Rom/Tramin – Wein ist in Italien weit mehr als ein Getränk – er symbolisiert Kultur, Tradition und Lebensfreude. Und bislang galt eine ungeschriebene Regel: Wein ohne Alkohol ist kein Wein. Es war Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, der diesen Satz im Frühjahr auf der renommierten Weinmesse Vinitaly verlauten ließ und damit die Debatte um alkoholfreien Wein neu entfachte. Jetzt, ein halbes Jahr später, die Kehrtwende: Minister Lollobrigida legt ein Dekret vor, das erstmals die Produktion von entalkoholisiertem Wein in Italien erlaubt und das Produkt auch offiziell als Wein anerkennt.
Bereits vor drei Jahren, im Dezember 2021, hatte die EU den Mitgliedsstaaten gestattet, entalkoholisierten Wein herzustellen und unter strengen Auflagen als Wein zu vermarkten. In Spanien und Frankreich ist er bereits eine Marktgröße. Italien jedoch hielt an seiner Ablehnung fest. Erst der wachsende Druck der Weinbranche brachte Bewegung in die Diskussion.
Nachfrage wächst konstant
„Das Dekret zum entalkoholisierten Wein ist jetzt doch schneller gekommen als erwartet“, sagt Martin Foradori. Der Südtiroler Winzer und Vizepräsident des Konsortiums Südtirol Wein ist seit Langem ein Verfechter dieses besonderen Produkts. Neben seinem Weingut Hofstätter in Tramin betreibt er ein weiteres in Deutschland, wo er bereits seit Jahren entalkoholisierten Wein aus Riesling herstellt – einer Rebsorte, die sich besonders gut dafür eignet. Rund 100.000 Flaschen produziert er pro Jahr. „Aber ich könnte noch viel mehr verkaufen, die Nachfrage ist enorm“, sagt Foradori.
„Es ist, als wolle man uns sagen: Ihr dürft, aber wir legen euch so viele Steine in den Weg, dass ihr es euch zweimal überlegt.“
Für ihn ist die Öffnung Italiens überfällig, denn das Konsumverhalten habe sich spürbar verändert: Immer mehr Menschen verzichten auf Alkohol – sei es aus gesundheitlichen Gründen oder weil es zu einem bewussteren Lebensstil passt. Besonders jüngere Generationen greifen zunehmend zu alkoholfreien Alternativen. Entalkoholisierter Wein, so Foradori, biete bis zu 70 Prozent weniger Kalorien und sei daher eine attraktive Option.
Wenn Foradori sich aber den Entwurf des Dekrets durchliest, muss er den Kopf schütteln: „Es ist, als wolle man uns sagen: Ihr dürft, aber wir legen euch so viele Steine in den Weg, dass ihr es euch zweimal überlegt.“
Strenge Vorschriften erschweren Produktion
Das Dekret von Minister Lollobrigida regelt die Herstellung von entalkoholisiertem Wein in Italien bis ins kleinste Detail. Die Definition folgt den EU-Vorgaben: Entalkoholisierter Wein darf maximal 0,5 Prozent Alkohol enthalten, teilweise entalkoholisierter Wein bis zu neun Prozent. Zugelassene Verfahren – wie die Vakuumverdampfung oder Membrantechniken – müssen streng eingehalten werden, die Zugabe von Wasser oder Aromen ist untersagt. Nicht verwendet werden dürfen Weine mit geschützter Herkunftsbezeichnung DOP und IGP.
Kellereien, die alkoholfreien Wein produzieren möchten, müssen dafür separate Räume mit eigenem Eingang einrichten.
Und dann geht Italien in der Reglementierung noch einen Schritt weiter: Kellereien, die alkoholfreien Wein produzieren möchten, müssen dafür separate Räume mit eigenem Eingang einrichten. Auch der Transport darf nicht über dieselben Wege erfolgen wie der von herkömmlichem Wein. Besonders kontrovers ist die Regelung zum extrahierten Alkohol, der als Nebenprodukt gilt und der Verbrauchssteuer unterliegt. Dies sorgt für zusätzliche Kosten und Bürokratie. Die Weinbranche fordert daher Nachbesserungen, insbesondere bei der Anerkennung des Alkohols als Abfallprodukt und der räumlichen Trennung.
Marktpotenzial, aber nicht für alle
Trotz dieser Hürden sehen Branchenkenner:innen großes Potenzial – wenn auch nicht in allen Regionen Italiens. Martin Foradori glaubt, dass vor allem große Kellereien in Süditalien oder der Emilia Romagna in den Markt einsteigen könnten. „Dort sind die Weine günstiger, das macht die Produktion von alkoholfreiem Wein wirtschaftlich interessant.“
In Regionen, die auf hochwertigen Wein spezialisiert sind, wie die Toskana oder eben Südtirol, dürfte sich hingegen wenig ändern. „Unsere Weine sind zu teuer, und die passenden Rebsorten fehlen. Vielleicht könnte Gewürztraminer funktionieren, aber wirtschaftlich lohnt sich das nicht“, sagt Foradori.
„Entalkoholisierter Wein schmeckt anders, es fehlt der Pfeffer, das Wesentliche.“
Auch Franz Röll, Geschäftsführer des Bozner Wein-Großhandels Vinum, ist skeptisch. In seinem Sortiment von 8.000 Weinsorten sind nur fünf alkoholfrei. „Und sie sind kaum gefragt“, sagt er. Der Grund? „Entalkoholisierter Wein schmeckt anders, es fehlt der Pfeffer, das Wesentliche“, sagt Röll. Für ihn bleibt Wein ein Kulturgut, das man bewahren sollte: „Natürlich ist es gut, im Handel und in Restaurants alkoholfreie Alternativen anzubieten, um das Angebot abzurunden. Aber ein Wein ohne Alkohol wird nie den echten Wein ersetzen.“
Zwischen Tradition und Innovation
Anders sieht es Foradori: „Viele unterschätzen das Potenzial, vor allem jene, die davon profitieren könnten. Alkoholfreie Weine sprechen nicht die klassischen Weintrinker an, sondern Menschen, die bewusst verzichten – das ist eine völlig neue Zielgruppe.“ Ein weiterer Aspekt ist die Rolle der Gastronomie: „Bars und Restaurants sind wichtige Multiplikatoren. Wenn sie es schaffen, alkoholfreie Alternativen kreativ und überzeugend zu präsentieren, könnte das viel bewegen.“ Für die Branche könnten sich daraus neue Chancen ergeben: Restaurants, Bars und Einzelhändler, die alkoholfreie Weine ins Sortiment aufnehmen, könnten von einem breiteren Publikum profitieren.
Vorsichtiger Aufbruch
Noch ist das Dekret ein Entwurf und nicht beschlossen und über die Details wird weiter diskutiert. Ob sich alkoholfreier Wein in Italien durchsetzen kann, hängt sowohl von den Regelungen als auch von der Akzeptanz der Produzenten und Verbraucher:innen ab. Entalkoholisierter Wein wird die italienische Weintradition vielleicht nicht revolutionieren, aber er könnte sie bereichern. Als Brücke zwischen Genuss und bewussterem Lebensstil eröffnet er eine neue Perspektive für die Branche – und vielleicht auch für die Kultur.
Karin Köhl
DIE AUTORIN ist Nachrichtensprecherin beim Südtirol Journal und freie Journalistin.