Bozen – Vor mehr als fünf Jahren stellten Anja (vollständiger Name der Redaktion bekannt) und ihr Partner fest: Wir wünschen uns ein Baby. Doch während im Umfeld eine Schwangerschaftsankündigung auf die nächste folgte, wollte es bei ihnen einfach nicht klappen. „Einsam, schwierig und emotional“ sei die Zeit gewesen. Bis heute folgten drei Fehlgeburten, eine erfolglose Insemination, eine ebenfalls erfolglose künstliche Befruchtung. Und bei all dem die Frage: Wie viel können wir uns noch zumuten?
Durchschnittsalter bei der Entbindung: 31,5 Jahre
Anja und ihr Partner sind bei Weitem keine Einzelfälle. Jedes achte Paar in Südtirol ist ungewollt kinderlos, Tendenz steigend. Von einem unerfüllten Kinderwunsch spricht man, wenn innerhalb von ein bis zwei Jahren trotz regelmäßigen, ungeschützten Geschlechtsverkehrs keine Schwangerschaft eingetreten ist. Die Zunahme liegt unter anderem an unserer veränderten Lebensplanung. Längere Ausbildungszeiten, berufliche Etablierung und der Wunsch, wirtschaftlich solide dazustehen, tragen dazu bei, dass Frauen immer später schwanger und Männer immer später Väter werden. Aktuell liegt das Durchschnittsalter der Südtiroler Frauen bei der Entbindung bei 31,5 Jahren. Rund ein Viertel ist älter als 35 Jahre, sechs Prozent älter als 40. Das im Vergleich zu früher höhere Alter fordert allerdings seinen Tribut. Die Fruchtbarkeit der Frau nimmt mit Mitte 30 deutlich und mit Ende 30 drastisch ab. Selbiges gilt – mit Verzögerung – für den Mann, bei dem Menge und Qualität der Spermien sinken.
Abgesehen vom Alter vermindert vor allem ein bestimmter Lebensstil die Fruchtbarkeit sowohl von Frauen als auch von Männern: Über- oder Untergewicht, Rauchen, Drogenkonsum, übermäßiger Alkohol- und Kaffeekonsum, aber auch Stress gelten als negative Faktoren. Häufig liegt auch ein medizinisches Problem zugrunde. In fünf bis zehn Prozent der Fälle finden die Fachleute hingegen keine erkennbare Ursache.
500 Paare pro Jahr in Bruneck
Die entsprechenden Untersuchungen und aufbauenden Therapien bieten in Südtirol sowohl öffentliche als auch private Einrichtungen an. Die erste ihrer Art war das heutige Sterilitätszentrum Bruneck. Es besteht seit 1993 als Teil der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des dortigen Krankenhauses und ist das landesweite Zentrum für Reproduktionsmedizin und Kryokonservierung (darunter versteht man das Einfrieren von Eizellen, Spermien und Embryonen in flüssigem Stickstoff). Behandelt werden – so sieht es das Gesetz vor – Paare mit Kinderwunsch, verheiratet oder in stabiler Lebensgemeinschaft lebend, nicht hingegen Singles und gleichgeschlechtliche Paare. Für Frauen gilt ein Alterslimit von 46 Jahren.
Rund 500 Paare pro Jahr kommen mittlerweile ins Brunecker Zentrum. Die Zahl der Therapiezyklen sei rund doppelt so hoch, erklärt der Leiter des Zentrums und zugleich der Primar der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe, Herbert Hanni. Er bestätigt: „In den vergangenen Jahren war ein stetiger Zuwachs zu verzeichnen, bis an jenen Punkt, an dem unser Zentrum an seine Grenzen stieß.“ Seither arbeite das Team am Limit. Wie in anderen Bereichen machen einigen Patientinnen und Patienten die teils langen Wartezeiten zu schaffen. Bis zum Erstgespräch vergeht in der Regel rund ein Jahr. Die Behandlung selbst beginnt meist noch mal zwei Monate später. Bis dahin kann sich die Ausgangslage verschlechtern – einhergehend mit geringeren Erfolgsaussichten. Aus medizinischer Sicht wäre für manche Paare eine kürzere Wartezeit tatsächlich vorteilhaft, bestätigt Herbert Hanni. Zugleich betont er, dass Bruneck im Vergleich zu anderen Zentren gut abschneide. Die Wartezeit verkürze sich häufig sogar auf zehn Monate, weil Paare wegfallen, zum Beispiel aufgrund einer spontanen Schwangerschaft.
Mehrere Tausend Euro für private Behandlung
Der Vorteil einer öffentlichen Struktur wie jener in Bruneck: Sie unterliegt strengen Qualitätskontrollen, ist akkreditiert – und bietet vor allem einen finanziellen Vorteil. Die Behandlungskosten für Südtiroler Patientinnen liegen bei rund 400 bis 600 Euro pro Therapiezyklus. Im Gegensatz dazu schlagen jene privater Einrichtungen mit mehreren Tausend Euro pro Therapiezyklus zu Buche. Rund 6.000 Euro nennt Reproduktionsmediziner Bruno Engl als Richtwert in seinem Hause. Er eröffnete das Zentrum für Frauengesundheit und Kinderwunsch Donna Salus in Bozen, nachdem er das Sterilitätszentrum Bruneck mit aufgebaut hatte. Obwohl die Preise deutlich höher sind als im öffentlichen System, kommt jeden zweiten Tag ein neues Paar in die Einrichtung, viele davon nach mehreren Fehlversuchen. „Wir bieten Termine praktisch ohne Wartezeiten“, erklärt der Mediziner.
Auch Anja wandte sich an einem bestimmten Punkt an ein privates Zentrum, und zwar die Kinderwunsch-Clinic Dr. Zech in Innsbruck. „Dort behandelt einen immer dieselbe Bezugsperson. In Bruneck musste ich meine gesamte Geschichte zigmal von vorne erzählen, immer mit dem Risiko, etwas zu vergessen“, sagt Anja. „Natürlich bezahlt man für dieses Mehr an Zeit entsprechend.“ Auch wurden Untersuchungen angeboten, die im Zentrum in Bruneck nicht vorgesehen sind, wie das Messen der Durchblutung der Gebärmutter. Dennoch findet die Betroffene lobende Worte für die öffentliche Einrichtung: „Das Pflegepersonal ist unheimlich lieb und bemüht, auch das Ärzteteam. Alle versuchen das Möglichste im vorgegebenen Rahmen.“
Eben diesen Rahmen spricht Primar Hanni an: „Es wäre viel zu komplex, immer denselben Arzt zu bekommen. Zugleich sind wir ein kleines, eng vernetztes Team und jede Patientin hat ihre digitale Krankenakte. So bemühen wir uns um eine bestmögliche Versorgung.“ Dennoch bleibt bei manchen Betroffenen der Wunsch nach einer besseren Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Strukturen.
Eine Gruppe zur Unterstützung
Ein weiterer Wunsch ist der nach mehr Sichtbarkeit und Unterstützung. Vor allem die Patientinnen schultern eine schwere Last, oft jahrelang. „Von Versuch zu Versuch wird es schlimmer. Der Druck wächst, die Hoffnung schwindet“, sagt Karin Angelika Planker. Sie leitet die Gruppe „Sehnsucht Kind“, in der Betroffene sich austauschen können. Entstanden ist die Initiative zwischen 2020 und 2021 infolge der Kampagne „MutterNacht“, die das Haus der Familie am Ritten jährlich zum Muttertag veranstaltet. Unter anderem erschien damals ein Büchlein mit 25 persönlichen Geschichten – wie jener von Karin Angelika Planker, der heutigen Leiterin der Gruppe: „So viel Schmerz, körperlicher Schmerz von den Hormonspritzen und von den Behandlungen, aber vor allem so viel psychischer Schmerz war geblieben … zu viel. So viel Trauer und keiner da, der einen auffängt und weiterhilft, mit dem man sprechen kann, der mitfühlend einfach nur da ist. Stark traumatisiert stand ich total neben mir und wusste gar nicht, wie und ob ich mein Leben weiterleben möchte. Die Depression hatte mich voll eingenommen. Wertlos fühlte ich mich. Alleine fühlte ich mich. All meine Freundinnen hatten in der Zwischenzeit Kinder bekommen, und ich gehörte da einfach nicht mehr dazu, denn ich konnte ja gar nicht mitreden“, schreibt Planker.
Im Sommer 2021 traf sich die Gruppe zum ersten Mal. Zurzeit liegt der Fokus darauf, eine Online-Community aufzubauen. Diese Woche ging die entsprechende Website online. Gebaut hat diese Franziska Kaufmann. Sie sagt: „Es ist als Betroffene sehr schwierig, gebündelte Informationen zu finden – und ein Austausch ist praktisch unmöglich.“ Das soll sich jetzt ändern. Wie in den Gruppentreffen (die derzeit aufgrund fehlender Finanzierung nicht stattfinden) sollen auf der Website und im dazugehörigen Forum alle Gedanken Platz finden. Die Frauen teilen ihren Schmerz, ihre Sorgen, die Belastung. Nicht nur die psychische, sondern auch die finanzielle. „Ich habe den Wert einer kleinen Wohnung ausgegeben“, habe eine Frau während eines Treffens gesagt, erinnert sich Planker. Am Ende blieb die Frau kinderlos.
300 Euro pro Monat für Zusatzangebote
Nicht nur die medizinischen Kosten schlagen zu Buche, sondern vor allem die zahlreichen Zusatzangebote. „Je länger man dabei ist, desto mehr steigt die Verzweiflung. Man würde alles ausprobieren, damit es endlich klappt“, sagt Anja. Von energetischer Heilung über Kinderwunsch-Coaches bis hin zu Akupunktur reicht die Auswahl. „Mich hat das ehrlicherweise überfordert“, sagt sie. Pro Monat kämen schnell mehrere Hundert Euro zusammen. „Einmal pro Monat Akupunktur, einmal die Woche Yoga, dazu Nahrungsergänzungsmittel und das, was die Naturheilpraktikerin verschreibt, da bist du schnell bei 300 Euro. Nach oben gibt es natürlich keine Grenze.“
Doch was bringt das aus medizinischer Sicht? „Alles, was der Frau guttut, kann einen Placeboeffekt haben“, sagt Herbert Hanni, wobei er die hohen Kosten für manche Angebote infrage stellt. Bruno Engl äußert sich ähnlich: „Als junger Arzt meinte ich, mit Technik und Wissen würden die besten Ergebnisse erzielt. Die Erfahrung hat gelehrt: Der Körper der Frau muss bereit sein. Alles, was ihr dabei hilft, ist zu begrüßen.“ Bei unterstützender Akupunktur sei eine Wirksamkeit gar in Studien nachgewiesen worden.
Mehr Offenheit
Anja hört weiterhin auf ihr Bauchgefühl, wenn sie sich für oder gegen ein Angebot entscheidet. Ihre Reise ist noch nicht zu Ende. So schmerzhaft sie auch sein mag, so sehr wünscht sie sich zugleich, offener darüber sprechen zu können. „Den Leuten fällt es nach wie vor schwer, mit dem Thema unerfüllter Kinderwunsch umzugehen. Wir bräuchten eine Sensibilisierung, die am besten schon in den Schulen anfängt. Da hört man immer nur, wie sehr man aufpassen soll, weil ja jede sofort schwanger wird.“
Weniger Tabuisierung, dafür mehr Offenheit, Unterstützung und Austausch, das wünschen sich Anja und andere Betroffene – die Menschen hinter dem unerfüllten Kinderwunsch. Zu oft bleibt ihr Leid im Verborgenen, obwohl es so viele betrifft. So könnten Betroffene sich weniger allein fühlen und besser unterstützt werden – unabhängig davon, ob ihr Weg am Ende zum ersehnten Kind führt oder nicht.
Info
Kinderwunschbehandlung
Bei unerfülltem Kinderwunsch gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, darunter natürliche und künstliche Methoden. Natürliche Methoden umfassen die Optimierung des Zyklus, z. B. durch hormonelle Stimulation mit Clomifen, oder die Insemination (IUI), bei der Spermien direkt in die Gebärmutter eingeführt werden. Bei der künstlichen Befruchtung (IVF) werden Eizellen und Spermien außerhalb des Körpers befruchtet und dann ein oder mehrere Embryonen in die Gebärmutter übertragen. Hormonelle Veränderungen, Nebenwirkungen von Medikamenten und Stress können dabei die Patientinnen belasten.