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Start-up-Übernahmen: Die Erfahrungen zweier Südtiroler Unternehmen

WACHSTUM – Während große, internationale Konzerne regelmäßig Start-ups aufkaufen oder den Mehrheitsanteil übernehmen, ist das hierzulande eher selten der Fall. Die Beispiele zweier Südtiroler Unternehmen zeigen, wie sie Start-ups in das eigene Ökosystem integriert haben und was beide Seiten von der Kooperation haben.

Silvia Santandrea von Silvia Santandrea
19. Juli 2024
in Start-ups, Südtirol
Lesezeit: 6 mins read
Start-up Übernahme Exit Fusion

Die Schnelligkeit genauso wie die hohe Innovationskraft sind gerade bei Konzernen zwei der Hauptgründe für die Akquisition von Start-ups. (Foto: Shutterstock / Lukianenko Igor/ HobbitArt/ SWZ)

Jim Unterweger

Bozen – „Viele Start-ups kommen nirgendwo hin – und das wollten wir natürlich nicht. Also haben wir, als sich die Chance ergeben hat, unser Baby groß werden zu lassen, die Möglichkeit ergriffen“, sagt Jim Unterweger. Das „Baby“, von dem er spricht, ist das Start-up Carlito; Unterweger selbst ist einer von vier Gründern. Im April dieses Jahres wurde ihr „Baby“ vom Softwareentwickler Yanovis übernommen. Mehrheitseigentümer von Yanovis wiederum ist die Brixner Marketing­agentur Brandnamic.

Michael Oberhofer

Das, was Jim Unterweger und seinen Mitgründern gelungen ist, nämlich das eigene Unternehmen zu veräußern, schaffen nur wenige Start-ups, wenngleich es sich zahlreiche von ihnen zum Ziel setzen. Gleichzeitig gibt es bisher hierzulande nur wenige Unternehmen, die andere Start-ups übernommen haben. „Südtirol ist diesbezüglich noch eher konservativ“, beobachtet Michael Oberhofer, Mitinhaber von Brandnamic. Dass sich viele Betriebe zurückhaltend verhalten, ist nachvollziehbar. Schließlich geht mit einer solchen Akquisition stets auch eine ordentliche Portion Risiko einher. Was also bewegt Unternehmen zur Übernahme von Start-ups? Wie gehen sie mit dem Risiko um? Und wie werden neue Start-ups in den bestehenden Betrieb integriert?

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Das Produkt passt ins Portfolio

Stefan Rubner

„Uns hat damals die Produktidee gut gefallen“, erinnert sich Stefan Rubner, Geschäftsführer der Holzindustrie-Sparte der Rubner-Gruppe. Sein Unternehmen begann im Jahr 2006 mit dem Start-up Holzius zusammenzuarbeiten. Rubner übernahm die Mehrheit der Anteile, ein Teil blieb in der Hand der beiden Gründer Herbert Niederfriniger und Armin Strickner (Letzterer ist mittlerweile ausgestiegen). Rubner stellte das Kapital zur Verfügung, Niederfriniger und Strickner brachten die Idee mit. Bereits vor Rubners Einstieg hatten Niederfriniger und Strickner ihre Idee patentieren lassen: eine Verbindungstechnik für den Bau von Vollholzhäusern. Innovativ ist dabei, dass keine chemischen Stoffe notwendig sind, um die einzelnen Teile miteinander zu verbinden. Stattdessen wird ausschließlich mit Holz gearbeitet (siehe das Porträt von Niederfriniger „Vom Förster zum Unternehmer“ in SWZ 02/23).

Um die Dynamik genauso wie die angeeignete Expertise beizubehalten, haben sowohl Yanovis als auch Rubner einen Teil des Gründerteams bzw. alle Ideengeber übernommen.

Herbert Niederfriniger

Das Produkt von Holzius (das Unternehmen hieß anfangs noch Reinverbund) war also in einem Bereich angesiedelt, in dem die Pusterer Rubner-Gruppe vorher schon tätig war. „Es bedeutete aber eine Differenzierung – und war damit eine Marktchance für die Rubner-Gruppe“, sagt Stefan Rubner.

Buy or build – kaufen oder entwickeln?

Bei der im heurigen April erfolgten Carlito-Übernahme war das Produkt – eine Software – ebenfalls interessant für den Käufer Yanovis. Das Unternehmen hatte für die Guest Journey bereits Tools für die Etappen „Pre-Stay“ und „Post-Stay“ entwickelt. Für den Zeitpunkt des Aufenthalts („On-Stay“) fehlte hingegen noch ein passendes Programm – und das lieferte Carlito. „Das war wie ein fehlendes Puzzlestück“, so Oberhofer.

Den vollen angestrebten Funktionsumfang hat die Lösung von Carlito noch nicht erreicht. Derzeit wird noch intensiv daran gearbeitet. Trotzdem habe sich die Akquisition für Yanovis gelohnt, zeigt sich Oberhofer überzeugt. Dadurch habe das Unternehmen viel Zeit und Ressourcen gespart, die es ansonsten in die Neu-Entwicklung eines Produkts hätte investieren müssen. „In Bezug auf Softwares stellt sich für Unternehmen stets die Frage: ,buy or build?‘. Oder anders: Lohnt es sich eher, selbst etwas inhouse zu entwickeln oder es dazuzukaufen?“, so Oberhofer. Vorteil eines Kaufs sei eindeutig die Schnelligkeit und der Vorsprung, den sich Unternehmen dadurch sichern.

Die Schnelligkeit genauso wie die hohe Innovationskraft sind gerade bei Konzernen zwei der Hauptgründe für die Akquisition von Start-ups, das liest man in Berichten immer wieder. Entscheidungswege sind in großen Unternehmen meist länger, Innovation geht dementsprechend oft weniger schnell vonstatten. Integriert ein solches Unternehmen ein Start-up in das eigene Ökosystem, übernimmt es auch gleichzeitig seine Dynamik oder zumindest einen Teil davon.

Synergien nutzen

Um die Dynamik genauso wie die angeeignete Expertise beizubehalten, haben sowohl Yanovis als auch Rubner einen Teil des Gründerteams bzw. alle Ideengeber übernommen. Carlito zählte vier Gründer, dazu kamen weitere Angestellte verteilt auf das In- und Ausland. Zwei der Gründer, die nebenberuflich für das Start-up tätig waren, entschieden sich auszusteigen, zwei arbeiten nun unter Yanovis am Projekt Carlito weiter – unter anderem Jim Unterweger. Die restlichen Mitarbeitenden sahen sich nach einem neuen Job um, wie das bei Exits und Übernahmen oft der Fall ist.

Das Unternehmen Carlito wurde in Yanovis integriert. „Viele Prozesse laufen jetzt dort mit: die Buchhaltung beispielsweise oder der Verkauf. So nutzen wir Synergien“, sagt Oberhofer. Unterweger ergänzt: „Diese Arbeitsweise ist effizienter, schließlich hat sich das Unternehmen über die Jahre viel Know-how angeeignet. Außerdem haben wir so den Kopf frei, um uns auf das Produkt zu konzentrieren.“ In seiner Zeit als Start-upper (er war CEO und für das Produktdesign zuständig) sei das nicht immer der Fall gewesen.

„Hätten zwei der Gründer nicht mehr dabei sein wollen, dann wären wir auch nicht an dem Produkt interessiert gewesen.“ Michael Oberhofer.

Durch die Akquisition von Carlito hat Yanovis also zwei neue Mitarbeitende dazugewonnen, die das Produkt in- und auswendig kennen. „Hätten sie nicht mehr dabei sein wollen, dann wären wir auch nicht an dem Produkt interessiert gewesen“, unterstreicht Oberhofer. Diese Motive verfolgen auch zahlreiche andere Unternehmen, die Start-ups aufkaufen: Sie versprechen sich davon, Führungskräfte genauso wie Fachleute zu gewinnen.

Der Kopf muss bleiben

Auch bei Holzius drehte sich vor dem Einstieg der Pusterer Gruppe ein Teil der Gespräche um die Frage, was mit den beiden Ideengebern und Gründern passiere. Niederfriniger hatte seine Anteile eigentlich verkaufen und sich auf seinen ursprünglichen Job als Förster konzentrieren wollen. „Von der Gruppe hieß es damals: ,Der Kopf muss bleiben‘“, erinnert sich Niederfriniger.

Auch Stefan Rubner, der an den Verhandlungen beteiligt war, hat diese Gespräche noch vor Augen: „Die Produkt­idee sagte uns zu, aber noch wichtiger war, dass uns die Leute gefallen haben.“ Niederfriniger und Strickner ließen sich überzeugen. „Das war die richtige Entscheidung“, sagt Niederfriniger heute. „Holzius war wie ein Kind für uns, in das wir wohl nur selbst unsere Energie stecken konnten. Die finanziellen Ressourcen, ohne die es nicht gegangen wäre, lieferte uns Rubner.“

Rezept für die erfolgreiche Zusammenarbeit

Anders als bei Carlito, wo das Produkt Teil der größeren Firma wurde, bauten Niederfriniger und Strickner den Betrieb relativ unabhängig von der Pusterer Gruppe auf. Mittlerweile zählt Holzius, dessen Sitz in Prad liegt, knapp 60 Mitarbeitende. Die Rubner-Holding gibt Holzius (genauso wie anderen Unternehmen der Gruppe) bestimmte Richtlinien vor, beispielsweise wird das Budget jährlich genehmigt, wie Niederfriniger erklärt. Einmal im Monat findet eine Managementsitzung statt. Auch kümmert sich Rubner um die IT. „Der Rest passiert direkt bei Holzius“, so Niederfriniger.

Synergien nutze das ehemalige Start-up vor allem hinsichtlich der Organisationsentwicklung. „Wir sind dabei, das einstige Pionierunternehmen Holzius, das recht personenzentriert war, in eine funktionale Organisation zu überführen“, so Niederfriniger. Dabei käme dem Betrieb die Expertise der Gruppe zugute.

Zu seiner Zusammenarbeit als Minderheitsgesellschafter mit der Holding sagt er: „Diese funktioniert vor allem deshalb gut, weil wir einander vertrauen und uns aufeinander verlassen können. Das ist wohl unser Erfolgsrezept.“

Auch der Carlito-Gründer Jim Unterweger zeigt sich überzeugt, dass es für ein Start-up entscheidend ist, den richtigen Käufer bzw. Investor zu finden – und nicht irgendeinen. „Bei der Übernahme war für uns nicht nur der Kaufpreis entscheidend, sondern auch eine gemeinsame Vision. Dementsprechend wäre nicht jeder Käufer infrage gekommen.“ Den Kaufpreis wollen die Verantwortlichen nicht preisgeben.

Die Augen offen halten

Sowohl für Yanovis (und Brandnamic) als auch für die Rubner-Gruppe waren Carlito und Holzius jeweils die erste vollständige Übernahme eines Start-ups. Nach weiteren Kandidaten für eine Kooperation werde nicht aktiv gesucht, sagt Stefan Rubner. Sehr wohl werde aber der Markt beobachtet. In der Holzindustrie, wo der Schwerpunkt der Holding liegt, seien nur wenige Start-ups angesiedelt. Um neue Jungunternehmen kennenzulernen, ist die Gruppe Mitglied des Südtiroler Business-Angels-Netzwerks tba network. Dieses stellt seinen Mitgliedern laufend Start-ups vor. Sollte sich eine Begegnung mit einem ergeben, bei dem die Konstellation passt, schließt Rubner eine weitere Zusammenarbeit nicht aus.

Brandnamic kümmert sich hingegen laufend aktiv um M&A (Mergers and Acquisitions, also Zukäufe, Fusionen usw.), beobachtet den Markt und hält Ausschau nach Start-ups sowie etablierten Unternehmen, bei denen sich ein Einstieg lohnen könnte.

Auf das Risiko einer Start-up-Übernahme angesprochen, meint Oberhofer: „Eine solide finanzielle Basis und operative Stabilität geben einem Unternehmen die Möglichkeit, M&A zu betreiben. Außerdem sind das Synergiepotenzial und das Zukunftspotenzial, genauso wie die neuen Mitarbeitenden, die man als Betrieb bekommt, sehr interessant.“ Oberhofer ist überzeugt, dass es mehr solcher Kooperationen in Südtirols Wirtschaft braucht: „Es ist wichtig, sich zu öffnen. Wenn sich Unternehmen zusammenschließen, die dasselbe wollen, kann das ein Vorteil für alle Beteiligten sein.“

Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Start-up-Shopping“

Schlagwörter: 28-24free

Info

Weitere Exits von Südtiroler Start-ups

In den vergangenen Jahren wurden mehrere Südtiroler Start-ups und solche von Südtiroler Gründerinnen und Gründern im Ausland akquiriert. Hier eine Auswahl davon:
Im November 2023 wurde bekannt, dass die deutsche VORN Bioenergy Gruppe sämtliche Geschäftsanteile des Start-ups Alvus erworben hat. Das Unternehmen mit Sitz im Noi Techpark ist seither Teil eines der führenden Projektentwickler und Biomethanproduzenten in Europa. Bei der Veranstaltung FUSE im Noi gewann Vorn Bioenergy Italia, so heißt das Unternehmen heute, einen Preis in der Kategorie „Most Successful Exit“.
Ebenfalls im vergangenen Jahr wurde Angles90 veräußert, das mit dem Verkauf dynamischer Trainingsgriffe erfolgreich geworden war. Käufer ist eBrands Global, ein finnischer Brand-Aggregator. In einem Interview sagte der Gründer Simon Sparber zur SWZ: „Wir waren bei 1,3 Millionen Euro Umsatz pro Jahr und haben bemerkt, dass wir mit unseren überschaubaren Ressourcen nicht schnell genug wachsen. Wir haben deshalb eingesehen, dass es besser ist, wenn wir das Start-up an jemanden übergeben, der damit mehr Erfolg haben kann.“
Coinpanion fusionierte 2023 mit zwei anderen Unternehmen. Das Krypto-Start-up mit Sitz in Wien war im Jahr 2019 von den drei Südtirolern Alexander Valtingojer, Matthias Zandanel und Aaron Penn sowie Saad J. Wohlgenannt, einem Vorarlberger, gegründet worden. Im Dezember wurde bekannt, dass Coinpanion im neuen Unternehmen Altify aufgeht. Dieses entstand aus dem Zusammenschluss von Coinpanion mit der südafrikanisch-britischen Krypto-Investmentplattform Revix.com sowie dem ebenfalls südafrikanischen Krypto-Anbieter BitFund.
Auch Florian Thaler, ein Südtiroler, durfte sich im vergangenen Jahr über einen Exit im Ausland freuen: Sein Start-up OilX mit Sitzen in London, Wien und Athen wurde vom Beratungsunternehmen Energy Aspects übernommen. OilX ist eine Energiemarktplattform, die es seiner Kundschaft ermöglicht, Entwicklungen der Energiemärkte rund um Erdöl zu verstehen. Das Start-up wurde in das größere Unternehmen eingegliedert, Thaler ist weiterhin CEO von OilX.

Ausgabe 28-24, Seite 2

Silvia Santandrea

Silvia Santandrea

Die Eppanerin hat in Innsbruck Politikwissenschaft und Sprachwissenschaft studiert und hat nach mehreren Praktika bei Südtiroler Printmedien sowie in Radio- und TV-Redaktionen ihren Weg in die SWZ gefunden. Herausforderungen liebt sie – im Job und auch am Berg.

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