Bozen/Seis – Freispruch! Am Montag vergangener Woche ging für den Unternehmer Markus Silbernagl – und auch für den Beamten Günther Burger – ein jahrelanges Gerichtsverfahren zu Ende. Zuletzt sprach sich selbst die Staatsanwaltschaft für einen Freispruch aus.
Zur Erinnerung die komplizierte Angelegenheit im Schnelldurchlauf: Die sogenannte Sad-Affäre begann im Juli 2018, als das Land die 800 Millionen Euro schwere Ausschreibung der außerstädtischen Busdienste annullierte. Weil mit einer Mail Ausschreibungsdetails an die Öffentlichkeit gelangt waren, begründete die Landesregierung. Weil den Bewerbern KSM und Libus (Präsident: Markus Silbernagl) wegen der fehlenden Eintragung ins REN-Register der Ausschluss gedroht hätte, vermuteten die Ermittlungsbehörden.
In der Folge wurden monatelang zahlreiche Personen belauscht und beobachtet. Auf der Basis der Akten inklusive der Telefonmitschnitte schrieben die Journalisten Christoph Franceschini und Artur Oberhofer das aufsehenerregende Buch „Freunde im Edelweiß“.
Gegen Markus Silbernagl erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Wettbewerbsstörung. Der erste Verhandlungstermin im Hauptverfahren fand im Mai 2022 statt.
Um die Teilnahme seiner Unternehmensgruppe an der erneuten Ausschreibung der Busdienste nicht zu gefährden, war Markus Silbernagl schon 2021 als Geschäftsführer zurückgetreten und hatte seine Unternehmensanteile von 99 auf 74 Prozent gesenkt. Die 25 Prozent gingen an Ehefrau, Kinder und Vater.
SWZ: Herr Silbernagl, werden Sie nach dem Freispruch jetzt wieder Geschäftsführer?
Markus Silbernagl: Nein. Ich habe es schätzen gelernt, einen tüchtigen Geschäftsführer zu haben. Delegieren fällt mir schwer, aber rückblickend betrachtet war es ein Segen, dass ich dazu gezwungen wurde. Die gesetzliche Vertretung werde ich aber wieder übernehmen.
Warum haben Sie in einer ersten Stellungnahme dann geschrieben, dass Sie fünf Jahre lang in ihrer beruflichen Handlungsfreiheit eingeschränkt waren?
Das hat nichts mit der Geschäftsführung zu tun. Das Tagesgeschäft konnten wir gut abwickeln. Aber letztendlich bin ich der Unternehmer, und wenn gegen den Unternehmer ermittelt und danach sogar Anklage erhoben wird, dann müssen manche Pläne, die man hat, in der Schublade bleiben – aus rechtlichen Gründen, aber auch wegen des Misstrauens, das einem entgegenschlägt. Zudem musste ich mich bei den Banken immer erklären, als wir Finanzierungen brauchten, zum Beispiel, nachdem wir im Zuge der Neuausschreibung der außerstädtischen Busdienste drei der zehn Lose gewonnen hatten. Sicher, die Banken haben nur ihre Arbeit gemacht, und letztendlich hat es mit den Finanzierungen geklappt. Es war aber keine normale Situation.
Ich bin eine Zeit lang im Unterland selbst Schülerbus gefahren, auch weil es ziemlich chaotisch war.
Sie sagen richtig: Sie haben drei der zehn Lose gewonnen, Ihre Unternehmen waren erfolgreich. Spielen Sie nicht unnötig das Opfer?
Ich spiele nicht das Opfer. Aber Sie können mir glauben, dass es unangenehm ist, ein Angeklagter in einem Strafprozess zu sein. Ich war mir relativ sicher, dass die Sache gut ausgehen würde, trotzdem schwebte das Damoklesschwert der Unsicherheit über mir. Ich bin eine Zeit lang übrigens im Unterland selbst Schülerbus gefahren, auch weil es ziemlich chaotisch war, als wir die Busdienste übernehmen mussten und praktisch von einem Tag auf den anderen die Firma verdreifachen mussten.
Die Einladungen zu Veranstaltungen werden spürbar weniger, viele Leute wollen sich nicht mehr mit dir blicken lassen.
Sie waren nie in Hausarrest wie etwa Heinz Peter Hager, trotzdem schreiben Sie in besagter Stellungnahme, dass Sie fünf Jahre lang in ihrer „persönlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt“ gewesen seien. Inwiefern?
In der öffentlichen Meinung wirst du vorverurteilt, sobald gegen dich ermittelt wird. Die Einladungen zu Veranstaltungen werden spürbar weniger, viele Leute wollen sich nicht mehr mit dir blicken lassen. Angenehmer Nebeneffekt: Du merkst, wer wirklich zu dir steht.
Fühlen Sie sich als Justizopfer, obwohl Sie freigesprochen wurden?
Nein. Ich fühle mich eher als Zeitverlustopfer. Es ist belastend, dass ein Verfahren so lange dauert. Zwischen den Verhandlungstagen vergehen Wochen und Monate. Jedes Mal kocht die Sache von Neuem hoch, dann verdrängt man sie wieder, bis die nächste Verhandlung kommt. Das ist nicht gut für die Psyche.
Sie haben kein Verständnis dafür, dass es so lange gedauert hat?
Ich glaube an den Rechtsstaat. Aber das System hat Schwächen. Es liegt nicht an den Menschen, die im System arbeiten, sondern am System selbst. Aus meiner Sicht sollen die Ermittlungen so lange dauern, wie es notwendig ist. Aber wenn die Erkenntnisse dann auf dem Tisch liegen, dann muss das Gerichtsverfahren schnell gehen. Es ist nicht angenehm, alle paar Wochen als Angeklagter im Gerichtssaal zu sitzen.
Aus meiner Sicht sollen die Ermittlungen so lange dauern, wie es notwendig ist. Aber wenn die Erkenntnisse dann auf dem Tisch liegen, dann muss das Gerichtsverfahren schnell gehen.
Sind Sie zornig?
Wenn Verdachtsmomente vorliegen, dann ist es richtig, wenn der Sache auf den Grund gegangen wird. In diesem konkreten Fall wurde ein Riesenaufwand betrieben mit Telefonabhörungen, Verwanzungen und Beschattungen. Und ich gestehe, dass ich aus allen Wolken gefallen bin, als gegen mich Anklage erhoben wurde. Ich hatte die Ermittlungsakten ja gelesen. Da war nichts. Aber nein, zornig bin ich nicht. Ich bin ein positiver Mensch, der in die Zukunft blickt.
Was war das Schlimmste an der ganzen Geschichte?
Das Schlimmste war, als mich meine damals noch junge Tochter gefragt hat, ob ich etwas Falsches getan habe und ob ich ins Gefängnis muss. Wie erklärst du deinen Kindern, was da passiert, wenn sich schon die Erwachsenen schwertun, die komplexe Angelegenheit zu verstehen? In jenem Moment habe ich mir gedacht: Kein Unternehmen, kein Erfolg, kein Geld der Welt ist es das wert!
Wie haben Sie in dieser Zeit die Rolle der Medien erlebt?
Es gibt unterschiedliche Arten der Berichterstattung. Manche Medien haben die Sache aufgebauscht. Am Anfang witterte man einen Skandal, in den womöglich sogar der Landeshauptmann verwickelt sein könnte.
Die Medien machen nur ihre Arbeit, finden Sie nicht?
Vielleicht bin ich als Betroffener nicht ganz objektiv. Meine Erfahrung ist aber, dass der vermutete Skandal breitgetreten wurde und der nahende Freispruch weniger interessant war.
Meine Erfahrung ist , dass der vermutete Skandal breitgetreten wurde und der nahende Freispruch weniger interessant war.
Als Folge der Affäre ist – basierend auf Ermittlungsakten – auch das Buch „Freunde im Edelweiß“ erschienen, das für ein politisches Erdbeben gesorgt hat.
Zum Inhalt des Buches möchte ich nichts sagen. Für mich ist aber nicht nachvollziehbar, dass in einem Rechtsstaat Ermittlungsakten und Tonaufnahmen, die nur den Gerichtsbehörden und Prozessparteien vorbehalten wären, an die Öffentlichkeit gelangen. In der Benko-Hager-Angelegenheit ist das erneut passiert. Da werden dann Aussagen aus dem Kontext gerissen, und es wird in aller Öffentlichkeit spekuliert, verdächtigt und vorverurteilt.
Fühlen Sie sich jetzt rehabilitiert? Oder bleibt etwas hängen?
Sagen wir es so: Die Tinte vom Stempel ist mit dem Freispruch weg, aber der Stempel bleibt. Viele Leute werden sich denken, dass ich wohl nur einen guten Anwalt gehabt habe und dass etwas schon gewesen sein muss. Damit muss ich leben. Eine Genugtuung – und auch eine Überraschung – war für mich, dass schlussendlich die Staatsanwaltschaft, die zuvor Anklage erhoben hatte, selbst den Freispruch gefordert hat und nicht nur der Richter. Im ersten Moment im Gerichtssaal dachte ich, ich hätte mich verhört. Das hat gutgetan. Und noch etwas war für mich wichtig.
Nämlich?
Sofort nach dem Freispruch habe ich meiner Tochter, die mittlerweile in München studiert, eine Nachricht geschrieben. Das war ein emotionaler Moment für mich. Eines ist die Firma, etwas anderes ist die Familie. In den ersten Tagen nach dem Freispruch war ich ein bisschen wie in Trance, obwohl ich mir den Ausgang erwartet hatte.
Das war ein emotionaler Moment für mich. Eines ist die Firma, etwas anderes ist die Familie.
Verraten Sie, wie hoch die Anwaltsspesen waren? Und wer das bezahlt hat?
Es handelt sich um einen höheren fünfstelligen Betrag. Mehr möchte ich aus Respekt vor dem Rechtsanwalt nicht sagen. Gezahlt hat das Konsortium Libus, als dessen Präsident ich angeklagt war.
Was lernen Sie aus der Sache?
Ich bin es als Unternehmer gewohnt, Dinge aktiv anzugehen. In dieser Angelegenheit fühlte ich mich ausgeliefert. Ich konnte nichts machen. Aber jetzt ist alles gut: Unsere Unternehmen funktionieren, ich habe eine intakte Familie, ich bin freigesprochen. Was will ich mehr?
Eine letzte Frage an den Busunternehmer: Südtirols Politik nimmt Unsummen für den Busverkehr in die Hand und lässt viele Busse leer oder halb leer durch die Gegend fahren. Ist das wirklich im Sinne der Nachhaltigkeit?
In touristisch entwickelten Gebieten fahren die Busse nicht leer, auch nicht in den sogenannten Tagesrandzeiten. In den weniger entwickelten Gebieten hingegen ist ein funktionierender Nahverkehr aus meiner Sicht ein sinnvolles Rezept gegen die Landflucht, auch wenn die Busse nicht immer voll besetzt sind. Für Busse gilt, dass das Angebot die Nachfrage schafft. Und wenn wir ernsthaft wollen, dass der Individualverkehr vielleicht weniger wird, dann müssen wir Angebot schaffen.
Interview: Christian Pfeifer
Info
Die Silbernagl-Gruppe
Das Busunternehmen Silbernagl wurde 1978 von Anton Silbernagl gegründet. Seit 1994 sind die Söhne Markus und Günther im Betrieb. Mittlerweile ist Silbernagl das größte private Busunternehmen zwischen Mailand und München und zählt knapp 300 Mitarbeitende und fast 200 Busse. Der Hauptsitz befindet sich gleich neben der Talstation der Seis-Seiseralm-Umlaufbahn.
Unter dem Namen Silbernagl werden Reisebusfahrten angeboten. Zudem fährt Silbernagl als einer von zwei Südtiroler Partnerbetrieben für Flixbus. Die Simobil hingegen hat sich drei der zehn Ausschreibungslose für die außerstädtischen Liniendienste gesichert (Unterland/Überetsch, Vinschgau und Schlerngebiet/Gröden). Seit 2023 gehört auch das Busunternehmen Holzer in Sexten zur Silbernagl-Gruppe. Dazu kommt das Reisebüro Primus Touristik sowie die österreichische TLB, die seit 2018 in Tirol die Nahverkehrslinie Landeck-Nauders bedient und mittlerweile grenzüberschreitend bis nach Mals fährt.
Easy-Mobil, ein Gemeinschaftsunternehmen der Firmen Silbernagl und Pizzinini, transportiert im Auftrag der Bezirksgemeinschaften Menschen mit Beeinträchtigung zu den Werkstätten; den Schultransport hingegen hat es 2024 im Zuge der Landesausschreibung verloren.
Das Konsortium Libus, zu dem Silbernagl gehört und dessen Präsident Markus Silbernagl ist, befindet sich übrigens in Abwicklung. Der Zusammenschluss von kleineren Busunternehmen war bis zur Neuausschreibung ein wichtiger Player im Südtiroler Personennahverkehr.
















