Bozen/Parma – Es ist ein paar Minuten nach halb fünf, als sich Matteo Beccatelli zum Online-Gespräch mit der SWZ zuschaltet. „Entschuldigung“, sagt der junge Herr mit der markanten Brille, „hier in Parma gibt’s ein heftiges Gewitter und das Wlan spinnt ein bisschen.“ Matteo Beccatelli, CEO und Mitgründer des Start-ups Plantvoice, lebt in der Nähe von Parma in der Emilia Romagna. In der Gegend wird viel Landwirtschaft betrieben, erzählt er. „Allerdings werden bei uns nicht Äpfel und Trauben angebaut, sondern vorwiegend Getreide, Tomaten und Futtermittel. Hier wird nämlich viel parmigiano reggiano hergestellt.“
Matteo selbst betreibt keine Landwirtschaft – „ich bin Chemiker“, sagt er –, sein Bruder Tommaso hingegen schon, nebenberuflich. Den Großteil ihrer Zeit arbeiten die beiden Seite an Seite für ihr Start-up Plantvoice. Seinen Sitz hat das Unternehmen im Noi Techpark. Dort sind die zwei Brüder nur an wenigen Tagen pro Woche anzutreffen, den Rest der Zeit arbeiten sie von Parma aus, sind bei Kunden oder im Freien unterwegs, in Obstanlagen oder Olivenhainen. Sie widmen sich mit Plantvoice nämlich dem Stressmanagement von Pflanzen.
Gestresste Reben
Während bei Stressmanagement, wie es viele kennen, der Mensch, sein Stressempfinden sowie seine Zeiteinteilung und -nutzung im Vordergrund stehen, dreht sich beim Stressmanagement, wie Plantvoice es versteht, alles um die Pflanzen: Reben, Apfelbäume, Olivenbäume oder Himbeerstauden. Das Start-up entwickelt eine Technologie, die misst, ob die Bäumchen genügend mit Wasser und Nährstoffen versorgt sind. „Sind sie das nicht, sind sie gestresst. Das wirkt sich negativ auf die Qualität der Ernte aus“, erklärt Beccatelli.
Insgesamt gab das Start-up 40.000 bis 50.000 Euro für das Patent aus. „So ist unsere Technologie sicher und wir sind ebenfalls sicher, dass niemand anderes bereits dieselbe Idee hatte.“

Gemeinsam mit einem insgesamt zehnköpfigen Team hat er in den vergangenen Jahren einen Sensor entwickelt. Dieser erinnert stark an einen Zahnstocher, auch Matteo Beccatelli spricht von einem Zahnstocher, wenn er von der hochkomplexen Sonde erzählt. „Unser Zahnstocher wird also in die Pflanze eingeführt, wo sie den Pflanzensaft misst. Von dort werden Daten an eine Cloud geschickt und ausgewertet.“ Landwirtinnen und Landwirte sehen die Ergebnisse dann einfach aufbereitet in einer App oder auf einem PC.
Mittels drei Farben – grün, gelb, rot – sehen die Bäuerinnen und Bauern, ob es der Pflanze beispielsweise an Wasser fehlt, an Nährstoffen, oder ob die Gefahr groß ist, dass sich Bakterien ausbreiten. Dass die Daten einfach aufbereitet werden, sei eine Voraussetzung. „Der Bauer will keine komplexen Daten sehen. Er möchte ein einfaches Instrument haben, das ihn begleitet“, so Beccatelli. Schon jetzt hat Plantvoice mehrere Kunden, darunter Sant’Orsola, eine Genossenschaft, die für den Anbau von Beeren bekannt ist.
Der „Zahnstocher“ von Plantvoice hilft der Landwirtschaft, Wasser, Düngemittel und Pflanzenschutzmittel in der notwendigen Menge einzusetzen. „Dadurch werden im Schnitt 40 Prozent Wasser eingespart, bis zu 20 Prozent Düngemittel und 15 bis 20 Prozent Pflanzenschutzmittel, bei gleichzeitig höherer Qualität“, erklärt Beccatelli. Das komme dem Geldbeutel der Landwirtinnen und Landwirte zugute – und der Umwelt. Für seine Technologie hat das Start-up bereits ein Patent angemeldet.
Die Welt der Patente
„Das war ein langer Weg“, sagt Beccatelli. Zweieinhalb Jahre wartete das Team von Plantvoice auf das Ok vonseiten des „Ufficio Italiano Brevetti e Marchi“ (UIBM). 2022 reichte das Start-up die notwendigen Dokumente ein. „Dabei ließen wir uns von einem Experten beraten“, sagt der Start-upper.
Der erste Schritt hin zu einem Patent sei eine Recherche über eventuelle ähnliche Technologien oder Produkte. Sollte sich herausstellen, dass bereits etwas Vergleichbares entwickelt wurde, wird das mit dem Patent nichts. „Für ein Patent müssen drei Voraussetzungen gegeben sein: die Neuheit, ein hoher Innovationsgrad und die Industrialität [die Möglichkeit eines Produktes, in einem Industrieprozess hergestellt zu werden, Anm. d. Red.]“, erklärt Beccatelli.
40.000 bis 50.000 Euro
Nach der ersten Recherche schrieb das Plantvoice-Team gemeinsam mit dem Berater das eigentliche Patent samt Beschreibung der Technologie, der strategischen Aspekte und Zeichnungen. Etwa zwei Jahre nachdem das Patent eingereicht worden war, bekam das Team die Bestätigung, dass seine Technologie nun in Italien patentiert sei. Auch auf europäischer sowie internationaler Ebene möchte Plantvoice ein Patent erhalten.
Bis die Bestätigung von den zuständigen Behörden kommt, wird aber noch eine Weile vergehen, so Beccatelli. Insgesamt gab das Start-up 40.000 bis 50.000 Euro für das Patent aus. „So ist unsere Technologie sicher und wir sind ebenfalls sicher, dass niemand anderes bereits dieselbe Idee hatte.“ Das schlimmste Szenario sei nämlich, etwas in hoher Stückzahl zu produzieren, und es dann zurückrufen zu müssen, weil ein anderes Unternehmen bereits ein ähnliches Produkt verkauft.
Der Weg sei lang gewesen, aber er habe sich gelohnt, ist Beccatelli überzeugt. Für ihn und zwei weitere Teammitglieder war die Anmeldung eines Patents nichts Neues: Vor Plantvoice hatten die drei bereits ein anderes Produkt patentieren lassen.

Sensoren für Sportler:innen
Matteo Beccatelli, sein Bruder Tommaso und Pierluigi Lodi Rizzini, Rechtsexperte des Plantvoice-Teams, hatten vor Plantvoice bereits ein anderes Start-up gegründet: swemax. Mit diesem entwickelten sie ein Wearable für den Sport. Auch dort lag der Fokus auf Sensoren: „Wir haben Sensoren entwickelt, die die Performance von Sportlern mittels einer Schweiß-Analyse erhöhen sollten“, sagt Matteo Beccatelli. Sein Interesse für Sensoren unterschiedlichster Art kommt nicht von ungefähr: Nach dem Chemiestudium an der Uni Parma ging er nach New York, um sich im Bereich der Sensoren zu spezialisieren.
Irgendwann habe das Dreiergespann gespürt, dass die Landwirtschaft ähnliche Technologien nutzen könnte wie der Sport. Also verkauften sie ihre Anteile am Unternehmen („das war kein Exit, von dem man reich wird“, sagt Beccatelli) und begannen, sich auf eine neue Firma zu konzentrieren.
Drei Lehren aus dem Vorgänger-Start-up
Wie Beccatelli vor dem PC sitzt und erzählt, merkt man, dass die Start-up-Welt nichts Neues für ihn ist. Er scheint zu wissen, was er tut, jeden Schritt, den er mit seinem jungen Unternehmen macht, wirkt, als wäre er gut durchdacht. „Wir haben viel aus unserem ersten Start-up gelernt. Davon profitieren wir heute“, so Beccatelli. Das veranschaulicht er mit drei Lehren, die er aus swemax gezogen hat.
„Man darf nicht zu früh zu viele Festangestellte haben. Die Kosten sind dafür für ein Unternehmen, das noch nicht etabliert ist, einfach zu hoch.“
Lehre Nummer eins lautet: nicht zu früh gründen. „Ein Unternehmen geht mit hohen Kosten einher. Dabei braucht man für viele Schritte gar keine Firma“, so Beccatelli. Anders als swemax, wo er bald einmal, nachdem die Businessidee feststand, ein Unternehmen angemeldet hatte, ließ er sich dieses Mal mehr Zeit. „Wir haben geforscht, an Prototypen gearbeitet und sogar das Patent angemeldet, ohne ein Unternehmen zu haben“, erklärt Beccatelli. Während die Dokumente für das Patent bereits im Jahr 2022 eingereicht wurden, gründeten die Start-upper ihr Unternehmen erst im Oktober 2023 – erst dann, als es unausweichlich wurde, um beispielsweise in den NOI Techpark aufgenommen zu werden oder Finanzierungen zu erhalten.
„Das Geld an den richtigen Orten investieren.“
Das zweite Learning aus Beccatellis erstem Start-up bezieht sich auf die Mitarbeitenden: „Man darf nicht zu früh zu viele Festangestellte haben. Die Kosten sind dafür für ein Unternehmen, das noch nicht etabliert ist, einfach zu hoch.“ Das Team von Plantvoice besteht aus zehn Mitgliedern. Vier davon sind als externe Berater und Co-Founder tätig, drei werden bei Bedarf beauftragt. Angestellte im traditionellen Sinne habe das Unternehmen bislang keine. Wenn Plantvoice einmal mehr Umsatz erwirtschaftet, soll das Team wachsen. „Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir mit einem schlanken Team noch sehr weit kommen“, sagt Beccatelli.
Seine dritte Lehre aus dem ersten Start-up: „Das Geld an den richtigen Orten investieren.“ Für Plantvoice heiße das, nicht in die optische Erscheinung des „Zahnstochers“ zu investieren („den Landwirten ist es wichtig, dass die Technologie funktioniert, nicht wie sie aussieht“), dafür mehr in Kommunikation, den Austausch mit der Kundschaft und eben in das Patent.
Finanziert aus Eigenkapital
Seine Investitionen finanziert Plantvoice bislang über die Bootstrapping-Methode, also mittels Eigenkapital. Investoren seien noch nicht nötig, erzählt Beccatelli. Das sei den vielen Co-Foundern zu verdanken: „Wir können so die erste Finanzierungsrunde aufschieben, bis das Start-up mehr wert ist.“ Durch das Patent habe das Unternehmen an Wert dazugewonnen, weil es bereits etwas vorzuweisen hat. In etwa einem Jahr plant das Start-up, eine erste Finanzierungsrunde durchzuführen, bis dahin soll das Produkt weitgehend fertig entwickelt sein. Auch die Internationalisierung ist früher oder später geplant. In diesem Zusammenhang nennt Beccatelli drei Zahlen: „In Italien ist der durchschnittliche landwirtschaftliche Betrieb acht Hektar groß, in Deutschland 50 und in den USA 1.000.“ Und weil Plantvoice gerade auf große Betriebe abziele, sei die Internationalisierung unausweichlich.
In ein paar Tagen bricht Matteo Beccatelli mit neun weiteren Führungskräften italienischer KMUs in die USA zu einer Reise auf, um dortige Unternehmen und Stakeholder kennenzulernen. Organisiert wurde das Programm vom italienischen Außenministerium. Beccatelli hofft, vor Ort ein paar Kontakte knüpfen zu können: „So fällt es uns später vielleicht leichter, in den USA Fuß zu fassen.“
DIE SERIE Die SWZ stellt in diesen Wochen in der Serie „Start-up Südtirol“ junge Unternehmen und deren Gründer:innen vor, so wie bereits in den vergangenen Jahren. Alle Artikel können hier und in der SWZapp gelesen werden.