Bozen – Die erste Generation baut auf, die zweite baut aus, die dritte studiert Psychologie. Diese salopp formulierte Feststellung lässt vielleicht manche schmunzeln. Eine zutreffende Beschreibung der Entwicklung der allermeisten Unternehmen über längere Zeiträume hinweg ist sie jedoch nicht, und sie verkennt darüber hinaus den Stellenwert der Psychologie. Dennoch enthält sie in ihrem Kern eine Wahrheit, mit der sich manche erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmer nicht gern befassen, aus der sie jedoch zuweilen bei der Nachfolgeregelung ihre Schlüsse ziehen müssen. Nicht alle Erben oder Erbinnen sind von ihrem Naturell und ihrer Begabung her willens oder in der Lage, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten, denn ihre Stärken und Interessen sind andere. Ist die Lebenswelt von Erbenden nicht oder schwer vereinbar mit der Tätigkeit an der Spitze eines Unternehmens, können sie in einer Nachfolge keine Erfüllung finden. Ohne diese, ohne Passion, geht es jedoch nicht.
Der Normalfall ist der Einstieg der Kinder
Dennoch: Dass die Söhne und/oder Töchter die Leitung des Unternehmens übernehmen, wenn sich ihre Eltern aus der operativen Führung zurückziehen, ist weiterhin der Normalfall. Unzählige Handwerksbetriebe, Hotels, Handels- und Industrieunternehmen in Südtirol vollziehen jedes Jahr den Generationswechsel auf diese Weise, wobei im Falle von Kapitalgesellschaften die Eigentümer:innen zuweilen noch einige Zeit die Präsidentenfunktion wahrnehmen. Dafür lassen sich zahlreiche Beispiele aus den letzten Jahren und Jahrzehnten nennen – von der Leitner-Gruppe in Sterzing über die Durst-Gruppe in Brixen und Niederstätter, Markas sowie Fercam in Bozen bis zur Firma Schweitzer in Naturns oder zur Lavarent in Sarnthein.
Ist die Lebenswelt von Erbenden nicht oder schwer vereinbar mit der Tätigkeit an der Spitze eines Unternehmens, können sie in einer Nachfolge keine Erfüllung finden. Ohne diese, ohne Passion, geht es jedoch nicht.
Aber nicht immer geht die Geschäftsführung unmittelbar auf die Erben und Erbinnen über. Dafür gibt es mannigfaltige Gründe familiärer oder betriebswirtschaftlicher Natur, wobei externe Lösungen zuweilen temporär, zuweilen aber auch auf Dauer angelegt sind. Immer öfter verfolgen Eigentümerfamilien das Ziel, ihr Unternehmen so aufzustellen, dass sie zwar die Fäden ziehen, es aber unabhängig von ihrem direkten täglichen Engagement geführt werden kann.

Beispiele für andere Lösungen
So haben Walter und Ferdinand Pichler, die Gründer und Eigentümer des Bozner Unternehmens Pichler Projects, das mit rund 250 Mitarbeitenden 2023 an die 130 Millionen Euro umgesetzt hat, Mitte April bekannt gegeben, dass sie nach über 45 Jahren die operative Führung abgeben. Neuer CEO des wichtigsten Unternehmens der Gruppe Pichler I & S ist ihr Neffe Hannes Market, der seit vielen Jahren in der Firma arbeitet und dort Karriere gemacht hat (siehe Porträt in SWZ 19/24, nachzulesen hier oder in der SWZapp). Ein Wechsel an der Spitze hat nicht überrascht, denn die beiden Gründer sind über 70. Aber warum fiel die Wahl bei dieser Nachfolge nicht auf eines der Kinder von Walter und Ferdinand? Die Antwort: Walter Pichlers Sohn Peter, Jahrgang 1982, ist wie sein Vater Architekt und betreibt ein gut gehendes Planungsbüro in Mailand. Sein Weg ist demnach ein anderer, er macht Karriere als Freiberufler. Seine Schwester Tanja ist gelernte Bauingenieurin und vierfache Mutter. Sie ist zwar im Unternehmen tätig, legt aber andere Schwerpunkte und engagiert sich als Präsidentin von Transart. Und die zweite Schwester Sylvia hat sich einen Namen als Herstellerin von Handtaschen gemacht.
Ferdinand Pichlers Sohn Markus hat sich von 2001 bis 2006 an der Hochschule München zum Dipl.-Ing. (Stahlbau) ausgebildet und leitet heute die Produktion des Unternehmens. Er ist vorwiegend Techniker und setzt seine Stärken als solcher ein. Auch seine zwei Schwestern Caroline und Petra arbeiten in verantwortungsvollen Positionen im Unternehmen. Die Familien Pichler werden auch in Zukunft die Geschicke dieses Unternehmens der Gruppe bestimmen, die Leitung hat jedoch vorerst ein naher Verwandter übernommen.
Bemerkenswert ist auch der Wechsel an der Spitze der Moriggl GmbH, eines bedeutenden Vinschgauer Installationsunternehmens mit Sitz in Glurns. Firmengründer Hans Moriggl hat die Geschäftsführung einst seinem Sohn Gunnar übertragen. Aber nach einiger Zeit wollte dieser nicht mehr. „Das wird mir alles zu viel“, erklärte er seinem Vater und gab ihm zu verstehen, dass die Führung einer so großen Firma mit Verantwortung für mehrere Dutzend Mitarbeitende nicht vereinbar sei mit seiner Lebensgestaltung, hat Hans Moriggl dieser Zeitung anlässlich seines 80. Geburtstages geschildert (SWZ 37/23). Der Vater hat diese Entscheidung schweren Herzens akzeptiert. Gunnar arbeitet heute in der Schweiz und pendelt nach Hause. Geschäftsführer wurde Moriggls Neffe Thomas, der Sohn seines Bruders und Partners Peppi, der inzwischen alleiniger Inhaber ist.
Anders verlaufen ist die Entwicklung bei Technoalpin in Bozen. Walter Rieder, Mitgründer und 50-Prozent-Teilhaber des Unternehmens, das mit über 600 Mitarbeitenden gut 200 Millionen Euro umsetzt (Stand: 2022), hat einen Sohn, der jedoch andere Interessen verfolgt und im Einrichtungssektor tätig ist. Als Walter 70 wurde und allmählich in den Ruhestand treten wollte, hat er deshalb seine Anteile an seinen Partner Erich Gummerer verkauft und investiert mit Blick auf seine Familie und seine Nachkommen in diverse Bereiche. Eine Art stille Teilhaberschaft kam für ihn nicht infrage.
Heiner Oberrauch von der Firma Salewa hat sich schon früh für einen externen CEO entschieden und den Markenspezialisten Christoph Engl engagiert. Er ist jedoch Präsident der Gesellschaft. Und schließlich Frener & Reifer in Brixen. Schon seit Längerem war bei dieser bedeutenden Fassadenbaufirma ein Generationenwechsel geplant, bevor es 2019 zu einem Management-Buy-out kam, bei dem unternehmensinterne Führungskräfte und externe Investoren 85 Prozent des Eigentums von den beiden Firmengründern Georg Frener und Franz Reifer übernommen haben.
Das sind fünf Beispiele dafür, dass es neben den vielen problemlosen Generationenwechseln in Unternehmen auch solche gibt, die Lösungen jenseits dessen erfordern, was üblich ist. Keine, keine geeigneten bzw. zur Führung fähigen oder an Führung interessierten Nachfolger:innen sind die häufigsten Gründe, aber es kommt auch vor, dass Sprösslinge nicht hart (oder nicht derart hart wie ihre Eltern) arbeiten, sondern ihr Leben anders gestalten wollen.
Begeisterung als wichtigste Voraussetzung

Einer, der in diesem Bereich forscht und publiziert, ist der deutsche Soziologe Thomas Druyen, Direktor des Instituts für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien Paris. Er befasst sich seit Jahren mit der Psychologie und Lebenswelt vermögender Menschen und mit den Herausforderungen, denen sich Unternehmenserben stellen müssen. Dem Magazin für Unternehmerfamilien „wir“ sagte er einmal, dass Aristoteles der Vater des Begriffs Vermögen ist, der bei ihm „Bewegen“ heißt, also die Fähigkeit eines Menschen beschreibt, sich und andere zu verändern. „Nur wer sein Vermögen gebraucht, kann es wirklich besitzen“, sagte er in Anlehnung an den Ausspruch Goethes „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“. Materieller Reichtum sei bloß ein Zustand, entscheidend sei, was Menschen mit ihrem Reichtum machen. „Diese Verwendung und Umsetzung von finanziellen und unternehmerischen Möglichkeiten auf der einen Seite und von sinnstiftender und verantwortungsvoller Zukunftsgestaltung auf der anderen Seite sind die Grundlagen des in unserer Forschung verwendeten Vermögensbegriffs. Diese persönliche, charakterliche und gemeinschaftsfördernde Haltung nennen wir Vermögenskultur. Vor diesem Hintergrund gibt es in der Realität gravierende Unterschiede zwischen Reichen und Vermögenden. Erstere kümmern sich in erster Linie nur um sich selbst, während die Vermögenden immer auch ihr Umfeld und ihre Umwelt berücksichtigen. Daher wage ich zu behaupten: Der Reiche ist der Feind des Vermögenden.“ Die Reichen und Vermögenden könne man nicht über einen Kamm scheren, wie es in der Öffentlichkeit und in den Medien immer wieder getan werde, sagte Druyen vor zwei Jahren in einem Interview mit dieser Zeitung (SWZ 30/22).
Erfolgreiche Menschen hätten eine unglaubliche Energie, Risikofreude und Obsession, Eigenschaften, die nicht alle Menschen auszeichnen. Die „existenzielle Lebensgier“ fehle Erben und Erbinnen zuweilen.
Von dieser Feststellung ausgehend wirft Druyen auch einen Blick auf die Generation der Erbenden. Erfolgreiche Menschen hätten eine unglaubliche Energie, Risikofreude und Obsession, Eigenschaften, die nicht alle Menschen auszeichnen. Die „existenzielle Lebensgier“ fehle Erben und Erbinnen zuweilen. Manche Gründer:innen, hat Druyen herausgefunden, lieben ihre Kinder, haben aber Zweifel daran, dass sie es ihnen gleichtun können. „Sie glauben nicht, dass die junge Generation diese Härte, diese Disziplin, diese Obsession an den Tag legen kann wie sie selbst“, sagte er unlängst in einem Interview mit der NZZ. Allerdings kommt es auch vor, dass Unternehmer:innen mit Blick auf ihren Nachwuchs skeptisch sind, aber dann eines Besseren belehrt werden.
Fest steht: Wenn die Erben oder Erbinnen keine Lust haben, andere Interessen verfolgen, andere Talente haben oder wenn die Eltern zweifeln, kommt es zu Nachfolgelösungen abseits dessen, was üblich ist.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Erben mit Power gesucht“.