Sie sind unsichtbar, obwohl sie immer dann zur Stelle sind, wenn sich die Abgeordneten des Südtiroler Landtags zu ihren Sitzungen versammeln. Ihr Job erfordert eine exzellente Ausbildung und hundertprozentige Konzentration. Trotzdem nimmt kaum jemand Notiz von den Dolmetschern im Landtag. Überhaupt wissen nur wenige Südtiroler, dass im Landesparlament, in das die Wähler alle fünf Jahre die in ihren Augen fähigsten Volksvertreter entsenden dürfen, alles, aber auch gar alles vom Deutschen ins Italienische und wieder zurück übersetzt wird – Schriftliches genauso wie Mündliches. Jedes Mal, wenn sich die Mandatare zu Landtagssitzungen, Kommissionssitzungen und Fraktionssprechersitzungen treffen, sorgen zwei Landtagsmitarbeiter/innen mit Dolmetscherdiplom in einem versteckten Kämmerlein abwechselnd dafür, dass die Sitzungsteilnehmer jede Wortmeldung per Kopfhörer in ihrer eigenen Muttersprache ans Ohr serviert bekommen.
Zehn Mitarbeiter/innen – neun Frauen und ein Mann – zählt das Übersetzungsamt des Landtags laut Homepage, mehrheitlich sind sie in Teilzeit beschäftigt. Sechs Vollzeitstellen sind vorgesehen, gibt Landtagsgeneralsekretär Hubert Peintner Auskunft. Die zehn Mitarbeiter/innen sind zum Teil im Besitz des Übersetzerdiploms und somit zuständig für die (schriftliche) Übersetzung von politischen Akten, zum Teil im Besitz des Dolmetscherdiploms und somit zuständig für das (mündliche) Dolmetschen von Wortmeldungen – letztere Mitarbeiterinnen, ausschließlich Frauen, übernehmen an sitzungsfreien Tagen übrigens Übersetzungsaufgaben.
Nun gut, dass Gesetzentwürfe, Begleitberichte, Beschlussanträge und andere politische Akte übersetzt werden, ist in Ordnung. Alle Volksvertreter sollen die Möglichkeit haben, sich in der eigenen Muttersprache in die teilweise komplexen Sachverhalte einzulesen, ohne an der Fachsprache bestimmter Materien zu scheitern. Aber ist es notwendig, dass in einem Land, das sich selbst mit stolzgeschwellter Brust zwei- bzw. dreisprachig nennt, wirklich jede Wortmeldung im Zuge der politischen Diskussion gedolmetscht wird? Oder darf von Volksvertretern in diesem mehrsprachigen Land erwartet werden, dass sie die zweite Sprache zumindest passiv und in ihren Zusammenhängen verstehen? Bei (schriftlichen) Gesetzen geht es um jedes einzelne Wort, bei (mündlichen) Diskussionen nicht. Eigentlich müsste vorausgesetzt werden können, dass Volksvertreter im Rahmen ihrer Arbeit beherrschen, was von den Bürgern in deren Arbeitsleben verlangt wird, nämlich Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst und Zwei- bzw. Dreisprachigkeit in der Privatwirtschaft. Es sind gerade die Politiker, die „ihren“ Bürgern immer wieder vorschwärmen, wie wertvoll Sprachkenntnisse doch seien und welches Privilegium es sei, in einer mehrsprachigen Heimat aufzuwachsen.
Ein italienischer Landespolitiker – der Name tut nichts zur Sache – hat erst kürzlich in einem Gespräch mit der SWZ zugegeben, dass er in der Beherrschung des Deutschen grobe Mängel aufweise und dass ihn die Simultanübersetzung an seinem Arbeitsplatz gewissermaßen daran hindere, sich beim Verstehen der anderen Sprache anzustrengen. „Normale“ Bürger müssen sich derweil sehr wohl anstrengen.
Nun muss zur Ehrenrettung der Landespolitiker ins Feld geführt werden, dass kaum jemand die Kopfhörer für die Simultanübersetzung verwendet. Wer einer Landtagssitzung beiwohnt, stellt fest, dass ausschließlich zwei bis drei italienischsprachige Volksvertreter Kopfhörer tragen, wenn ihre deutschen Kollegen das Wort ergreifen. Die Namen tun auch hier nichts zur Sache. Kein einziger deutschsprachiger Politiker tut es – nicht, weil alle alles verstehen würden, sondern weil sie sich schämen, lästert ein ehemaliger Landtagsabgeordneter.
Die Landtagsmitarbeiterinnen aus dem Übersetzungsamt mühen sich also für zwei bis drei von insgesamt 35 Politikern ab. Umso mehr müsste der Sinn dieser Mühen infrage gestellt werden. Nun könnte eingewandt werden, dass die Simultanübersetzung auch für die Zuschauer- und Pressetribüne funktioniert, wo jeder Sitzplatz mit Kopfhörern ausgestattet ist. Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, die Arbeiten seines Landesparlaments zu verstehen, okay. Aber warum werden dann auch all die nicht öffentlichen Sitzungen der Gesetzgebungsausschüsse und des Fraktionssprecherkollegiums vollinhaltlich simultan übersetzt? Dort könnten die Politiker ausdrücklich darauf verzichten, wenn sie wollten. Aber weil die Mitarbeiterinnen ja eh schon da sind, wäre es schade, wenn sie Däumchen drehen müssten. Teilweise wird zumindest auf die Übersetzung vom Italienischen ins Deutsche verzichtet.
Derzeit ist es schwer, ein Politiker zu sein. Immer und überall setzt es Watschen, auch, aber nicht nur, wegen der Kosten der Politik. Dieses Nachdenken über die Zweckmäßigkeit der Simultan- übersetzung soll daher keine weitere Watsche sein. Es ließen sich diesbezüglich zwar Kosten sparen, aber nur in geringem Maße. Trotzdem stellt sich die Frage, wo die Vorbildfunktion der Politik bleibt. Solange sich die Volksvertreter die sprachliche Mühe ersparen, darf es nicht verwundern, wenn das Volk nicht wirklich einsehen will, dass Mehrsprachigkeit ein Privilegium ist. Und es darf nicht verwundern, wenn die Kenntnisse der zweiten Sprache sowohl auf deutscher als auch auf italienischer Seite trotz jahrelangen Büffelns in der Schule und trotz eines Lebens Tür an Tür in diesem vermeintlich mehrsprachigen Land enttäuschend ausfallen.