Bozen – Der Hotelier Karl S. sieht sich bestätigt. Er hat vor drei Jahren einen umfangreichen Umbau mit einem Bankdarlehen über zwölf Jahre zu einem Fixzinssatz von 1,61 Prozent finanziert. „Ich wollte“, sagt er, „kein Risiko eingehen, denn als junger Bursche habe ich Anfang der 1980er-Jahre noch erlebt, wie verheerend sich ein abrupter starker Zinsanstieg auswirken kann. Mir schien, etwas höhere Zinsen zu zahlen und dafür besser schlafen zu können, sei geraten.“ In der Folge kamen dem Hoteleigentümer aber doch einige Zweifel, denn die Zinsen blieben sehr niedrig, und Kollegen, die sich für ein Darlehen mit variablen Zinsen entschieden hatten, freuten sich über bessere Konditionen.
Beginn bei Darlehen mit Fixzinssatz
Das hat sich jetzt geändert. „Wer heute ein langfristiges Darlehen zu einem fixen Zinssatz möchte, kriegt dieses nicht unter zwei Prozent“, bestätigt Anton Amplatz, der Direktor der Raiffeisenkasse Deutschnofen-Aldein. Als Grund nennt er einen Anstieg der Kapitalmarktzinsen, in dem sich die Markterwartungen bezüglich der weiteren Entwicklung spiegeln. Was der Markt erwartet, zeigt die Tatsache, dass die Banken für Gegengeschäfte zur Abdeckung ihrer festverzinslichen Finanzierungen höhere Zinsen bezahlen müssen. Auch sind die Neuemissionen von staatlichen Schuldverschreibungen auf internationaler Ebene, die zu einem negativen Zinssatz losgeschlagen werden konnten, seit Jahresbeginn um 70 Prozent gesunken. Gleichzeitig sind die durchschnittlichen Renditen deutscher Anleihen um 50, jene der italienischen Anleihen um 130 Basispunkte gestiegen.
Noch hat sich dies alles nicht stark auf die Zinsen von Krediten und Darlehen ausgewirkt, zumal der Anteil der festverzinslichen Finanzierungen nur etwa zehn Prozent beträgt (bei den Raiffeisenkassen und deren Landesbank sind es nach Angaben des Raiffeisenverbandes zwölf Prozent). Und die knapp 90 Prozent, die bisher auf variable Zinsen gebaut haben, können vorläufig weiterhin mit sehr günstigen Sätzen rechnen.
Die hohe Inflationsrate hält länger an
Das Umfeld hat sich allerdings stark verändert, und die Zeichen, dass es zu einem Anstieg der Zinsen kommt, sind nicht mehr zu übersehen. Vorweggenommen wurde die Entwicklung bei den Bauzinsen in Deutschland, die Anfang Jänner 2022 ein Prozent betrugen, Mitte April schon zwei.
Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt in der derzeit hohen Inflationsrate von etwa sieben Prozent. Begonnen hat alles vor einem Jahr mit steigenden Energiepreisen, im Herbst gab es einen neuen Schub, und der Ukrainekrieg hat die Teuerung zusätzlich getrieben. Inzwischen geht es nicht bloß um Strom, Gas und Erdöl, sondern um viele Güter des täglichen Bedarfs, zumal die Energie ein wichtiger Produktionsfaktor ist und so manche Waren außerdem knapp geworden sind.
Die EZB unter Zugzwang
Die EZB hat die Inflation lange Zeit als vorübergehende Erscheinung bezeichnet und betont, dass sie aus diesem Grund keine Maßnahmen zur Sicherung der Geldwertstabilität ergreifen, sprich: keine Zinserhöhungen vornehmen werde. Dieser Linie ist sie bis zuletzt treu geblieben. Die Leitzinsen wurden auch in diesem Monat nicht angehoben. Der Grund: Die vom Ukrainekrieg gebremste Konjunktur soll nicht durch höhere Zinsen weiter eingebremst werden. Beschlossen hat die EZB allerdings einen vorgezogenen Ausstieg aus ihrem Anleihenkaufprogramm. Alte Papiere werden erneuert, zusätzliche Emissionen lässt die Notenbank links liegen. Ein weiterer Grund für das Festhalten am Nullzinssatz ist wohl die Tatsache, dass sich alle Staaten durch ihre Coronahilfen zusätzlich hoch verschuldet haben. Manche von ihnen drohen im Falle langfristig hoher Zinsen zahlungsunfähig zu werden. Können sie – wie private Unternehmen – allerdings die Zinsen stemmen, frisst die Inflation langfristig die Schulden auf.
Christine Lagarde und ihre Kollegen im Rat der EZB stehen allerdings unter Zugzwang. Die Inflation bleibt hoch (und nichts lässt erwarten, dass sich dies rasch ändern könnte), und die Nettozinsen (Bruttozinsen minus Teuerungsrate) bewegen sich tief im roten Bereich. Dies erregt Abwanderungsgelüste bei den Anlegerinnen und Anlegern. Ein mögliches Ziel könnten die USA sein, wo die Fed den Leitzins im März auf 0,5 Prozent angehoben und für das laufende Jahr angesichts der galoppierenden Inflation weitere Zinsschritte angekündigt hat. Dies alles lässt erwarten, dass die Europäer nachziehen. Einen Anstieg der Zinsen im Euroraum erwarten Fachleute aber erst für den Herbst. Ab dann dürften die Billigkredite Geschichte sein.