Bozen/Rom – Sparen kann ganz schön schwierig sein. Das zeigt die Geschichte der Spending Reviews in Italien, welche Eurac Research und Universität Innsbruck in einer neuen Publikation unter die Lupe nehmen. Die Autoren Josef Bernhart, Peter Decarli, Davide Maffei und Kurt Promberger analysieren auf 125 Seiten fein säuberlich die Sparprogramme der jüngsten acht Regierungen (Prodi, Berlusconi, Monti, Letta, Renzi, Gentiloni, Conte I und II), die sich seit 2006 an der Spending Review versucht haben. Und sie zeigen auf, warum Italiens Schuldenproblem trotzdem immer größer geworden ist. Die politische Instabilität spielt eine zentrale Rolle, genauso das Sparen an falschen Stellen und die Angst vor der Rache der Wähler*innen.
Wo hört der effiziente Einsatz von Steuergeldern auf und fängt Verschwendung an?
Zum ersten Mal tauchte der Begriff Spending Review laut den Autoren 2006 unter Ministerpräsident Romano Prodi und Wirtschaftsminister Tommaso Padoa-Schioppa auf. Seither haben die munter wechselnden Regierungen unterschiedliche Prioritäten gewählt und die Ansätze der Vorgängerregierungen teilweise immer wieder über den Haufen geworfen. Sparvorhaben wurden somit wiederholt angekündigt, letztendlich aber nicht umgesetzt, weil die Regierung stürzte und die nächste Regierung neue Schwerpunkte wählte.
Zunächst klingt es gut, wenn die Politik versucht, Steuergelder effizient einzusetzen und unnötige Ausgaben zu streichen. Wenn es darum geht zu definieren, was „unnötig“ ist, wird die Angelegenheit schon haariger. Carlo Cottarelli, der als Sonderkommissar unter den Regierungschefs Enrico Letta und Matteo Renzi die Spending Review geprägt hat wie kein Zweiter, erklärte dies anschaulich in einem Interview mit der SWZ („Occhio ai mercati“, Ausgabe vom 1. März 2019, nachzulesen auf SWZonline und über die SWZapp). Es sei ein Trugschluss, so meinte er, dass öffentliche Ausgaben existieren, die einfach gestrichen werden können, ohne dass dies jemand merkt. Selbst wenn eine Einrichtung noch so unnütz sei, hingen an ihr beispielsweise Arbeitsplätze und somit Löhne. Anders ausgedrückt: Auch verschwendetes Geld kommt jemandem zugute.
„Wenn eine Einsparung, die in einem Sektor erzielt wird, vollständig in einen anderen investiert wird, dann ergibt sich schlussendlich keine Senkung der Staatsausgaben.“
Wo also hört der effiziente Einsatz von Steuergeldern auf und wo fängt Verschwendung an? Fakt ist, dass seit 2006 zwar viel über Sparprogramme (und Spardiktate aus Brüssel) geredet wird, Italiens Staatsausgaben aber „zwischen 2007 und 2018 um mehr als 100 Milliarden Euro“ auf 850 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen sind, rechnen die Buchautoren vor. In einigen Bereichen wurden zwar Einsparungen erzielt, in anderen Bereichen aber stiegen die Ausgaben umso mehr.
Bei den Investitionen sparen, während die laufenden Ausgaben galoppieren
Die Buchautoren unternehmen den (schwierigen) Versuch, die umgesetzten Spending Review-Maßnahmen zumindest teilweise zu beziffern. 207 Milliarden seien den Regierungen Prodi und Berlusconi zuzuschreiben, 67 Milliarden der verhassten Technikerregierung Monti, 32 Milliarden den Regierungen Letta und Renzi. Das macht rund 300 Milliarden Euro. „Wenn jedoch eine Einsparung, die in einem Sektor erzielt wird, vollständig in einen anderen investiert wird, dann ergibt sich schlussendlich keine Senkung der Staatsausgaben“, schreiben die Autoren, die auch den Rechnungshof zitieren. Demnach sind die laufenden Ausgaben zwischen 2008 und 2017 stetig gestiegen, während ausgerechnet bei den Investitionen gespart wurde. Für die Politik ist das einfacher.
Die laufenden Ausgaben sind zwischen 2008 und 2017 stetig gestiegen, während ausgerechnet bei den Investitionen gespart wurde. Für die Politik ist das einfacher.
Erheblich reduziert habe man die Zuweisungen an Regionen, Provinzen und Gemeinden. In der Folge seien die Investitionen der Gebietskörperschaften massiv eingebrochen. Die Sparprogramme hätten das leidige Nord-Süd-Gefälle in Italien damit weiter verstärkt: „Die Wirtschaft der südlichen Regionen reagiert besonders sensibel auf die Schwankungen der öffentlichen Investitionen, da sie die wichtigste Einnahmequelle der strukturschwachen Wirtschaft im Mezzogiorno darstellt.“ Der Norden mit seinen exportstarken Unternehmen sei davon weniger abhängig.
Was die Publikation nicht sagt: Südtirol darf sich glücklich schätzen. Es hat zuerst mit dem Mailänder Abkommen von Landeshauptmann Luis Durnwalder, dann mit dem Renzi-Kompatscher-Finanzabkommen die Kürzung der Staatszuweisungen im Vergleich zu den anderen Regionen in Grenzen gehalten.
Die Angst vor dem Liebesentzug der Wähler*innen
Bei den laufenden Ausgaben zu sparen, fällt schwer. Den größten Ausgabenblock im Staatshaushalt bildet laut Eurac-Publikation die soziale Fürsorge mit Renten, Arbeitslosengeldern und sonstigen Unterstützungsleistungen. Dahinter folgen die Gebietskörperschaften sowie die Ministerien. Um in diesen Bereichen empfindlich zu sparen, müssten Transferleistungen gekürzt und Personal abgebaut werden. Der Liebesentzug der Wähler*innen wäre der Politik sicher. „Die Durchführung eines Spending Review-Prozesses setzt die Bereitschaft voraus, die Auswirkungen der Einsparungsmaßnahmen zu akzeptieren“, stellen die Buchautoren lapidar fest.
Und dann wären da noch die Zinszahlungen für den riesigen Schuldenberg, die knapp zehn Prozent der jährlichen Staatsausgaben ausmachen – auch die können nicht gekappt werden.
„Die Bemühungen Italiens, durch Spending Reviews die staatlichen Ausgaben zu senken, sind sicher beachtenswert“, geben die Buchautoren trotz allem ein recht positives Urteil ab. Italien habe teilweise sogar bessere Ergebnisse erzielt als EU-Länder, deren Haushaltspolitik einen weit besseren Ruf genießt. Allerdings sind dem Spardrang Grenzen gesetzt, weil die öffentlichen Haushalte geknebelt sind durch hohe Ausgaben für Zinsen, Renten und öffentlich Bedienstete.
Als beispielsweise Carlo Cottarelli Sparkommissar war, umfasste der Staatshaushalt rund 800 Milliarden Euro, aber nur 130 Milliarden davon kamen überhaupt für die Suche nach Einsparungspotenzialen infrage. Der große Rest war fix, für Zinszahlungen, für Pensionszahlungen, für schwierig zu kürzende Ausgabenkapital wie die Sanität sowie für Personalausgaben.
Im Übrigen ist die Versuchung groß, eingesparte Gelder anderswo einzusetzen, um die Wähler*innen gnädig zu stimmen. Gerade die Regierungen Conte I und II liefern mit dem Bürgereinkommen und der „Quote 100“ Anschauungsunterricht. Sparen ist eben schwierig, obwohl sich die Steuerzahler*innen einen vernünftigen Umgang mit ihrem hart verdienten Geld wünschen.
DIE PUBLIKATION „Spending Reviews – Fallstudie Italien“ kann per Mail unter communication@eurac.edu und telefonisch unter 0471 055033 kostenlos angefordert werden und ist unter www.eurac.edu (Menüpunkt Forschung – Publikationen) abrufbar.