Christian Pfeifer meint
Das Licht nach dem Schatten
Ich bin ein Optimist. Und deswegen blicke ich frohen Mutes auf 2021. Es wird das Jahr sein, in dem wir uns aus den Krallen von SARS-CoV-2 befreien: Die größte Impfkampagne der Menschheitsgeschichte in Kombination mit einer fortschreitenden natürlichen Immunität und – weiterhin unverzichtbar – einem gewissen Maß an Vorsicht wird dem Virus das Leben zunehmend schwer machen. Der Sommer wird weitgehend normal, diese Hoffnung habe ich.
Zugegeben, eine Garantie dafür gibt es nicht, denn ich kann die Zukunft genauso wenig vorhersagen wie andere. Aber wenn wir Trübsal blasen und das Schlimmste erwarten, haben wir ohnehin verloren. Also bin ich lieber ein Optimist. Nach jedem Schatten kommt ein Licht, und Schatten hatten wir heuer mehr als genug.
2021 wird es wirtschaftlich aufwärts gehen. Firmenpleiten und Arbeitslose werden sich nicht ganz vermeiden lassen, aber unterm Strich wird sich Südtirols Wirtschaft erstaunlich schnell am eigenen Schopf aus dem Coronasumpf ziehen. Wie rasch die Konsum- und Investitionslust zurückkehrt, hat der vergangene Sommer gezeigt, als viele (nicht alle) Touristiker, Gastwirte, Handwerker und Kaufleute positiv überrascht wurden vom Geschäftsverlauf. Die jüngsten Astat-Zahlen zu den Exporten sprechen ebenfalls Bände: Südtirol hat im Juli, August und September ein Ausfuhrminus von nur 1,3 Prozent gegenüber 2019 erlitten.
Die dritte Welle
Trotzdem heißt es 2021 beißen. Gestundete Steuern und Kredite werden fällig, und diese zu bedienen, wird eine Herausforderung, weil die Umsätze notgedrungen nicht schlagartig auf das Vor-Corona-Niveau zurückschnellen. Auch werden nicht mehr alle Geschäftsmodelle funktionieren, die vor Corona funktioniert haben.
Bevor es schrittweise aufwärts geht, werden die ersten Wochen des neuen Jahres noch äußerst mühsam sein. Und wenn ich die Unbekümmertheit mancher Zeitgenoss*innen nach mittlerweile zwei heftigen Corona-Wellen betrachte, dann rechne ich mit einer dritten Welle samt Teil-Lockdown. Da bin ich ausnahmsweise kein Optimist.
Simone Treibenreif meint
Liefern, was versprochen wird
Unlängst habe ich irgendwo gelesen, dass Lawrence Henry Summers, einst Chefökonom der Weltbank und auch mal US-Finanzminister sowie Nationaler Wirtschaftsberater der US-Regierung, einmal folgenden gescheiten Satz gesagt haben soll: „Es ist besser, 8 zu versprechen und 9 zu liefern, als 15 zu versprechen und 11 zu liefern. Auch wenn 11 größer ist als 8.“
Durcheinander und fehlende Planungssicherheit
Ich wünsche mir, dass ein solches Vorgehen 2021 Maxime und Trend wird – vor allem bei politischen Entscheidungsträger*innen auf allen Ebenen. Sie alle sollten nach den Erfahrungen der vergangenen Monate verstanden haben, dass Versprechungen bzw. Ankündigungen inmitten einer Pandemie, die von Unvorhersehbarkeiten gekennzeichnet ist und die zu einer nie dagewesenen Krise im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben geführt hat, kontraproduktiv sind, wenn sie letztlich nicht eingehalten oder umgesetzt werden. Das macht Bürger*innen und Wirtschaftsakteur*innen nämlich psychisch mürbe. Leere und nicht eingehaltene Zusagen und Versprechen führen zu fehlender Planungssicherheit – und ohne eine solche kommen höchstpersönlich-private genauso wie privatwirtschaftliche und öffentliche Organisationsstrukturen durcheinander, oder schlimmer: Sie brechen zusammen. Das darf nicht sein! Denn gerade in einer Krisensituation geben solche Strukturen Sicherheit und Halt. Und für viele ist ständiges Um- oder Neuorganisieren ohne bzw. mit äußerst knapper Vorlaufzeit nicht machbar – oder aber es schlägt auf das Gemüt und die Motivation.
Wenn die Rahmenbedingungen für was auch immer dagegen klar und rechtzeitig vorgegeben und kommuniziert werden, dann können sich die allermeisten damit arrangieren – so schwierig und aufwändig es auch sei.
Nun bin ich unsicher, ob „mein“ Trend 2021 von denen, die seine Umsetzung in der Hand haben, auch tatsächlich aufgenommen und umgesetzt werden wird. Oder ob er viel mehr ein Wunschtraum bleiben wird.
Sabina Drescher meint
Ihr Kinderlein kommet
Zu Beginn der Pandemie fragte ich mich, ob wohl die Geburten- oder die Scheidungsrate nach dem Lockdown stärker steigen würde. Während es erste Meldungen, aber noch keine genauen Zahlen zu den in die Brüche gegangenen Ehen gibt (Tendenz steigend), erwartet Italien bei den Geburten 2021 einen neuen Negativrekord. Rund 390.000 sollen es sein, prognostiziert das italienische Statistikinstitut Istat. Der langjährige Trend, dass mehr Menschen sterben als geboren werden, verstärkt und verfestigt sich durch die Krise.
Es dürfte mittlerweile den allermeisten klar sein, dass Frauen eine gute Infrastruktur der öffentlichen Kinderbetreuung benötigen, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. In Südtirol, das mit dem Trentino als einzige Region eine leichte Bevölkerungszunahme verzeichnet, organisieren sich nach wie vor zahlreiche Berufstätige selbst, spannen Familie und Bekannte ein, weil sie sich auf die öffentlichen Einrichtungen nicht verlassen können. Weil auch immer mehr Großeltern selbst arbeiten oder zu weit weg wohnen, fällt diese Art der Betreuung zunehmend weg.
Hinlänglich bekannt ist auch, dass durch eine stärkere private und berufliche Gleichheit der Geschlechter, wie etwa das Beispiel Skandinavien zeigt, eine hohe Beschäftigungsquote der Frauen nicht automatisch zu einer niedrigen Geburtenrate führen muss.
Obwohl die Entwicklungen und deren Ursachen offensichtlich erscheinen, bekommt das Thema nicht die Aufmerksamkeit, die ihm zustehen würde. Das sollte sich 2021 ändern. Auch würde der Debatte eine neue Perspektive guttun. Bisher konzentriert sie sich fast ausschließlich auf die Quantität an Leben – nicht auf die Qualität. Tut mehr Leben unserer Erde überhaupt gut? Könnten wir nicht in ein möglichst gesundes und produktives Altern investieren und gleichermaßen in die Bildung von Kindern und Jugendlichen, um die Nachteile auszugleichen? Egal, ob man die ein oder andere Sichtweise bevorzugt: Wir müssen die Entwicklung der Geburten genau beobachten und die Hintergründe erkennen, um Strategien zu entwickeln. Die haben wir dringend nötig.
Robert Weißensteiner meint
Kassensturz nach der Pandemie
Das kommende Jahr ist ein Jahr der Hoffnung, der Bewährung und des Kassensturzes. Die Hoffnung gründet auf der Annahme, dass es gelingt, die Coronapandemie mit Hilfe der bevorstehenden Impfungen nach und nach zurückzudrängen und zu überwinden. Die Bewährung besteht darin, wie wir wieder Tritt fassen und dort anknüpfen können, wo das Seil im März gerissen und im Sommer notdürftig geflickt worden ist. Dabei geht es nicht so sehr darum, ob alles wieder so wird, wie es war (denn das scheint in mancherlei Hinsicht nicht einmal wünschenswert), sondern vielmehr darum, ob es gelingt, das Schiff über Wasser zu halten, um dann wieder (vielleicht auch neue) Segel setzen zu können.
Vor allem aber wird 2021 das Jahr, in dem wir Kassensturz machen müssen. So, wie die Zivilschützer nach Abklingen der Niederschläge vor einer Woche ihre Noteinsätze beendet haben und ans Aufräumen gegangen sind, geht es darum zu eruieren, wie groß die Corona-Schäden sind, wie viel uns die Krisenmaßnamen gekostet haben und noch kosten werden und wie es gelingen kann, die notwendigen Kredite zu bedienen.
Auch Südtirol wird Kassensturz machen müssen
Die finanziellen Folgewirkungen sind noch nicht absehbar, da es zwar so etwas wie einen Rahmen für die Mehrausgaben gibt, aber nur Schätzungen für die Mindereinahmen. Fest steht, dass der Staat in den Jahren 2020 und 2021 über 200 Milliarden neue Schulden machen muss, um die dringendsten Hilfsmaßnahmen zu finanzieren. Die Mittel, die für neue Initiativen zur Verfügung stehen, kommen aus dem Recovery Fund der EU, wobei oft ausgeblendet wird, dass die 209 Milliarden, die bis 2023 nach Rom fließen sollen, zu 60 Prozent Kredite sind, die Italien zurückzahlen muss, und auch der größere Teil der Kapitalbeiträge keine Schenkungsbeiträge sind, sondern die EU dafür Steuern kassiert, die die Italiener bezahlen müssen. Kassensturz wird auch das Land Südtirol machen müssen, denn im Landeshausalt 2021 klafft ein gewaltiges Loch. Wie dieses gestopft wird, ist noch offen. Die Optionen sind: sparen oder Schulden machen.