uns schwindlig wird. Und da das Vorhandensein von so viel Klopapier Menschen dazu anregt, dieses auch seiner Bestimmung zuzuführen, wird derzeit so viel geistiger Dünnpfiff produziert wie selten.
Verzeihen Sie meine explizite Ausdrucksweise. Die übermäßige Sauberkeit der letzten Wochen lässt auch in mir das Bedürfnis nach handfestem Dreck und regelrechten Schlammschlachten steigen. Wobei mir eben der reale Schmutz um Größenordnungen lieber wäre als der digitale Schmutz, der sich nun in alle Netzwerke ergießt. Dagegen hilft leider auch kein Klopapier.
Dabei ist es durchaus verständlich, dass wir uns in der aktuellen Krise an alle Informationen klammern, die wir von irgendwoher kriegen können. Wir wünschen uns eine Glaskugel, mit der unsere Zukunft endlich wieder greifbarer, einschätzbarer, planbarer wird. Mir geht es genau gleich. Schon jetzt musste ich Auftritte und Workshops absagen, schon jetzt trifft mich der finanzielle Verlust empfindlich, und ein Ende der Misere ist nicht absehbar. Große Projekte, für Sommer und Spätsommer geplant, stehen gefährlich auf der Kippe. Wenn alles schiefgeht, wird dieses Jahr für mich künstlerisch zum Totalausfall. Natürlich macht das Angst. Und es ist kein Trost zu wissen, dass sehr viele in einer ähnlichen, oft sogar noch prekäreren Situation sind. Ganz im Gegenteil.
Darauf vertrauen, dass die echten Experten es besser wissen als die Nichtexperten
Aber mit Ängsten kann wunderbar gespielt werden. Es gibt zahlreiche Menschen, die geübte Meister auf der Klaviatur der Panikmache sind. Lassen wir uns nicht von ihnen instrumentalisieren. Ruhig zu bleiben ist ohnehin eine große Herausforderung, und zwar egal, ob man zu jenen gehört, die derzeit vor lauter Arbeit nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Oder zu denen, die zur Untätigkeit verdammt sind und zu Hause ausharren und bangen müssen.
Die schlechte Nachricht: Drei Youtube-Videos und fünf Whatsapp-Kettenbriefe qualifizieren uns nicht zu Virologen und Seuchen-Experten (ja, ich weiß, unglaublich). Wilde Zahlenspiele und Spekulationen tragen mehr zu Verwirrung bei als zu Klarheit. Wer jetzt nicht ernsthaft ein Studium von der Pike auf in Angriff nehmen möchte, dem bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass die echten Experten es trotz allem besser wissen als die Nichtexperten. So schwer das auch fällt.
Auch ich habe keine Glaskugel. Ich halte mich an das Naheliegende. Und ich glaube, das ist das Einzige, was jetzt wirklich realistisch ist. Kühlen Kopf bewahren. Hände waschen. Und hinterher das Eincremen nicht vergessen.
Und all die „Aufklärungsvideos“ und „Experten-Interviews“?
Schieb, schieb in’n Ofen ’nein.
Selma Mahlknecht