Brüssel – Ab Juni 2026 wird es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der EU möglich sein, die durchschnittlichen Gehälter ihrer Kolleginnen und Kollegen in vergleichbaren Positionen zu erfahren – gegliedert nach Geschlecht und Rolle. Die EU-Richtlinie 2023/970, verabschiedet vor zwei Jahren, verpflichtet Unternehmen zu mehr Offenheit in Gehaltsfragen. Ziel ist es, dem anhaltenden geschlechtsspezifischen Lohngefälle entgegenzuwirken. Derzeit verdienen Frauen in Europa im Schnitt 13 Prozent weniger als Männer.

Eine der Hauptursachen dieser Lohnungleichheit ist laut Corriere della Sera die mangelnde Transparenz: „Warum es im Kampf gegen das ‚geschlechtsspezifische Lohngefälle‘ hilft: In Europa verdienen Frauen 13 Prozent weniger als Männer.“ Die neue Richtlinie soll genau hier ansetzen, indem sie das sogenannte Lohngeheimnis abschafft und Unternehmen verpflichtet, offen über ihre Vergütungsstrukturen zu informieren.
Das Ende des Lohngeheimnisses
Bislang war es in Ländern wie Italien üblich, Gehälter als streng vertrauliche und personenbezogene Daten zu behandeln. Arbeitgeber waren angehalten, keine sensiblen Informationen wie Gehaltsdaten offenzulegen. Mit der neuen EU-Richtlinie wird dieses Verständnis grundsätzlich geändert: Arbeitnehmer erhalten das Recht, Auskunft über das durchschnittliche Entgelt vergleichbarer Tätigkeiten im Unternehmen zu verlangen – untergliedert nach Geschlecht. Diese Auskunft muss innerhalb von zwei Monaten erfolgen. Ist die Antwort unvollständig oder ungenau, kann eine detaillierte Auskunft eingefordert werden.
Zudem dürfen Arbeitsverträge künftig keine Klauseln mehr enthalten, die es Beschäftigten verbieten, über ihr Gehalt zu sprechen. Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Mitarbeitenden jährlich auf dieses Recht hinzuweisen. Auch Bewerber profitieren: Künftig müssen Unternehmen bereits vor der Einstellung das vorgesehene Anfangsgehalt mitteilen. Zudem ist es ihnen untersagt, Informationen über das bisherige Gehalt der Bewerber einzuholen.
Was sich konkret ändert
Mit der Umsetzung der Richtlinie bis spätestens zum 7. Juni 2026 werden Unternehmen verpflichtet sein, ihre Entlohnungspolitik klar zu definieren und Gehaltsunterschiede nachvollziehbar zu begründen. Arbeitnehmer dürfen sich frei über ihre Vergütung äußern und Informationen über das durchschnittliche Einkommen in vergleichbaren Rollen einholen – ohne jedoch individuelle Gehälter anderer Kolleginnen und Kollegen abzufragen.
„Die Umsetzung der Richtlinie ermöglicht Unternehmen, ein gerechteres, inklusiveres und wettbewerbsfähigeres Arbeitsumfeld zu schaffen.“ Miriam Quarti
Miriam Quarti, Leiterin für Reward & Engagement bei Odm Consulting, betont laut Corriere della Sera, dass die Umsetzung nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung sei, sondern eine strategische Gelegenheit: „Sie ermöglicht Unternehmen, ein gerechteres, inklusiveres und wettbewerbsfähigeres Arbeitsumfeld zu schaffen.“ Die systematische Analyse der Gehaltsdaten schärfe das Bewusstsein für Gleichbehandlung, fördere Vertrauen und ermögliche eine nachhaltigere Personalstrategie – über Geschlechterfragen hinaus.
Die frühzeitige Vorbereitung auf die Umstellung sei daher entscheidend: „Unternehmen, die die Richtlinie rechtzeitig umsetzen, reduzieren nicht nur rechtliche Risiken, sondern erhöhen auch ihre Attraktivität für Talente, fördern Mitarbeiterbindung und stärken ihre Arbeitgebermarke“, so Quarti.
Zertifizierungen als Vorreiter
Parallel zur EU-Richtlinie etabliert sich in vielen Unternehmen die sogenannte „Gender-Zertifizierung“. Sie bestätigt die Einhaltung von Gleichstellungsstandards – oft über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Diese Unternehmen analysieren ihre Strukturen, fördern gezielt Weiterbildung und schaffen familienfreundlichere Arbeitsbedingungen. Das bestätigt eine aktuelle Studie von Odm Consulting in Zusammenarbeit mit der Gi Group Foundation und Valore D:
75 Prozent der zertifizierten KMU sehen Mutterschaft als wertvollen Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, verglichen mit nur 34 Prozent der nicht zertifizierten Unternehmen.
44,1 Prozent der zertifizierten Firmen haben gezielte Programme für junge Eltern etabliert – bei nicht zertifizierten Unternehmen sind es lediglich fünf Prozent.
50 Prozent der zertifizierten Unternehmen bieten spezielle Schulungen zur Wiedereingliederung nach der Elternzeit, verglichen mit 17 Prozent der nicht zertifizierten Firmen.
41,2 Prozent gewähren zusätzlichen Elternurlaub über das gesetzliche Maß hinaus – gegenüber 14 Prozent der Vergleichsgruppe.
Ein Schritt in Richtung Fairness
Trotz Fortschritten sind Frauen am Arbeitsmarkt weiterhin unterrepräsentiert – insbesondere in Führungspositionen. „Weniger als fünf Prozent der Verwaltungsratspositionen in Italien werden von Frauen mit Leitungsverantwortung bekleidet, nur zwei Prozent haben die Rolle des CEO inne – und auch dort meist ohne direkte geschäftliche Entscheidungsgewalt“, erklärt Quarti. Zudem nehme das Lohngefälle mit dem Alter zu: Während es bei der Generation Z noch bei minus 3,5 Prozent liegt, beträgt es bei den Babyboomern bereits minus 27,8 Prozent.
Die neuen Maßnahmen der EU markieren einen bedeutenden Schritt in Richtung Lohngleichheit – nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern als Fundament für eine insgesamt fairere Arbeitswelt.