Bozen – Axel Plünnecke ist der Leiter des Clusters Bildung, Innovation, Migration am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln. Bei der Vollversammlung des Unternehmerverbandes Südtirol (UVS) Ende Mai zeigte er unmissverständlich auf: Universitäten sind für Wirtschaftsstandorte ein wichtiger Hebel im Wettbewerb um Talente und im Bemühen um Innovationskraft. Unis locken Studierende von auswärts an, und die Studierenden werden dann bestenfalls als Hochqualifizierte in der Region sesshaft. In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels ist das nicht unwesentlich. Plünnecke zeigte in seinem Vortrag auf, wie in Deutschland die Patentanmeldungen durch Zugewanderte überdurchschnittlich steigen. „Über Hochschulen kann man ein Stück Internationalisierung schaffen, und zwar eine, die vor Ort stärker als Gewinn wahrgenommen wird. Das ändert das Bild, das von Migration existiert“, so Plünnecke.
Ein Fünftel der Studierenden bleibt in Südtirol
Diesen sogenannten Regionalbindungseffekt nimmt auch die Landesbeobachtungsstelle für den Arbeitsmarkt in ihrer jüngsten „Arbeitsmarkt-News“ unter die Lupe. Und siehe da: Etwa 20 Prozent der rund 5.000 Südtirolfremden, die zwischen 2004 und 2023 ihr Studium an der Freien Universität Bozen (unibz) absolvierten, haben ihren Wohnsitz nach Südtirol verlegt bzw. sind nach Südtirol gezogen. So wie junge Südtiroler:innen wegziehen, wenn sie anderswo studiert haben (laut Arbeitsmarkt-News zum Beispiel 28 Prozent in Innsbruck, 50 Prozent in München und Wien, 40 Prozent in Mailand), bleiben junge Südtirolfremde hierzulande hängen, wenn sie an der unibz studiert haben. Der Magnet wirkt.
„Wir verlieren Studierende, noch bevor wir sie haben.“
Er könnte aber noch viel besser wirken. „Wir verlieren Studierende, noch bevor wir sie haben“, bringt es Mario Burg auf den Punkt, der Leiter der Servicestelle Studienberatung an der unibz. Sie interessieren sich für ein Studium an der unibz, vielleicht auch wegen des Alleinstellungsmerkmals Dreisprachigkeit, dann aber finden sie keine (erschwingliche) Unterkunft und entscheiden sich für einen anderen Studienort. „Wir kriegen sicher nicht alle Studierenden, die wir potenziell anziehen könnten“, pflichtet der künftige unibz-Rektor Alex Weissensteiner bei. Anders ausgedrückt: Der Wirtschaftsstandort Südtirol verbaut sich Chancen.
Unter 400 Euro im Monat kaum etwas zu kriegen
Das Wohnen lässt also nicht nur viele Einheimische stöhnen und erschwert den Zuzug von Arbeitskräften, sondern es ist auch für die unibz ein Problem, wenngleich nicht an allen drei Uni-Standorten gleichermaßen. In Brixen, wo an der Fakultät für Bildungswissenschaften in erster Linie Einheimische studieren, reichen die zirka 110 Schlafplätze in den vier vom Land geförderten Wohnheimen aus. In Bruneck und Bozen bestünde laut Mario Burg hingegen Bedarf an Wohnheimplätzen. In der Landeshauptstadt sei die Situation besonders prekär.
Rund 630 Schlafplätze in acht Bozner Wohnheimen bietet das Land laut Website, davon 550 Einzelzimmer. Zum Vergleich: In Bozen zählt die unibz 2.400 bis 2.500 Studierende (von ihren insgesamt 4.200 bis 4.400 Studierenden), Tendenz steigend. Die Heimplätze für das kommende Studienjahr sind längst vergriffen. Vorrang hatten Studienanfänger:innen, auch wurden heuer erstmals soziale Kriterien definiert, nachdem die bisherige Praxis mit dem Click Day nicht wirklich funktionierte: Im vergangenen Juni stürzte das System ab.
Genau genommen sind die 630 Schlafplätze in Bozen – im Vergleich zu vielen anderen Universitätsstädten – gar nicht mal so schlecht.
Genau genommen sind die 630 Schlafplätze in Bozen – im Vergleich zu vielen anderen Universitätsstädten – gar nicht mal so schlecht. Die Unterbringungsquote, also das Verhältnis zwischen Heimbetten und Studierenden, beträgt 25 Prozent. Im Deutschlandschnitt sind es zehn Prozent, hat das Deutsche Studentenwerk errechnet. Aber: In Bozen funktioniert der private Wohnmarkt für Studierende schlechter als anderswo. Und die 75 Prozent, die kein Bett in einem Wohnheim ergattern, müssen sich zwangsläufig auf dem freien Markt umsehen. Mario Burg sagt, dass erstens die touristische Kurzzeitvermietung über Plattformen wie Airbnb „eine Riesenkonkurrenz“ sei, weil sie lukrativer ist. Zweitens müsse sich Bozen erst noch an Studierende gewöhnen: „Gerade bei internationalen Studierenden winken die meisten Vermieter ab, aus Angst vor Verständigungsproblemen oder sonst welchen Schwierigkeiten“, beobachtet Burg. Alexander von Walther, der Vorsitzende der Südtiroler HochschülerInnenschaft sh.asus bestätigt: In Innsbruck, wo er studiere, sei es wegen der langen Uni-Tradition viel selbstverständlicher, an Studierende zu vermieten. Entsprechend funktioniert der Mietmarkt in Innsbruck besser. „Innsbruck ist günstiger als Bozen“, sagt von Walther.
In Bozen braucht es schon etwas Glück, um einen Platz in einer Wohngemeinschaft für eine Monatsmiete von 350 bis 400 Euro zu ergattern.
In Bozen braucht es schon etwas Glück, um einen Platz in einer Wohngemeinschaft für eine Monatsmiete von 350 bis 400 Euro zu ergattern. Teurere Unterkünfte zu finden, ist auf den Portalen der unibz-Studienberatung (accomodatonunibz) und des „Movimento Universitario Altoatesino (Yost) viel einfacher. Nur ein schwacher Trost ist, dass sich Bozen damit in bester Gesellschaft befindet. Im vergangenen Herbst hat es in mehreren italienischen Universitätsstädten Studentenproteste wegen der unerschwinglichen Mieten gegeben.
Die Unterbringungskosten in den Wohnheimen in Bozen und Innsbruck wären eigentlich vergleichbar: In Bozen kostet das Einzelzimmer 360 Euro im Monat und der Platz im Zweibettzimmer 270 Euro, in Innsbruck reichen die Preise laut von Walther von „maximal 450 Euro im Internationalen Studentenhaus gleich neben der Uni bis 200, 300 Euro in Heimen etwas außerhalb“.

In Bozen sollen neue Wohnheime entstehen
Die Politik scheint sich der Problematik bewusst zu sein. Um das Angebot an Unterkünften für Studierende zu erhöhen, hat das Land die Möglichkeit geschaffen, dass Private in Gewerbegebieten Wohnheime errichten können. Daraufhin nahm die Gemeinde Bozen im Herbst 2023 eine Marktsondierung vor und hieß vier Vorschläge gut: Das Unternehmen Straudi will 248 Betten für Studierende schaffen, die Habitat 207, Decor 160 und Demeter 156. Macht insgesamt rund 770 Plätze, die laut Vorgaben der Stadtgemeinde spätestens im September 2026 bezugsfertig sein müssen. Ob das klappt, wird sich zeigen. Und ob dadurch die Preise sinken oder sogar noch steigen, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Die Gemeinde Bozen hat einen Mietpreisdeckel festgelegt: Maximal 600 Euro darf das Einzelzimmer kosten. Genau dieser Mietpreisdeckel ist der sh.asus ein Dorn im Auge. „Ich frage mich, ob es wirklich notwendig war, einen Preis zu nennen“, kritisiert Alexander von Walther. Zwar handelt es sich um eine Obergrenze, doch befürchten er und seine Stellvertreterin Magdalena Scherer, dass sich die Angebote nahe dieser Grenze bewegen werden und das Preisniveau folglich eher nach oben treiben, anstatt es zu senken.
„Ich habe große Hoffnungen, dass der Preisdruck durch ein höheres Angebot potenziell nachlässt.“
Weniger pessimistisch äußert sich der künftige unibz-Rektor Alex Weissensteiner: „Ich habe große Hoffnungen, dass der Preisdruck durch ein höheres Angebot potenziell nachlässt.“ Die Frage sei nur, wie lange das dauere.
Das Land könnte mit Zuschüssen eingreifen
Der sh-Vorsitzende Alexander von Walther ist sich sicher, dass an einem stärkeren finanziellen Engagement des Landes kein Weg vorbeiführt, wenn Südtirol künftig ein attraktiver und erschwinglicher Studienstandort sein will. Allein mit der Schaffung von zusätzlichem Angebot sei es nicht getan. Tatsächlich schwebt Bildungslandesrat Philipp Achammer ein Modell vor, das er als „sehr realistische Option“ ab 2025 bezeichnet: Es könnte sein, dass das Land künftig ausgewählte private Wohnheime mit denselben Zuschüssen unterstützt wie die Landesheime („plus minus 50 Prozent“), unter der Bedingung, dass sie die Tarife der Landesheime nicht überschreiten, derzeit 360 Euro fürs Einzelzimmer.
Tatsächlich schwebt Bildungslandesrat Philipp Achammer ein Modell vor, das er als „sehr realistische Option“ ab 2025 bezeichnet.
Achammer ist sich bewusst, wie wichtig die Uni – auch für den Arbeitsmarkt – ist und wie bedeutend daher das Schaffen von erschwinglichen Wohnmöglichkeiten für Studierende. „Ein Studium darf nicht das Privileg von Betuchten sein. Und wenn wegen des demografischen Wandels ohnehin die Immatrikulationen überall rückläufig sind, müssen wir uns bewegen, um die Zielmarke von 5.000 Studierenden für die Uni Bozen zu erreichen“, so Achammer, der sich „lieber nicht darauf verlassen will, dass der Markt das regelt“.
Alex Weissensteiner pflichtet bei: „Ich möchte eine Gesellschaft, in der alle die Möglichkeit zum Studium haben. Die hellsten Köpfe sind nicht immer die Wohlhabendsten.“ Im Übrigen erhöhe das teure Wohnen den Druck, studienbegleitend mehr zu arbeiten, was „nicht optimal“ sei für das Studium.
Der Ferrari Tower sorgt für Gesprächsstoff
Für Gesprächsstoff sorgt derzeit der sogenannte Ferrari Tower am Bozner Boden, der vor allen anderen neuen Wohnheimen bezugsfertig geworden ist. Dahinter steht ein Trust des verstorbenen Bozner Papierhändlers Robert Ferrari, berichtete das Wochenmagazin ff im vergangenen Jahr. Der weithin sichtbare nagelneue Wohnkomplex mit zwölf Stockwerken beherbergt 217 Einzelzimmer und 22 Appartements für Studierende, aber auch für Arbeitskräfte und Interessierte. Auf der Website wird mit Preisen zwischen 890 Euro pro Monat für ein 20-Quadratmeter-Einzelzimmer und bis 1.600 Euro für ein 50-Quadratmeter-Appartement geworben.
Auf der Website wirbt der Ferrari Tower mit Preisen zwischen 890 Euro pro Monat für ein 20-Quadratmeter-Einzelzimmer und bis 1.600 Euro für ein 50-Quadratmeter-Appartement.
890 Euro als Mindestpreis! Zwar ist der private Ferrari Tower mehr Hotel als Studentenwohnheim. Trotzdem geht die Angst um, dass die Mietpreise in seinem Windschatten tendenziell steigen werden. Mario Burg befürchtet noch etwas: „Potenzielle Studierende, die auf der Suche nach einer Unterkunft auf dieser Website landen, könnten glauben, in Bozen sei alles so teuer.“
Wie auch immer, wer Talente anlocken will, muss sicherstellen, dass sie irgendwo erschwinglich schlafen können. Südtirol hat da noch gar einige Hausaufgaben zu erledigen.