Moskau/Bozen – IT-Fachkräfte sind bereits jetzt rar und werden in den kommenden Jahren immer gefragter werden. „Bis 2030 fehlen in Europa 900.000 IT-Fachkräfte – wenn nicht schnell gegengesteuert wird“, heißt es Spiegel Online zufolge in einem jüngst veröffentlichten gemeinsamen Positionspapier des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Aufgrund dieses IT-Fachkräftemangels haben der Südtiroler Johannes Ausserer und seine beiden Co-Founder Dimitrij Tonet, ein Schweizer, und Cyrille Derche, ein Franzose, eine Geschäftsidee entwickelt, die beim Gegensteuern helfen kann: Die drei jungen Männer, alle um die 30 Jahre alt, haben in Russlands Hauptstadt Moskau das Start-up Scoutrix gegründet, das IT-Spezialisten mit guten Englischkenntnissen aus Russland, Weißrussland und der Ukraine an Unternehmen in der Europäischen Union, vornehmlich dem deutschsprachigen Raum, vermittelt.
Ausserer, Jahrgang 1987, ist in Bozen und Tisens nahe Meran aufgewachsen. Nach einer Ausbildung an der BBS – Business School St. Gallen sowie dem Wirtschaftsstudium an der Freien Universität Bozen und der Moskauer Wirtschaftsuniversität Plekhanov sammelte er Berufserfahrungen in Deutschland und Italien, bevor er 2010 nach Russland auswanderte. Seit 2012 ist er Managing Partner von „Ausserer & Consultants“, einem auf Steuern und Buchhaltung spezialisierten Beratungsunternehmen, das vor allem für Firmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bzw. deren Tochtergesellschaften oder Repräsentanzen in Russland tätig ist.
Dieses Stammgeschäft, so Ausserer, entwickle sich gut, doch er habe nach einem weiteren Standbein mit Potenzial „in die andere Richtung“ gesucht: „Mit ‚Ausserer & Consultants‘ arbeiten wir für europäische Unternehmen, die nach Russland kommen, mit Scoutrix hingegen von Russland nach Europa“, so der Start-upper.
Gemeinsam mit seinem Co-Founder Dimitrij Tonet habe er sich schon seit einiger Zeit die Frage gestellt, was es Gutes in Russland gebe, das man der Welt oder Europa anbieten könnte. „Wir hatten schon mehrere Ideen, an denen wir gemeinsam getüftelt haben“, so Ausserer. „Aber jene zu Scoutrix ist die erste, die uns gut genug erschien, um in die Umsetzung zu gehen.“
Denn in Russland und in der GUS-Region im Allgemeinen sei die Ausbildung sehr mathematik- und informatikaffin und auf „einem sehr, sehr hohen Standard“, sagt Ausserer und ergänzt: „Deshalb haben auch einige Unternehmen, zum Beispiel das Schweizer Logistikunternehmen Kühne + Nagel oder Deutsche Bank, hier IT-Hubs errichtet.“ Als ihm dann ein Bekannter, ein in Deutschland arbeitender Russe erzählt habe, dass in „seinem“ Unternehmen dringend nach IT-Mitarbeitern gesucht werde, und dass bereits mehrere Russen bei ihm im Team arbeiteten, sei die Idee zu Scoutrix entstanden.
„Es gibt in Russland zwar keinen enormen Fachkräfte-Überschuss. Doch trotz des hohen Ausbildungsstandards fehlen teilweise interessante Arbeitgeber – ausgenommen Yandex, das ist das russische Google, und Hubs ausländischer Unternehmen, welche einen guten Mix aus Aufgabenstellung, Wertschätzung und finanzieller Entschädigung bieten“, erzählt Ausserer. „Viele Fachkräfte sind mit ihren Stellen, der Unternehmenskultur oder eben auch der Bezahlung nicht zufrieden, weshalb die Option, zeitweise oder auch lange Zeit im Ausland Erfahrung zu sammeln, gerne angenommen wird.“
Die ersten Schritte von Scoutrix erfolgten recht zügig: Die Geschäftsidee entstand im Februar, nach etwa zwei Wochen kam der Franzose Derche zum „Ausgangs-Team“ Ausserer und Tonet hinzu. „Wir haben zum einen einen Spezialisten aus dem IT-Bereich gebraucht, und wollten zum anderen jemanden mit internationaler Erfahrung, der Russland gut kennt, aber auch weiß, was in Europa nachgefragt wird, und welche Kenntnisse und Fähigkeiten Kandidaten, die wir vermitteln, haben müssen“, sagt Ausserer. Diese Voraussetzungen bringe Derche mit, der deshalb als dritter Co-Founder zum Scoutrix-Team stieß.
Die Arbeitsteilung im Start-up ist nun wie folgt: Derche ist für den technischen Bereich zuständig, Tonet vor allem für Sales und den direkten Kundenkontakt, Ausserer für Networking und Strategie. Zwischen zehn und 20 Stunden wöchentlich ist Ausserer für Scoutrix im Einsatz – neben weiteren 40 bis 50 Stunden in seinem Hauptjob.
Anfang April ging die Scoutrix-Website online. Das Unternehmen selbst ist noch in der Gründungsphase. „Bis dato wickeln wir die Geschäfte über meine Hauptgesellschaft ab“, sagt Ausserer. Erste Vermittlungen nach Deutschland hat es schon gegeben. Verdient haben die Gründer mit ihrer Geschäftsidee jedoch noch nichts. „Ich gehe davon aus“, so Ausserer, „dass wir bis Ende des Jahres Einnahmen erzielen werden.“ Er fügt aber auch an, dass die bisherige Startphase „relativ kostengünstig gewesen ist: Wir nutzen Büro und Adresse von ‚Ausserer & Consultants‘, auch die Gründung machen wir. Kosten hatten bzw. haben wir lediglich fürs Aufsetzen der Website und für das Pflegen des Netzwerks, was aber auch jeder für seine Haupttätigkeit macht. Es sind viele Synergien, die wir nutzen können“, führt Ausserer aus.
Dass es mit Scoutrix bisher so rasch vorangegangen ist, führt Ausserer auch darauf zurück, dass alle drei Co-Founder bereits Erfahrungen als selbstständige Unternehmer bzw. Freiberufler haben.
Die Kommunikation zwischen den Geschäftspartnern läuft hauptsächlich über ein Onlinesystem. „Was gut klappt“, sagt Ausserer. „Und was auch wichtig ist, denn wir befinden uns nicht ständig am selben Ort: Cyrille pendelt zwischen Portugal, der Schweiz und Moskau; Dimitrij und ich sind zwar hauptsächlich in Moskau, doch beruflich bin besonders ich regelmäßig im Ausland unterwegs.“
Gibt es mit Scoutrix vergleichbare Unternehmen? „Wir haben in Moskau bzw. Russland“, so Ausserer, „keine mit diesem Ost-West-Modell und der Spezialisierung auf IT gefunden. Im weltweiten Vergleich gibt es aber einige Recruiter, die sich auf den IT-Bereich spezialisiert haben.“
Und wo sehen die Gründer Scoutrix in fünf Jahren? „Die Idee“, sagt Ausserer, „hat sicherlich Potenzial. In diesem Sinne hoffen wir, dass Scoutrix ein paar Jahre gut läuft. Aber die Idee ist wohl auch zu speziell, um richtig groß zu werden. Auch wenn es in Russland viele gut ausgebildete Fachkräfte gibt, ist das grundsätzliche Russland-Bild im Westen und der Eindruck, den viele Europäer von Russland haben, eintönig gefärbt – ungeachtet dessen, was für das Land und die Menschen hier eigentlich wirklich zutrifft. Es ist deshalb zu erwarten, dass teilweise Abstriche bei fachlichen Skills in Kauf genommen, und lokale Kandidaten vorgezogen werden.”