SWZ: Herr Pellegrini, was bereitet Ihnen derzeit in Ihrem Alltag als Unternehmenschef und Arbeitgeber am meisten Sorgen?
Sandro Pellegrini: Die Schnelligkeit. Unsere Arbeitswelt ist geprägt von einem unglaublichen Rhythmus, alles muss schnell gehen, alles wollen wir sofort haben. War früher jemand telefonisch nicht erreichbar, dann wurde das Thema auf den nächsten Tag verschoben, heute werden Mails geschrieben mit dem Anspruch auf sofortige Beantwortung – und das ist nur ein Beispiel von vielen. Zudem sind die Veränderungen so groß und rasant wie nie zuvor. Das alles tut den Menschen nicht gut. Es erzeugt Stress und schmälert die Lebensqualität.
Müssen wir uns auf eine neue Langsamkeit besinnen?
Im Grunde müssen wir entscheiden, ob wir auf ein Stück Lebensqualität oder auf ein Stück materiellen Wohlstand verzichten wollen. Anderswo auf der Welt ist die Wirtschaft noch schneller. Folglich gilt: Wer nicht schnell ist, verschwindet vom Markt.
Im Grunde müssen wir entscheiden, ob wir auf ein Stück Lebensqualität oder auf ein Stück materiellen Wohlstand verzichten wollen.
Wir können entscheiden, haben aber trotzdem keine Wahl.
Aus meiner Sicht nicht. Wir müssen mit der Situation zurechtkommen. Es gibt dann noch etwas, was mir Sorgen bereitet, aber weniger als Unternehmer, mehr als Bürger.
Nämlich?
Der enorme öffentliche Schuldenberg, der in der Vergangenheit den künftigen Generationen aufgehalst wurde. Die aktuelle Politik macht es auch nicht besser: Sie hat den Wiederaufbaufonds PNRR erfunden, was ebenfalls nichts anderes ist als Schulden für morgen.
Das klingt alles recht pessimistisch.
Mein Opa hat einmal zu mir gesagt: „Wenn du nichts Positives mehr siehst, dann ist das ein Zeichen, dass du alt wirst.“ Nein, ich bin nicht pessimistisch. Die Menschen haben immer schon gezeigt, dass sie anpassungsfähig sind und Lösungen finden.
Die Zertifizierungen sind ja alle toll, aber wundern wir uns nicht, wenn Produkte dann teurer werden. Nicht alles, was wünschenswert ist, ist zugleich sinnvoll.
Wenn ich Sie nach Ihren Sorgen frage, dann nennen Sie gar nicht die Bürokratie. Haben sich Unternehmer wie Sie mit der Überreglementierung abgefunden?
Das ist ein leidiges Thema. Der bürokratische Aufwand hat sich vervielfacht, während von Bürokratieabbau gesprochen wird. Vor ein paar Jahrzehnten wurde die Buchhaltung auf einem Stück Papier geführt, und wenn ich daran denke, welche Pflichten, Auflagen, Regeln und Zertifizierungen die Unternehmen heute erfüllen müssen, dann frage ich mich, ob die Verhältnismäßigkeit wirklich noch stimmt. Die Zertifizierungen sind ja alle toll, aber wundern wir uns nicht, wenn Produkte dann teurer werden. Nicht alles, was wünschenswert ist, ist zugleich sinnvoll.
Die Hoffnung auf Entbürokratisierung stirbt zuletzt.
Wir bräuchten weniger Regeln, dafür gute. Wenn heute ein Problem auftritt, dann wird nicht geschaut, ob die Kontrollen funktioniert haben bzw. die derzeitigen Regeln zielführend sind, nein, es werden die Regeln noch einmal verschärft.
Ein viel diskutiertes Thema in Südtirol ist das Lohnniveau. Am Pranger steht Ihre Kategorie: die Arbeitgeber. Sind höhere Löhne wirklich nicht drin?
Die Rechnung ist ganz einfach: Unternehmen können höhere Löhne zahlen, wenn sie mehr erwirtschaften. Es muss uns also gelingen, die Qualität der Arbeit so zu verbessern, dass die Mitarbeiter entweder mehr produzieren können oder die Gewinnmargen auf die Produkte steigen. Wenn Verbraucher möglichst billige Produkte wollen, dann wird man kaum höhere Löhne zahlen können. Und dann dürfen wir noch etwas nicht vergessen.
Nämlich?
Es gibt gute und schlechte Zeiten. So wie jede Familie einen Teil des Einkommens als Polster für außerplanmäßige Ereignisse anlegen sollte, anstatt das gesamte Einkommen auszugeben, so müssen auch Unternehmen gerüstet sein, um in Krisenzeiten nicht sofort die Mitarbeiter entlassen zu müssen. Krisen gibt es immer wieder, das lehrt die Erfahrung. Unterm Strich denke ich schon, dass die allermeisten Unternehmen bemüht sind, bestmögliche Löhne zu bezahlen. Angesichts des Arbeitskräftemangels sind sie regelrecht dazu gezwungen.
Es gibt Menschen mit Arbeitskultur und Menschen mit Freizeitkultur.
Es wird viel über Work-Life-Balance und Arbeitszeitverkürzungen diskutiert. Wächst laut Ihrer Erfahrung der Wunsch, weniger zu arbeiten?
Das lässt sich nicht verallgemeinern. Es gibt Menschen mit Arbeitskultur, denen Leistung wichtig ist, um am Abend zufrieden zu Bett gehen zu können, und es gibt Menschen mit Freizeitkultur, denen die Hobbys wichtiger sind als die Arbeit. Arbeitgeber müssen beide Sorten von Menschen unter einen Hut bringen. Problematisch wird es, wenn Leute mit Freizeitkultur gleich viel Lohn wollen wie Leute mit Arbeitskultur. Stärker im Vormarsch als der Wunsch, weniger zu arbeiten, ist übrigens ein anderer Wunsch.
Welcher?
Ich stelle fest, dass das Streben nach einem unbefristeten Arbeitsvertrag auffallend wächst, obwohl es angesichts des Arbeitskräftemangels einfach ist, sofort einen neuen Job zu finden. Die Leute wollen Sicherheit. Das ist wohl eine Nachwirkung der Coronapandemie.
Ihre Präsidentschaft im Wirtschaftsring steuert auf die Halbzeit zu. Sie sind ein alter Hase im Verbandsgeschäft, ist die Aufgabe also so, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Philipp Moser, der Präsident „meines“ Verbandes, des hds, hat mich gut vorbereitet. Er war in der Vergangenheit ja auch schon swr-Präsident und hat mich vorgewarnt, dass ich mit einem bestimmten Zeitaufwand rechnen muss. Ich wusste also, was auf mich zukommt. Trotzdem, am Ende investiere ich mehr Zeit, als ich mir vorgestellt habe.
Der swr hat die Wirtschaftsgesinnung als eine der Prioritäten für diese Amtszeit definiert. Im Herbst ergab eine SWZ-Umfrage aber, dass die Wirtschaftsgesinnung in Südtirol besser ist als angenommen. Waren Sie überrascht?
Ich war überrascht, ja. Und ich war wohl nicht der einzige Überraschte. Offenbar steht die Bevölkerung der Wirtschaft näher als die Politik.
Ich habe den Eindruck, dass manchmal als zu selbstverständlich hingenommen wird, dass Südtirols Wirtschaft gut läuft.
Sie vermissen die Wirtschaftsgesinnung in der Landespolitik?
Wir bekommen viel Schulterklopfen. Wir brauchen aber konkrete Maßnahmen, damit die Unternehmen gut und schnell agieren können. Die Landesregierung betont, dass sie die Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt. Das ist lobenswert. Aber vergessen wir die Wirtschaft nicht. Ich habe den Eindruck, dass manchmal als zu selbstverständlich hingenommen wird, dass Südtirols Wirtschaft gut läuft.
Wir haben eh schon zu viel Wirtschaft, heißt es oft.
Das sagen die, die den Bauch voll haben. Die das Glück haben, ihren Lebensunterhalt nicht selbst erwirtschaften zu müssen.
Was wünschen Sie sich also von der Landespolitik?
Die Politik hat es sicher nicht leicht, und nicht alle Themen können wir in Südtirol lösen. Große Vorhaben lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen, und deswegen ist es richtig, dass der Landesregierung die notwendige Zeit gegeben wird. Wir werden sehen, was die große Reform im Wohnbau bringt und wann die Verkehrsmaßnahmen für Bozen kommen, um nur zwei zufällig gewählte Beispiele zu nehmen. Bisher gibt es viele Ankündigungen, zählen tun letztendlich aber die konkreten Taten. Meine Mitarbeiter sind ja auch nicht zufrieden damit, wenn ich ihnen Lohnerhöhungen verspreche, ohne sie zu machen.
Ist die Prioritätensetzung im Landeshaushalt falsch?
Es geht nicht immer nur ums Geld. Es geht um die Rahmenbedingungen, um gut arbeiten zu können. Die Bürokratie haben wir ja schon angesprochen. Die Verteilung von Steuergeld ist ohnehin immer problematisch, weil unter den Nutznießern oft nicht nur jene sind, die es wirklich brauchen. Ich bin für ein System, das Leistungsanreize schafft, anstatt Hilfen zu verteilen. Eine Steuerentlastung auf Überstunden fände ich zum Beispiel besser als immer mehr Transferleistungen. Wer Leistung bringt, soll sich nicht wie der Depp fühlen. Wobei wir natürlich zweifelsohne Transferleistungen benötigen, um die Schwächsten aufzufangen – aber nicht die Schlausten.
UVS-Präsident Heiner Oberrauch mahnt eine Spending Review an, weil die Fixkosten wachsen. Landeshauptmann Arno Kompatscher sieht das anders. Was meinen Sie?
Ich kann nur sagen, wie wir Unternehmer denken müssen. Wir müssen unsere Betriebe so aufstellen, dass wir Spielraum für ständige Investitionen haben und schnell auf Veränderungen reagieren können. So braucht auch die öffentliche Hand Mittel für gezielte Investitionen, die dazu beitragen, dass die Wirtschaft funktionieren kann und die Steuereinnahmen wachsen. Denn machen wir uns nichts vor: Die Herausforderungen für die öffentliche Hand werden in den nächsten Jahren nur noch größer. Denken wir zum Beispiel an Gesundheit und Pflege.
Wir haben eine Verantwortung für unsere Kinder. Ich möchte, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden. Zugleich darf kein Platz für ideologische Religionskriege sein.
Reden wir noch kurz über den Klimaschutz: Europa schreibt ihn groß, die USA scheinen sich unter Donald Trump davon zu verabschieden. Europa muss jetzt erst recht Vorbild sein, sagen die einen. Europa schadet seiner Wirtschaft, sagen die anderen. Was sagen Sie?
In Amerika gilt knallhart die Devise „Business first“. Wer erfolgreich ist, wird respektiert. Ich finde es richtig und notwendig, dass wir in Europa und Südtirol auf Nachhaltigkeit achten, denn wir haben eine Verantwortung für unsere Kinder, sprich für die nächsten Generationen. Ich möchte, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden. Zugleich darf kein Platz für ideologische Religionskriege sein. Pragmatismus ist angesagt. Wir müssen uns fragen, was die Klimawende kostet, was wir uns leisten können, wie schnell das alles zu schaffen ist, welche Maßnahmen das beste Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen bringen. Denn letztendlich kann nur umgesetzt werden, was die Bevölkerung bereit und imstande ist zu machen.
Interview: Christian Pfeifer
Info
Das ist Sandro Pellegrini
Seit einem Jahr ist Sandro Pellegrini Präsident des Südtiroler Wirtschaftsrings swr-ea. Zudem ist er Vizepräsident des Handels- und Dienstleistungsverbandes hds und der Handelskammer. Gemeinsam mit Bruder Andreas und Vater Mauro führt er die Geschäfte des Familienunternehmens Lemayr, der größten Bäckerei Südtirols.
Die Unternehmensgruppe beschäftigt rund 180 Mitarbeitende und produziert täglich Frischbrot für rund 200.000 Personen, dazu Pizza, Süßwaren und Tiefkühlbrot, das in ganz Italien ausgeliefert wird. Zur Gruppe gehört auch eine Firma, die Brötchen, Sandwiches, Baguettes und Tramezzini herstellt, verpackt und in alle Welt exportiert. Täglich sind es über 20.000 Stück.
Die Pellegrinis verkörpern das mehrsprachige Südtirol: Mutter Johanna Lemayr, die Unternehmenserbin, ist deutscher Muttersprache, Vater Mauro Pellegrini italienischer.
Ein ausführliches Porträt kann in der SWZ 10/24 (hier und in der SWZapp) nachgelesen werden.