Bozen – Das Werkeln am Landesgesetz „Raum und Landschaft“ nimmt kein Ende. Bereits wenige Monate nach seinem Inkrafttreten am 1. Juli 2020 (trotz fehlender Durchführungsbestimmungen) kamen erste Änderungen auf den Tisch. Über die Unzulänglichkeiten des Gesetzes ärgerten sich von Beginn an vor allem Architektinnen und Architekten, Geometer:innen, Ingenieurinnen und Ingenieure – jene Freiberufler:innen also, die sich im täglichen Arbeitsleben damit auseinandersetzen müssen.
Am 17. April begann erneut eine Artikeldebatte im II. Gesetzgebungsausschuss. Die Änderungen sollten, so hieß es im Begleitbericht der zuständigen Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer, „die Lesbarkeit und die Anwendbarkeit des Gesetzes […] erleichtern.“ Voraussichtlich noch im Mai beschäftigt sich der Südtiroler Landtag mit dem Entwurf.
Ist nun tatsächlich Besserung in Sicht? Oder ist die Situation ohnehin schon besser als allgemein wahrgenommen? Die SWZ hat sich umgehört.
„Kein gemeinsamer Weg“
Riccardo Della Sbarba, Grünen-Landtagsabgeordneter und Mitglied des II. Gesetzgebungsausschusses, findet klare Worte: „Das Gesetz ist gescheitert.“ Im Vergleich zum Ursprungstext von Richard Theiner habe es bereits mehr als 500 Abänderungen gegeben. „Es ist eine Bankrotterklärung für die Landespolitik.“ Das erklärte Ziel, Rechtssicherheit zu schaffen, sei nicht erreicht worden – im Gegenteil. „Viele Absätze sind zweideutig und es gibt große Spielräume für Interpretationen.“ So könnten unter anderem Techniker:innen nicht arbeiten.
Dass das Gesetz bereits „drei-, viermal neu aufgerollt“ worden sei, erklärt sich Dello Sbarba durch fehlenden politischen Willen. „Die SVP hat noch nicht beschlossen, wo sie in dieser Materie hinwill. Es scheint nicht so, als ob ein gemeinsamer Weg gefunden worden wäre, auch nicht mit den neuen Änderungen.“ Diese würden eine ungünstige Kombination beinhalten: Zum einen werde die Frist für die Erstellung des Gemeindeentwicklungsprogramms gestrichen, zum anderen der Artikel 103 erweitert, der die Übergangsbestimmungen enthält. „Die Gemeinden erhalten immer mehr Möglichkeiten, ohne Gemeindeentwicklungsprogramm zu arbeiten.“
Überzeugt vom großen Wurf
Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer wird indes nicht müde, das Gesetz zu verteidigen. Die von Dello Sbarba zitierten Abänderungen seien Teil der parlamentarischen Arbeit. „Jeder und jede Abgeordnete hat das Recht, Änderungsvorschläge einzubringen.“ Es stimme, dass die Anwendung einzelner Artikel Schwierigkeiten bringen könne und dass es Herausforderungen für Techniker:innen, Freiberufler:innen und andere gebe. „Wir dürfen aber nicht das Positive aus den Augen verlieren.“ Die Landesrätin sagt: „Ich bin nach wie vor überzeugt vom großen Wurf, davon, dass alle Gemeinden autonom über ihre Entwicklung nachdenken. Leider passiert es in unserer Gesellschaft zu oft, dass man nur hört, was nicht passt. Auch bei der Raumordnung gibt es viele, die im Stillen arbeiten und sich zurechtfinden. Im Fokus stehen aber die Lauten.“ Zugleich zeigt sich Hochgruber Kuenzer selbstkritisch: „Vielleicht bin ich in der Kommunikation nicht stark genug, um das große Ganze zu vermitteln.“
Mehr Lösungsorientierung
Die Bürgermeisterin von Hafling, Sonja Anna Plank, kennt die Herausforderungen, die sich durch das Gesetz ergeben, nur zu gut. „Ich bekomme mit der Raumordnung noch ein Magengeschwür“, schrieb sie unlängst auf Twitter. Wieso genau? „In vielen Bereichen ist die konkrete Umsetzung nicht geregelt, in anderen bewegen wir uns auf Neuland.“ Den Bürgerinnen und Bürgern sei allerdings schwer vermittelbar, dass es häufig die passenden Instrumente noch nicht gibt. „Wenn jemand Bienenstände bauen möchte, kennen wir die erlaubten Dimensionen, aber wissen nicht, wo sie errichtet werden dürfen, weil der Landschaftsplan fehlt“, nennt Plank ein Beispiel.
Sie hoffe deshalb auf Klarheit und genauere Definitionen. „Es ist ungut, wenn man etwas genehmigen will und dann plötzlich nicht mehr kann. Was sollen wir den Leuten sagen?“ Außerdem wünscht Plank sich mehr Lösungsorientierung. „In der Praxis gibt es nun mal oft Einzelfälle. Die bleiben derzeit liegen, weil versucht wird, alles anzugleichen, um dadurch Gerechtigkeit zu schaffen. Mit dieser Vorgehensweise verschlimmern wir gewisse Situationen auch.“ Hafling etwa habe als Dorf Streusiedlungscharakter, wodurch das Ziehen einer Siedlungsgrenze nicht schlüssig erfolgen könne.
Das Neue anerkennen und mittragen
Insgesamt mehr Vor- als Nachteile sieht Giovanni Seppi, Vizebürgermeister von Leifers und Bauamtsleiter in Kaltern. „Am Anfang habe ich mich zwar, wie viele andere auch, schwergetan, aber man kann sich hineinarbeiten.“ Das Thema Landschaftsschutz stärker zu gewichten, sei richtig und wichtig gewesen, um Projektanten und Projektantinnen sowie Lokalpolitiker:innen zu sensibilisieren. Erste Erfolge würden bereits sichtbar, so beobachte er etwa eine steigende Bauqualität. „Der bürokratische Mehraufwand mag gegeben sein, aber die Ergebnisse passen“, sagt Seppi. „Ich stoße selbst manchmal auf Unklarheiten, halte dann Rücksprache mit den zuständigen Landesämtern und habe bisher immer eine Lösung gefunden. Mein Appell lautet daher: Versuchen wir nicht ständig, das neue Gesetz ans alte anzupassen, sondern erkennen wir die politische Ausrichtung des neuen an und tragen dieses mit.“
Die prinzipiellen Bedürfnisse der Bauherren würden nach wie vor gedeckt. „Manche sagen, mit dem neuen Gesetz geht nichts mehr. Dafür sehen wir überall zu viele Kräne und Baustellen“, schmunzelt Seppi. „Wenn mal etwas nicht realisiert werden kann, zeigen die meisten Bauherren Verständnis. Wir müssen schließlich der gesamten Landschaft Beachtung schenken und ihr eine gewisse Qualität geben, und dazu zählt eben auch die Baulandschaft. Das sind wir den nächsten Generationen schuldig.“
„Kubatur ist nicht gleich Kubatur“
Kritischer gestimmt ist Peter Kasal, Direktor des Landesamtes für Landschaftsplanung. Das Grundproblem sei gewesen, „dass die Personen, die das neue Gesetz haben wollten, ganz einfach nicht vom Fach waren. Sie haben das völlig unterschätzt.“ Das Gesetz sei dann zwar in Kraft getreten, aber ohne, dass das Umfeld, sprich die Rahmenbedingungen, vorbereitet gewesen wären.
Die drei erklärten Ziele, Einfachheit, Rechtssicherheit und kein Bauen mehr im Grünen, seien noch nicht erreicht worden.
Zum Letzteren bemerkt Kasal: „Es wird immer Strukturen und Anlagen auch in der freien Landschaft brauchen, es kommt aber darauf an, welche, das ist zu bewerten. Leider bewegt man sich bei uns viel zu oft zwischen den Extremen, entweder alles oder gar nichts, der vernünftige Mittelweg ist abhandengekommen.“
Gute Ansätze im neuen Gesetz seien hingegen das übergemeindliche Denken und die strategische Planung. „Bei der Erarbeitung muss man aber jetzt auch aufpassen, dass es nicht zu theoretisch wird. Eine solide Basis auf Daten und Fakten ist gut, das Ganze muss aber auch anwendbar sein“, so Kasal.
Bedenklich findet Kasal die Südtiroler Fixierung auf Kubatur, also Baumasse. Obwohl unsere Provinz hauptsächlich mit Landwirtschaft und Tourismus in Verbindung gebracht werde, generieren Industrie, Handwerk und Dienstleistungssektor die größte Wertschöpfung. „Wenn also Bauland vergeben wird, sollten Nachhaltigkeit und Innovation als Kriterien herangezogen werden. Kubatur ist nicht gleich Kubatur, es kommt darauf an, was drinsteckt“, gibt Kasal zu bedenken.
Und nun? „Es sollten alle einen kühlen Kopf bewahren, die Knackpunkte klar definieren und die offenen Probleme abarbeiten. Dafür wäre es wichtig, alle verfügbaren Kräfte und Mittel zu bündeln. Nur so kann das funktionieren.“
„Eine Katastrophe“
Klare Vorstellungen von einem guten Gesetz hat Geometer Alois Antholzer. Bereits vor zwei Jahren wandte er sich in einem Leserbrief an die SWZ. Ein gutes Gesetz, schrieb er, sei eines, „das klar und unmissverständlich so formuliert ist, dass es auch die einfachen Bürger verstehen, ein Gesetz, das nur wenige Durchführungsbestimmungen erfordert und das nicht dauernd nachgebessert werden muss.“ So sei jenes zu Raum und Landschaft allerdings nicht. Hat er seine Meinung inzwischen revidiert? „Nein. Es ist unverändert eine Katastrophe“, befindet Antholzer. Änderungen am Gesetz würden „nur darübergestülpt – ohne gravierende Verbesserungen“. Sein Wunsch? „Alles weg und von Neuem starten oder das alte Gesetz reinstallieren.“ Realistisch betrachtet, habe er jedoch kaum Hoffnung auf Besserung.
Besonders ärgerlich findet Antholzer die restriktiven Regeln im landwirtschaftlichen Grün. „Es ist nicht automatisch alles Landschaftsschutzgebiet. Auch im landwirtschaftlichen Grün leben Menschen und möchten sich entfalten, dem müsste man Rechnung tragen.“
Weiter viele Baustellen offen
Die Meinungen zum Landesgesetz für Raum und Landschaft gehen drei Jahre nach dem Inkrafttreten noch immer weit auseinander. Auch die jüngsten Abänderungen werden daran nichts ändern. Klar ist, dass es wohl kein Zurück mehr geben wird, weshalb die beste Option darin besteht, sich mit dem neuen Gesetz zurechtzufinden. Lösungsansätze sind vorhanden, die vielen offenen Baustellen müssen koordiniert angegangen werden, so der Tonus. Die Revolution bleibt somit zwar aus, doch vielleicht gelingt die Evolution.