Bozen – Der Winter ist die wichtigste Saison für Südtirols Seilbahnen. Wenn die Berge in Schnee gehüllt sind und die Pisten präpariert, dann generieren die Aufstiegsanlagen rund 90 Prozent ihres Jahresumsatzes. Nur zehn Prozent, ein Bruchteil, werden hingegen im Sommerhalbjahr erwirtschaftet, das ist schon seit Jahrzehnten so. Und doch, oder wohl gerade deswegen, heißt es vonseiten der Seilbahnunternehmer:innen immer wieder, zuletzt etwa bei der Vollversammlung ihres Verbandes: Im Sommer geht noch mehr.
Der Sommer ist ein Wachstumsmarkt
Sieht man sich die absoluten Zahlen an, dann wachsen die transportierten Gäste nach wie vor stärker im Winter. So fuhren Anfang der 2000er-Jahre im Winter stets etwa 100 Millionen Menschen mit den Seilbahnen. In der Wintersaison 2023/24 waren es 143 Millionen (neuere Zahlen hat der Verband der Seilbahnunternehmer nicht).
„Im Winter sind der Aufwand und die Kosten deutlich höher. Man muss beschneien, braucht Pistengeräte, mehr Wasser und Strom.“ Um die Pisten zu präparieren und alle Lifte am Laufen zu halten – im Winter sind in den meisten Skigebieten mehr Aufstiegsanlagen im Betrieb –, sind auch mehr Mitarbeitende notwendig.
Verglichen mit dem Plus von 40 Millionen steigt die Zahl der beförderten Gäste im Sommer nur zaghaft. Während Anfang der 2000er-Jahre noch etwas mehr als vier Millionen Wanderer:innen und Bergliebhaber:innen im Sommer in die Berge transportiert wurden, waren es 2023 knapp elf Millionen.
Gewachsen sind also beide Saisonen, der Winter in absoluten Zahlen stärker als der Sommer. Prozentual hat sich die Sommersaison hingegen stärker entwickelt als das kalte Halbjahr. Das Wachstum betrug pro Jahr meist sechs, acht oder gar zehn Prozent. Und da ist noch Luft nach oben, sagt Helmut Sartori, der Präsident des Verbandes der Seilbahnunternehmer: „Im Sommer gehen wir davon aus, dass wir es noch mit einem Wachstumsmarkt zu tun haben. Im Winter reden wir hingegen eher schon von einem Verdrängungswettbewerb.“ Da stellen sich zwei Fragen: Wie erreicht man dieses Wachstum? Und will Südtirol es überhaupt?
Mehr Aufwand im Winter
Für die Seilbahnunternehmen ist der Sommer in der Theorie interessant, weil die Kostenstruktur eine andere ist, sagt Albert Hochkofler, der Geschäftsführer der Bergbahnen Reinswald. „Im Winter sind der Aufwand und die Kosten deutlich höher. Man muss beschneien, braucht Pistengeräte, mehr Wasser und Strom.“ Um die Pisten zu präparieren und alle Lifte am Laufen zu halten – im Winter sind in den meisten Skigebieten mehr Aufstiegsanlagen im Betrieb –, sind auch mehr Mitarbeitende notwendig. Im Skigebiet Reinswald im Sarntal bestehe die Belegschaft im Winter aus 35 bis 38 Personen, im Sommer aus acht, so Hochkofler. „Im Winter könnte man deshalb sicher mehr Gewinn erwirtschaften – vorausgesetzt, ein Gebiet ist gut ausgelastet. Und das ist bei uns zum Beispiel nicht der Fall.“
Ein Skigebiet, das im Sommer sehr gut ausgelastet ist, ist jenes am Rittner Horn. In der warmen Jahreszeit generieren die Aufstiegsanlagen etwa 60 Prozent des Umsatzes, im Winter sind es 40, sagt der Geschäftsführer Roberto Lorenz. „Im Winter ginge bei uns noch mehr – im Sommer hingegen kaum, da bräuchten wir mehr Kapazitäten, wenn wir mehr Fahrgäste haben wollten.“
Erlebniswege und Riesenschaukeln
Unabhängig davon, wie stark die Winter- im Vergleich zu den Sommermonaten sind, gilt für alle Aufstiegsanlagen: Die Fahrgäste über die Sommermonate wurden mehr, aus verschiedenen Gründen. Hauptsächlich, weil immer mehr Menschen in Südtirol Urlaub machen. Im Jahr 2000 wurden hierzulande 23,6 Millionen Nächtigungen gezählt. 2024 waren es 37 Millionen. Wer in Südtirol urlaubt, ist eben auch in den Bergen unterwegs und fährt Seilbahn.
In einigen Gebieten wurden dazu Gästekarten eingeführt, mit denen Urlauber:innen die Lifte vor Ort kostenlos oder zu reduziertem Preis nutzen können. Für Einheimische, die den Südtirol Pass besitzen, gibt es seit vergangenem Jahr die Aktion „Seilbahnsommer“. Damit erhalten sie mancherorts einen Preisnachlass von mindestens 30 Prozent. Auch das lässt die Fahrgastzahlen wachsen.
Zahlreiche Zusatzangebote machen die Berge außerdem zu einem interessanten Ziel, auch für die, die nicht gerne wandern. „Es braucht am Berg ein bestimmtes Angebot. Das können schöne Hütten sein, aber auch Themenwege“, sagt Helmut Sartori. Vorreiter in Südtirol war diesbezüglich der Vinschger „Erlebnisberg Watles“. Später kamen weitere hinzu, wie der „Urlesteig“ in Reinswald. Ergänzt werden diese durch Spielplätze und Attraktionen wie Mountaincart-Pisten in Pfelders oder Riesenschaukeln wie jene am Rosskopf. Auch locken immer mehr Events auf Hütten oder in den Bergstationen die Menschen in die Lifte.
Für Radliebhaber:innen
Dazu kommt der Fahrradboom, der es ebenfalls bis in die Berge geschafft hat. Rund um den Reschensee haben sich beispielsweise mehrere Ortschaften und Skigebiete in- und außerhalb Südtirols zusammengeschlossen und ein grenzüberschreitendes Netz an Biketrails aufgebaut. Das Projekt trägt den Namen „3-Länder-Enduro-Trails“. Die Fahrradliebhaber:innen fahren mit den Seilbahnen nach oben und im Sattel der Fahrräder wieder ins Tal. In der östlichen Hälfte Südtirols, am Kronplatz, wurde ebenfalls ein Paradies für Biker:innen geschaffen: Dort gibt es mittlerweile knapp 20 Trails, die mit den Bahnen in Reischach, Percha, Olang, am Furkelpass und in St. Vigil in Enneberg erreicht werden können.
Dass Radfahrer:innen ein Kundensegment mit Potenzial sind, weiß man auch in Reinswald. Dort können Fahrgäste derzeit ihre Drahtesel nicht mitnehmen. „In zwei Jahren werden wir eine neue Zehner-Kabinenbahn bauen. Da wird es dann möglich sein, auch Fahrräder zu transportieren“, sagt Albert Hochkofler. Ob auch eigene Wege ausgewiesen werden, werde man zu einem späteren Zeitpunkt sehen.
Braucht es mehr davon?
Helmut Sartori ist überzeugt, dass viele Seilbahnen im Sommer noch besser ausgelastet sein könnten, dass künftig noch mehr Menschen mit den Aufstiegsanlagen in die Berge fahren werden. Konkrete Schätzungen dazu, wie groß das Potenzial noch ist, habe man nicht. Ebenso wenig eine gemeinsame Strategie, wie man mehr Fahrgäste anlocken könnte. Ist die Lösung ein Mehr an Zusatzangeboten wie Erlebniswegen, Spielplätzen oder Biketrails? „Wir wollen kein Hollywood bauen“, sagt Sartori, „aber ein bestimmtes Angebot braucht es auf alle Fälle.“
Elisabeth Ladinser, die Präsidentin des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz, ist skeptischer. „Wir sind nicht glücklich mit diesem Trend, weil die Berge im Sommer bald genauso überlaufen sein werden wie im Winter.“ Dass die Seilbahnunternehmen im Sommer eine bessere Auslastung erreichen möchten, sei nachvollziehbar, „das Problem ist aber, dass man nicht einfach mehr Leute nach oben fahren kann. Man braucht dann auch größere Schutzhütten und muss Wege ausbauen. Aus Sicht des Umweltschutzes müsste man hier eine Bremse ziehen.“
„Südtirol wirbt mit Bildern von einsamen Berggipfeln und ruhigen Almen. Aber wenn wir so weitermachen, haben wir bald überall Rummelplätze – das macht den Gästen sicher auch keine Freude.“
Auch die Themen- und Erlebniswege sieht Ladinser kritisch. „In den Bergen brauchen wir doch nicht solche Wege und Attraktionen. Da sollen die Leute schauen, wie die Pflanzen wachsen, Tiere aus der Entfernung beobachten, die Natur genießen. Wir müssen dort nichts bauen, das die Leute von genau dieser Natur ablenkt.“ Die Berge sollten zu keinem „Funpark“ werden, so Ladinser.
Vorteile aus ökologischer Sicht würden jene Bahnen bieten, die die Menschen dazu bewegen, das Auto im Tal stehenzulassen, anstatt die Berge hochzufahren. „Aber auch da stellt sich die Frage: Was tun diese Menschen, wenn sie oben am Berg sind?“, fragt Ladinser.
Die Präsidentin des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz findet, die Strukturen, die bereits bestehen, sollten bleiben, ob Seilbahnen oder Biketrails. Mehr davon brauche Südtirol aber nicht. „Wir müssen uns hier Grenzen setzen. Und die sollten wir so ziehen, dass der Schwächere geschützt ist – sprich die Natur –, und nicht der Stärkere.“ Und dann schiebt sie noch einen Gedanken nach: „Südtirol wirbt mit Bildern von einsamen Berggipfeln und ruhigen Almen. Aber wenn wir so weitermachen, haben wir bald überall Rummelplätze – das macht den Gästen sicher auch keine Freude.“
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Bergauf im Sommer