Bozen – Josef Negri freut sich. Anfang November wird er einen Urlaub mit seiner Frau machen. Aber noch ist er hier, im Unternehmerverband, und zwar mit Leib und Seele. Der Noch-Direktor des UVS kommt schnellen Schrittes und mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen aus seinem Büro und bittet in den Sitzungsraum gleich nebenan. Der Händedruck ist fest. Josef Negri schaut nicht aus wie einer, der in wenigen Tagen in den Ruhestand tritt. Im Gegenteil, der 67-Jährige versprüht Energie. Dass der 31. Oktober sein letzter Arbeitstag bei jenem Verband sein wird, bei dem er vor genau 40 Jahren angefangen hat, fühlt sich für ihn unwirklich an, obwohl er es seit Wochen – oder eigentlich seit Monaten – weiß. Josef Negri erweckt den Eindruck, als würde er bis zum letzten Tag gerne in den Unternehmerverband fahren.
„Der Direktor führt die Präsidenten“
Blaues Hemd mit dazu passendem kariertem Sakko, dunkle Brille mit wachen Augen dahinter: So sitzt Josef Negri im Sitzungsraum, beide Unterarme auf den großen Besprechungstisch gestützt. Hier hat er in den vergangenen Jahren viele Stunden verbracht. Daran liegt es wohl, dass er die Schüssel mit den farbenfrohen Loacker-Waffeln vor ihm so elegant ignorieren kann.
Der Mann ist hörbar interviewerprobt. Seine 40 Verbandsjahre, davon 16 Jahre als Geschäftsführer des Baukollegiums (1993 bis 2009) und ebenfalls fast 16 Jahre als UVS-Direktor (seit 1. Jänner 2010), haben ihn geprägt. Er antwortet in Hochsprache, selbst wenn ihm die Fragen im Dialekt gestellt werden. Er spricht schnell und ohne Umschweife. Die Hände reden mit, die Augen suchen Blickkontakt.
Seine 40 Verbandsjahre, davon 16 Jahre als Geschäftsführer des Baukollegiums und ebenfalls fast 16 Jahre als UVS-Direktor, haben ihn geprägt.
Obwohl der Unternehmerverband mit seinen 30 Mitarbeitenden und rund 500 Mitgliedsunternehmen der kleinste unter Südtirols wichtigen Wirtschaftsverbänden ist, wird er äußerst ernst genommen. Das zeigt sich regelmäßig zu Jahresbeginn beim Unternehmerempfang und zur Jahresmitte bei der Jahresversammlung, wo alles zusammenströmt, was in Südtirols Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Rang und Namen hat. Freilich, die 500 Mitgliedsfirmen sind durchwegs große Unternehmen, sie beschäftigen gemeinsam rund 55.000 Mitarbeitende. Aber ist das der Grund, warum alle kommen, wenn der UVS ruft?
Josef Negri lehnt sich zurück. Er glaubt die richtige Antwort zu kennen. „Wir stehen als Verband natürlich für den Wert der Industrie ein, es geht uns zugleich aber immer um das große Ganze, sprich um die Entwicklung Südtirols“, sagt er und beeilt sich zu ergänzen: „Es war mein Glück, immer großartige Persönlichkeiten als Präsidenten gehabt zu haben, die diese ganzheitliche Sichtweise vertreten.“ Deswegen der regelmäßige Austausch mit den Gewerkschaften. Und deswegen das Business Forum, bei dem von 2011 bis 2019 die Spitzen der Industrieverbände von Italien und Deutschland alljährlich nach Bozen geholt wurden. Das Format gibt es immer noch, ist aber an leichter erreichbare Schauplätze umgesiedelt.
Dass das alles nicht nur ein Verdienst der Präsidenten war, sondern auch seiner, zumindest ein bisschen, das würde Negri nie sagen. Heiner Oberrauch, der zuerst als Vizepräsident und dann als Präsident ein langjähriger Weggefährte von Josef Negri war, sagt es aber ohne Umschweife: „Natürlich führt der Präsident den Verband. Aber es ist auch wahr, dass der Direktor die Präsidenten führt.“

Durch Zufall zum Verband
Josef Negri, so Oberrauch, sei „einer jener Topmanager, die die Aufgabe in den Mittelpunkt stellen und nicht sich selbst“. Dazu gekommen ist es eher durch Zufall. Der Kalterer – in Kaltern geboren, in Kaltern aufgewachsen, bis heute in Kaltern wohnhaft – hatte Betriebswirtschaft in Innsbruck studiert und kurz vor Ende des Militärdienstes die Stellenanzeige entdeckt: Sachbearbeiter in der Sektion Bau des Industriellenverbandes (heute Unternehmerverband). „Da sehe ich, welche interessanten Unternehmen es gibt“, betrachtete der 27-Jährige den Job im Verband, der damals den Sitz noch in der Bozner Freiheitsstraße hatte, eher als Mittel zum Zweck. Negri bekam den Job und trat ihn am 18. Juni 1985 an. Dann lernte er den Unternehmer Michl Seeber kennen. „Ein Glück“, so erinnert sich Negri. Er spricht oft von Glück.
Josef Negri sei „einer jener Topmanager, die die Aufgabe in den Mittelpunkt stellen und nicht sich selbst“, sagt Heiner Oberrauch.
Auf Seebers Betreiben wurde 1990 ein Baukonsortium gegründet und Negri – parallel zu dessen Job – zum Verwaltungsleiter ernannt. Dank dieser Kooperation konnten lokale Unternehmen gemeinsam drei große Kläranlagenprojekte abwickeln. Ebenfalls auf Betreiben von Michl Seeber wurde 1993 die Sektion Bau im Industriellenverband zum Kollegium der Bauunternehmer umorganisiert und Negri zum Geschäftsführer gemacht. 1995 und 1996 fungierte Negri zudem als Interims-Geschäftsführer des Verbandes der Gebäudeeigentümer.
Beim Baukollegium blieb Negri, bis er Anfang 2010 dem langjährigen UVS-Direktor Udo Perkmann nachfolgte. Gut 30 Interessierte aus dem In- und Ausland hatte es damals gegeben. Nach einem mehrmonatigen Auswahlverfahren, durchgeführt von der internationalen Personalvermittlungsagentur Egon Zehnder, blieb am Ende Negri übrig.
Jetzt bekommt Josef Negri selbst einen Nachfolger. Er ist ein alter Bekannter. Mit Mirco Marchiodi hat Negri bereits von 2012 bis 2024 zusammengearbeitet, als dieser das Studienzentrum und die Kommunikation im UVS verantwortete. Nach einem kurzen Intermezzo als Chefredakteur des Alto Adige kehrt der gelernte Journalist Marchiodi nun zurück.
14 Präsidenten und Josef Negri
Noch schnell ein paar Fotos. Josef Negri führt auf die Dachterrasse des UVS. Er weiß, was er zu tun hat. Die langjährige Medienerfahrung kommt ihm zugute. Er hat keine Scheu vor Kameras. Während sich manche anderen Direktoren auf die Verbandsführung konzentrieren, verstand sich Negri immer als Direktor, der auch politisch Stellung bezieht, „immer lösungsorientiert, konstruktiv und dialogbereit“, wie er betont. Seine Präsidenten hätten ihm immer den Freiraum dafür gewährt, was für „ein Glück“.
Genau 14 Präsidenten hat der UVS in Negris 40 Verbandsjahren gehabt, allein fünf Präsidenten in seiner Zeit als Direktor. Negri war so etwas wie der unverrückbare Fixstern. Seine Direktorentätigkeit verstand er als Doppelrolle. Zum einen hatte er den Verband nach innen zu führen, „eine Expertenorganisation mit hochprofessionellen Leuten, die keine fachliche Führung brauchen, sondern nur Voraussetzungen, um optimal für die Mitglieder arbeiten zu können“, wie er sagt. Zum anderen war er Netzwerker und Interessenvertreter nach außen.
Genau 14 Präsidenten hat der UVS in Negris 40 Verbandsjahren gehabt, allein fünf Präsidenten in seiner Zeit als Direktor.
Dafür entscheidend ist Präsenz bei Veranstaltungen und Sitzungen, sehr oft am Abend. „Wenn sich die Unternehmer nach Feierabend Zeit nehmen, dann ist es das Mindeste, dass auch der Verbandsdirektor kommt“, sagt Negri und fügt hinzu: „Ich habe meine Arbeit nie in Zeit gemessen.“ Natürlich seien seine Aufgaben zuweilen herausfordernd gewesen, aber „ich habe das Glück, ein positiv denkender Mensch zu sein, der in Herausforderungen immer Chancen sucht“.
Was wird er in Zukunft tun, so ganz ohne Unternehmerverband? Erst einmal den erwähnten Urlaub machen. Und „Distanz finden“, sagt Negri. Er werde sich nicht mehr einmischen, sondern „mich darauf vorbereiten, was dieser neue Lebensabschnitt für mich bringt“, sagt er. Vielleicht eine Aufgabe im sozialen Bereich, so genau weiß er das nicht. Noch ist er ja da, im Unternehmerverband. Mitte November wird er auch da sein, wenn der UVS sein 80-jähriges Bestehen feiert. Dann aber als Pensionist.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Dem Verband die Treue
Interview
„Unserer Jugend eine Perspektive geben“
SWZ: Ist der Stellenwert der Industrie für den Wohlstand im Lande ausreichend anerkannt?
Josef Negri: Die industriell organisierten Unternehmen genießen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht den Stellenwert, den sie sich verdienen würden. Diesbezüglich ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Produktionszonen machen in Südtirol vier Prozent der nutzbaren Fläche aus, das produzierende Gewerbe erwirtschaftet aber 25 Prozent der gesamten Wertschöpfung, vereint 24 Prozent der unselbstständig Beschäftigten auf sich und generiert 80 Prozent des Exports.
Die Industrie hat sich im Laufe der vier Jahrzehnte, in denen Sie im Unternehmerverband gearbeitet haben, tiefgreifend geändert.
Das stimmt. Die Industrie ist eine ganz andere geworden. Sie produziert heute das Zehnfache von dem, was sie vor 50 Jahren schaffte, und verbraucht dabei um 30 Prozent weniger Strom. Sie zeichnet sich durch eine hohe Innovationskraft aus und bringt hochqualitative Produkte hervor. Einige Südtiroler Industrieunternehmen gehören in ihrer Nische zu den Weltmarktführern.
Gibt es etwas, was Ihnen für Südtirols Zukunft Sorgen bereitet?
Das große Thema, das wir vorantreiben müssen, ist die Klimawende. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir sie dank der Innovationskraft der Unternehmen schaffen werden. Mehr Sorgen bereitet mir der demografische Wandel.
Inwiefern?
Wir werden mit weniger Arbeitskräften auskommen müssen, und trotzdem muss es gelingen, die Wirtschaftsleistung möglichst zu erhöhen, um das Wohlstandsniveau zu halten und die Sozialleistungen zu finanzieren – dies auch vor dem Hintergrund, dass in einer alternden Gesellschaft mehr Menschen auf Sozialleistungen angewiesen sein werden. Gerade deshalb muss der Wert der Industrie erkannt werden. Südtirol braucht alle Wirtschaftssektoren, aber es ist statistisch belegt, dass in der Industrie die Pro-Kopf-Wertschöpfung am höchsten ist.
Wie blicken Sie auf Europas Zukunft?
Der demografische Wandel wird für ganz Europa eine Herausforderung. Besonders prioritär erscheint mir aber auch, dass die EU endlich von ihrer Regulierungswut Abstand nimmt. Wir werden die Zukunft – inklusive der Klimawende – nicht mit einer Überreglementierung bewältigen können, die die Unternehmen behindert und ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Wir brauchen dringend Deregulierungen und Vereinfachungen. Dazu braucht es aber die Bereitschaft, nicht alles bis ins kleinste Detail regeln zu wollen.
Diese Bereitschaft vermissen Sie?
Ja, in Europa, in Italien und in Südtirol. Laut einer Studie von Confindustria könnten wir die Wertschöpfung um sechs Prozent erhöhen, wenn wir die Regulierung auf das US-Niveau bringen würden. Dieses Potenzial müssen wir entfalten.
Sie waren 35 Jahre lang Führungskraft. Was macht aus Ihrer Sicht eine gute Führungskraft aus?
Im Wesentlichen zwei Elemente: die Bereitschaft zum Zuhören und der Mut zu Entscheidungen.
Was wäre zum Abschied Ihr Wunsch an die Landespolitik?
Mein Wunsch war immer ein konstruktiver Austausch mit allen Partnern, auch wenn die Meinungen zuweilen auseinandergehen. Auf der Basis dieses Austausches müssen Entscheidungen getroffen werden, die unserer Jugend eine Perspektive geben. Ich beobachte mit Sorge, dass viele junge Menschen dem Land den Rücken kehren. Südtirol wird sich nicht gut entwickeln können, wenn es zu einer alternden Gesellschaft wird.
















