Bozen – Eigentlich haben sie keine Zeit für ein Interview oder zumindest nur ganz wenig. Es ist bald Weihnachten. Und das heißt für die Metzgereibetriebe Stress. Rund um Weihnachten und den Jahreswechsel essen die Südtiroler:innen mehr Fleisch als sonst. „Sie wollen gut essen und gut trinken“, sagt Klaus Kofler, der Obmann der Berufsgemeinschaft der Metzger im Wirtschaftsverband Handwerk und Dienstleister lvh. Und zu einem Festessen gehört Fleisch eben dazu, egal ob zu Hause oder im Restaurant.

Weil zudem der Tourismus Hochsaison hat, ist bei der Familienmetzgerei Siebenförcher der Dezember gemeinsam mit dem August der umsatzstärkste Monat. „Wenn andere Urlaub machen, haben wir viel Arbeit“, stellt Barbara Siebenförcher fest. Sie führt das Unternehmen in dritter Generation gemeinsam mit ihren Brüdern Thomas und Florian. Siebenförcher gehört zu den größeren Metzgereibetrieben in Südtirol: In Gargazon stehen Verwaltung und Logistik, in Meran die Produktion und ein Detailgeschäft, in Brixen ein weiteres Geschäft.
Dass zu Weihnachten und zum Jahreswechsel, genauso wie an anderen Festtagen, mehr Fleisch verzehrt wird, war schon immer so. Nur dass Fleisch früher ein Luxusnahrungsmittel war und heute in unserer Gesellschaft mehr oder weniger für alle jederzeit erschwinglich ist, wenngleich in unterschiedlicher Qualität. Die Tradition, dass Fleisch zu einem Festmahl dazugehört, hat sich in unsere Zeit herübergerettet. Und das, obwohl insgesamt weniger Fleisch gegessen wird, zumindest in Europa. „Weltweit schießt der Fleischkonsum kerzengerade nach oben, bei uns ist er hingegen rückläufig,“, weiß Thomas Mair, der die Fleischboutique Meatery in Olang betreibt.
Was die Statistiken zum Fleischverzehr sagen
Ein Blick in die Datenbanken des Landesstatistikinstitutes Astat liefert die Bestätigung. Laut der regelmäßigen Mehrzweckerhebung stieg der Anteil der Südtiroler Männer, die weniger als einmal pro Woche oder sogar nie Rind- oder Kalbfleisch konsumieren, zwischen 2011 und 2021 von 43 auf knapp 56 Prozent, bei den Frauen von 58 auf 68 Prozent. Ähnlich sieht es bei Schweinefleisch aus: Bei den Männern wuchs der Anteil von 59 auf 70 Prozent, bei den Frauen auf hohem Niveau von 77 auf 78 Prozent. Wurstwaren wurden 2011 von 27 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen höchstens einmal pro Woche konsumiert, 2021 hingegen von 39 bzw. 50 Prozent.
Laut Astat stieg der Anteil der Südtiroler Männer, die weniger als einmal pro Woche oder sogar nie Rind- oder Kalbfleisch konsumieren, zwischen 2011 und 2021 von 43 auf knapp 56 Prozent, bei den Frauen von 58 auf 68 Prozent.
Die Tendenz, die Statista für Deutschland darlegt, dürfte in ähnlicher Form auf Südtirol zutreffen: 1991 verzehrte jede:r Deutsche pro Jahr durchschnittlich 64 Kilogramm Fleisch, jetzt sind es noch 52 Kilo. „Es wird weniger Fleisch konsumiert, dafür aber auf Qualität geachtet“, beobachtet Klaus Kofler.
Das liegt zweifelsohne am veränderten Bewusstsein für Umwelt- und Tierschutz. Bilder von Massentierhaltungsbetrieben und Lebendtiertransporten haben sich in den Köpfen eingeprägt, genauso die Erkenntnis, dass die Tierhaltung klimaschädliche Treibhausgase verursacht. Zudem gilt der Fleischverzehr zunehmend als ungesund, zumindest in jenen Maßen, wie sie in Mitteleuropa lange Gewohnheit waren. Vegetarische und teilweise auch vegane Ernährung sind im Vormarsch, Fleisch wird bewusster konsumiert als noch vor ein, zwei Jahrzehnten.
„Fleisch ist verschrien. Die Vegetarier und Veganer machen zwar nur wenige Prozent der Bevölkerung aus, sie sind aber laut“, sagt Meatery-Inhaber Thomas Mair. Dass ihn das stört, kann er nicht verbergen. Er selbst arbeite mit einheimischem Fleisch, deswegen „wird wegen mir der Regenwald sicher nicht abgeholzt“. Auch dürfe nicht vergessen werden, dass das Nahrungsmittel Fleisch auch die Existenz vieler Bauersleute sichere und indirekt einen Beitrag zur Landschaftspflege leiste. Mair: „Ab einer gewissen Meereshöhe wächst ja nix mehr außer Gras. Gäbe es das Vieh nicht, würde kein Bauer eine Alm bewirtschaften.“

Wie es den Südtiroler Metzgern geht
Dann überrascht Mair mit einer Aussage: „Ich bin selbst dafür, dass weniger Fleisch gegessen wird – dafür dann aber gutes.“ Sein Kollege, der lvh-Metzgerobmann Klaus Kofler, stimmt zu. Der sinkende Fleischkonsum sei für ihn kein Problem, im Gegenteil: Dass die Konsumierenden mehr auf die Qualität statt auf die Quantität achten, sei für einen Handwerksmetzger wie ihn sogar von Vorteil. Kofler ist übrigens mit einer Vegetarierin verheiratet. „Gemüsehändler war keiner frei“, scherzt er.
Metzgerobmann Klaus Kofler ist übrigens mit einer Vegetarierin verheiratet. „Gemüsehändler war keiner frei“, scherzt er.
Dass der Fleischkonsum schrumpft, sorgt also nicht für Krisenstimmung in der Branche. Allerdings musste sie sich verändern. Zum Beispiel haben die Metzgereien ihr Sortiment mit Halbfertig- und Fertigprodukten ergänzt: „Dass der Fleischkonsum kilomäßig rückläufig ist, muss nicht zwingend Umsatzeinbußen bedeuten“, erklärt Klaus Kofler, der selbst ein Beispiel für den Wandel im Metzgergeschäft ist. Kofler betreibt gemeinsam mit der Familie ein Geschäft in Unsere Liebe Frau im Walde sowie zwei Geschäfte in Meran und ist auch auf den Wochenmärkten in Kaltern und Bruneck präsent. Seit 2017 heißt das Unternehmen nicht mehr „Metzgerei“, sondern „Kofler Delikatessen“. Die kontinuierliche Erweiterung des Produktsortiments habe eine neue Markenpositionierung notwendig gemacht, heißt es auf der Website.

Zahlreiche klassische Metzgereien haben sich zu Lebensmittelgeschäften weiterentwickelt. „Die Leute sind einfach nicht mehr bereit, für ihre Einkäufe mehrere Geschäfte aufzusuchen“, beobachtet Klaus Kofler. Die reinen Metzgereibetriebe sind weniger geworden, deutlich weniger. Um die 200 sind es noch, sagt Kofler. Thomas Siebenförcher verweist auf die Entwicklung in Meran: „In den 1970er-Jahren existierten hier noch etwa 20 Metzgereien, heute ist es eine Handvoll.“
Die Suche nach neuen Wegen
Einer, der ebenfalls vor Augen führt, wie sich das Metzgergewerbe verändert, ist Thomas Mair. Er hat in Olang aus der Metzgerei Mair die Fleischboutique Meatery gemacht und nach innovativen Lösungen gesucht. Seit mittlerweile zehn Jahren steht vor seinem Metzgerladen ein Fleischautomat im Stile eines Getränkeautomaten, wo an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr Würste, Steaks usw. gekauft werden können, unabhängig von den Geschäftszeiten. Mair, der Wirtschaft studiert hat, entwickelte das System gemeinsam mit seinem Vater und heimischen Handwerkern. Heute ist der Automat nicht mehr wegzudenken, 2013 war er eine Attraktion, erinnert sich Mair: „Hätte ich für jedes Foto einen Euro gekommen, hätte ich viel Geld verdient“, lacht er.
Noch länger als den Fleischautomaten betreibt Mair die Kühlschließfächer. Kunden und Kundinnen, die es nicht rechtzeitig ins Geschäft schaffen, können telefonisch bestellen und das Fleisch dann per Code abholen. Bezahlt wird per Bank- oder Kreditkarte. Und dann betreibt Thomas Mair noch einen Onlineshop.

Nicht nur im eigenen Betrieb sucht Thomas Mair nach neuen Wegen. Gemeinsam mit Namensvetter Hannes Mair von der „Metzgerei & Feinkost Mair“ in Terlan hat er 2021 ein Konzept ausgearbeitet, um die Sichtbarkeit und das Image der Südtiroler Metzger zu verbessern. Heute zählt „Butchers of South Tyrol“ rund 50 Mitgliedsbetriebe, dazu gehören auch Kofler Delikatessen und Siebenförcher. Ein Internetauftritt, Social-Media-Kampagnen sowie Videos sollen Werbung für den Metzgerberuf machen. „Wir müssen etwas tun, bevor es uns nicht mehr gibt“, sagt Thomas Mair, denn der Beruf werde nicht als erstrebenswert wahrgenommen. „Alle haben den Metzger mit dem blutigen Schurz im Kopf, aber so schaut der Beruf längst nicht mehr aus“, so Mair. Es sei sogar vorgekommen, dass ein Lehrling den Beruf gewechselt habe, „weil wenn er beim Ausgehen gesagt hat, er lerne Metzger, waren die ‚Gitschn‘ alle weg“. Die wenigen Buben, die den Beruf erlernen wollen, seien Metzgerbuben, die den elterlichen Betrieb übernehmen werden, erzählt Mair.
Der lvh-Metzgerobmann Klaus Kofler bestätigt die Nachwuchssorgen, „aber die haben ja im Grunde alle Berufsgruppen“. Thomas Siebenförcher meint, es schrecke ab, dass das Metzgergewerbe sehr arbeits- und investitionsintensiv sei.
Die Südtiroler Filet-Gesellschaft

Da trifft es sich gut, dass es immer mehr Metzger gibt, die nach vorne treten und es verstehen, sich und ihren Beruf gut zu vermarkten. Sie können helfen, das Metzgergewerbe aus der Schmuddelecke herauszubringen – und das Fleisch gleich mit. Die Metzger hüten sich auch davor, einheimisches Fleisch als das einzig gute darzustellen. „Importfleisch ist nicht zwingend schlechter“, sagt Klaus Kofler. Und dass in der Gastronomie nicht auf die Fleischqualität geachtet werde, stimme absolut nicht, zumal in Südtirol, das für seine gute Küche bekannt sei, ergänzt Thomas Siebenförcher.
Und wie sieht es mit der ganzheitlichen Verwertung des Tiers aus? „Das hat man immer schon gemacht“, meint Thomas Siebenförcher, während Klaus Kofler sich vorsichtiger äußert: Früher seien Reste „in die Wurst gekommen“, aber nicht mehr alle Metzger würden selbst Würste produzieren. Thomas Mair nimmt auch die Konsumenten und Konsumentinnen in die Pflicht: „Wir sind zu einer Filet-Gesellschaft geworden.“ Dass auch andere Teile hervorragend verarbeitet werden können, versucht er mit Veranstaltungen in seinem „Meatingpoint“ zu zeigen. Denn: ohne Fleisch kein Preis.