Florenz/Bozen – Florenz war im November innerhalb weniger Tage Schauplatz von gleich zwei großen Veranstaltungen, bei denen es um die Zukunft des Tourismus ging: zuerst das „Forum Internazionale del Turismo“, dann der allererste G7-Gipfel der Geschichte, der ausschließlich dem Tourismus gewidmet war. Beim G7-Gipfel trafen sich hohe Vertreter der Tourismus- und Wirtschaftsministerien aus den sieben wichtigsten Industriestaaten der Welt. Die Einordnung übernahm Julia Simpson, die Präsidentin des „World Travel & Tourism Council“: Die globale Reiseindustrie, so rechnete sie vor, setze heuer 11.000 Milliarden Dollar um und zahle 3.000 Milliarden an Steuern. Auch gebe sie knapp 350 Millionen Menschen Arbeit, mehr als der gesamten Bevölkerung der USA.
Santanchè: „Overtourism ist ein Fluchwort“
Eine Woche zuvor hatte Italiens Tourismusministerin Daniela Santanchè beim „Forum Internazionale del Turismo“ die Bedeutung des Sektors ebenfalls betont: In „Bella Italia“ sei er laut einer Erhebung der Universität Tor Vergata in Rom direkt und indirekt für 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verantwortlich. „Wir müssen aufhören, in Italien über Overtourism zu reden, denn es kommt einem Fluchwort gleich, zu sagen, dass zu viele Touristen nach Italien kommen“, meinte Santanchè und ergänzte, dass Italien sogar Potenzial für noch mehr Tourismus habe, denn es verzeichne weniger Nächtigungen als Frankreich, obwohl es über mehr Gästebetten verfüge.
„Wir müssen aufhören, in Italien über Overtourism zu reden, denn es kommt einem Fluchwort gleich, zu sagen, dass zu viele Touristen nach Italien kommen.“
Laut Eurostat-Datenbank stimmt, was Santanchè sagt. Italiens 5,2 Millionen Gästebetten waren 2023 (offiziell) 447 Millionen Mal belegt, Frankreichs 5,1 Millionen Betten hingegen 460 Millionen Mal. Europas Urlaubsdestination Nummer eins ist Spanien mit 485 Millionen Nächtigungen bei 3,8 Millionen Betten. Trotzdem war es gewagt von der Ministerin, ausgerechnet in Florenz den Overtourism infrage zu stellen, in einer Stadt, in der die Touristenflut vielen Einheimischen zu viel geworden ist und Airbnb-Unterkünfte massiv Wohnraum entziehen. Freilich sagte Santanchè in Florenz noch etwas und wiederholte es beim G7-Gipfel: Es müsse gelingen, Touristenströme besser zu steuern sowie zeitlich und örtlich zu entzerren.
68 Gästenächtigungen pro Kopf der Bevölkerung
Das ist auch ein Thema in Südtirol, zuletzt zum Beispiel im Landtag bei einer Expertenanhörung. Zwar erkennt die Südtiroler Bevölkerung den Nutzen des Tourismus für das Land an, doch wird auch die Belastung stark gespürt – das hat soeben eine repräsentative SWZ-Umfrage ergeben (SWZ 43/24, nachzulesen hier und in der SWZapp). Tatsächlich spielt Südtirol in Europas Tourismusliga ganz vorne mit, mit allen Vor-, aber auch Nachteilen. Mit 36 Millionen Gästenächtigungen im Jahr 2023 ist Südtirol laut Eurostat die Nummer 21 unter 260 europäischen Regionen, knapp hinter Tirol auf Rang 17. Mehr als doppelt so viele Nächtigungen wie Südtirol verzeichnen die Kanaren (95 Millionen), die kroatische Adria (87 Millionen) und Katalonien (85 Millionen).
Aussagekräftiger als die nackte Nächtigungszahl ist das Verhältnis Übernachtungen/Bevölkerung. Dabei rückt Südtirol ins absolute Spitzenfeld. 2023 verzeichnete es 68 Gästenächtigungen pro Kopf der Bevölkerung. In Tirol sind es 50, im Trentino 35. Nur zwei griechische Inselregionen stehen in dieser Statistik vor Südtirol: die südliche Ägais mit ihrer Hauptinsel Rhodos (117 Nächtigungen pro Einwohner:in) sowie die westlich vom Festland gelegenen Jonischen Inseln mit Korfu als Zentrum (98 Nächtigungen). Unmittelbar hinter Südtirol folgen auf Rang vier das sogenannte Adriatische Kroatien rund um Split, Rijeka, Zadar und Pula, auf Rang fünf die Balearen (mit Mallorca) und auf Rang sechs Griechenlands größte Insel Kreta.
Freilich darf ein feiner Unterschied nicht vergessen werden. Südtirol ist unter den Top 5 die einzige Region mit Sommer- und Wintertourismus. In Südtirol verteilen sich die Nächtigungen somit auf zwei Hauptsaisonen, während sich in den Meeresdestinationen das Urlaubsgetümmel auf den Sommer konzentriert. Dass die touristische Belastung in Südtirol höher ist als auf Mallorca oder Kreta, lässt sich also nicht in dieser Absolutheit sagen.
Wo liegt Mayotte?
Am anderen Ende der Tourismusrangliste steht ein unbekannter Name. Keine andere der 260 europäischen Regionen in der Eurostat-Statistik hat weniger Tourismus als Mayotte: Auf 310.000 Einwohner kommen 162.000 Gästenächtigungen in 504 Betten, also 0,5 Übernachtungen pro Einwohner:in. Mayotte ist eine französische Übersee-Insel zwischen Madagaskar und Mosambik. Es gibt nur wenige Flugverbindungen, dafür kann bequem mit dem Euro bezahlt werden. Das Magazin „Geo“ nannte die Insel „ein Tropenparadies im Dornröschenschlaf mit berauschender Natur und überwältigender Unterwasserwelt“.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Südtirol am Stockerl