Bozen – Musik Walter ist kein Geschäft, in das man „schnell mal“ hinein- und wieder hinausgeht. Es ist ein Ort, an dem man bleibt, lauscht, probiert, abschweift. 500 Quadratmeter Klang und Möglichkeit, Tausende Instrumente, dazwischen Partituren, Noten- und Kinderbücher. Unten im Keller eine Werkstatt, in der Holzblasinstrumente ein zweites Leben erhalten. Oben ein Raum, in dem Jugendliche jammen – laut und frei, so wie es hier einst Florian Gasser als Teenager tat. Heute gehört ihm dieser Ort. Gemeinsam mit Andreas Innerebner hat er das Bozner Traditionshaus übernommen. „Wir sind jetzt verheiratet“, scherzen die beiden – und man glaubt es sofort: Die Chemie stimmt.
„Man kommt hierher, um zu stöbern, zu probieren, sich beraten zu lassen – und um etwas zu finden, von dem man vielleicht gar nicht wusste, dass man es sucht.“ Andreas Innerebner
Florian ist groß und schlank, seine blonden Haare stehen ihm verwuschelt zu Berge, als hätten sie keine Lust, stillzuhalten – genau wie er. Auf seinem rechten Arm blitzt ein Gespenst-Tattoo unterm Musik-T-Shirt hervor. Neben ihm sitzt Andreas, den alle Andy nennen. Sportlich und bodenständig, trägt er einen olivgrünen Pullover zur kurzen Jeans. Über sein Gesicht huscht konstant ein offenes, freundliches Lächeln. „Bei uns ist immer ein Blödsinn in der Luft“, sagt Florian. „Arbeit ist das eine – aber die Freude daran, sie gemeinsam zu tun, das ist es, was trägt.“
Zwei Biografien, die in Musik enden
„Ich bin eigentlich gelernter Heizungs- und Sanitärinstallateur“, erzählt Andy. Doch Musik war früh sein zweiter Puls: Musikkapelle im Dorf, Chor. Schließlich das Konservatorium in Bozen. „Ich habe Tuba studiert, wollte Richtung Musiklehrer. Dann kam alles anders – und heute bin ich froh, nicht im Klassenzimmer gelandet zu sein, sondern hier.“
Florian wuchs in einer Familie auf, in der Musik Alltagssprache war: Hausmusik, Musikschule, von Blockflöte bis C-Harmonika. „Musik hat alles geprägt“, sagt er. Nach der Gewerbeoberschule unterrichtete er, dirigierte, probierte, spielte: zuerst E-Gitarre in einer Rock-Combo, später Blasrock. Mit seiner Band, den „Pamstiddn Kings“, tourte er „von Berlin bis Rom“. Florian grinst: „Das war damals neu – Rock und Pop mit Blasinstrumenten. Heute haben andere das perfektioniert.“

Der lange Weg zur Unterschrift
Seit zehn Jahren arbeitet Florian bereits bei Musik Walter, Andy seit vier. Der Gedanke an eine Übernahme kam noch vor der Pandemie – doch Corona bremste die Pläne. „Damals wurde deutlich, wie schwierig und risikoreich so ein Schritt sein kann.“ Dennoch ist der Wunsch nie erloschen. „Vor Weihnachten letzten Jahres sind wir’s dann ernsthaft angegangen“, erzählt Florian. Ein Freund, Wirtschaftsberater in Brixen, half beim Planen. „Wir sind von Bank zu Bank getingelt. Heute so eine Summe aufzutreiben, ist nicht leicht. Am Ende hat die Raika Ritten an uns geglaubt. Aber bis die staatlichen Garantien, Unterschriften, Freigaben durch waren … das hat fünfmal so lange gedauert, wie wir gedacht hatten.“ Andy nickt: „Wir waren vorbereitet, motiviert, und konnten trotzdem nicht starten. Das war mühsam. Du schläfst schlechter, bist auf 100 – und wartest.“
„Wir sind von Bank zu Bank getingelt. Heute so eine Summe aufzutreiben, ist nicht leicht.“ Florian Gasser
Am 1. August dann die Erleichterung: Unterschriften trocken, Start frei. Die bisherige Inhaberin, Evi Seebacher, atmet mit auf. „Meine Kinder sind in Deutschland, sie konnten den Laden nicht übernehmen“, sagt sie. „Umso glücklicher bin ich, dass die Jungs weitermachen. Ich bleibe da und helfe, aber sie geben jetzt den Takt an.“ Buchhaltung und Büro führt sie weiter, solange es allen guttut. „Es ist ein Traditionshaus seit über 40 Jahren. Und das soll es auch bleiben.“
„Es ist ein Traditionshaus seit über 40 Jahren. Und das soll es auch bleiben.“ Evi Seebacher
Sechs Menschen halten diesen Klangkörper am Laufen: Florian und Andy vorne, Evi im Büro, ein Magazineur, ein weiterer Mitarbeiter – und im Keller Franz Fischnaller, die Koryphäe für Holzblasinstrumente. „Der Franz ist zu 200 Prozent ausgelastet“, sagt Florian. Kein Werbespruch, sondern Konsequenz aus einem Versprechen: Wer hier kauft, bekommt kein Karton-Schicksal. „Online kommt eine Gitarre und ist vielleicht falsch eingestellt“, sagt Florian. „Für Laien unspielbar. Hier ist jede Gitarre vorjustiert. Und wenn jemand die Saiten tiefer möchte, passiert das vor Ort.“
Ein Haus, das berät, stimmt, repariert
Romantiker gegen den Zeitgeist sind sie nicht. Aber Überzeugungstäter fürs Gegenüber. „Ich bin generell ein bisschen gegen allesonline“, sagt Florian. „Was ich lokal bekomme, kauf ich lokal – auch wenn’s zehn Euro mehr kostet. Ich will ja, dass Geschäfte bleiben. Damit jemand später auch wieder zu uns kommen kann.“ Andy ergänzt: „Die Leute sind sensibler geworden, ein Geschäft muss heutzutage mehr sein als reiner Verkaufspunkt.“ Und dann sagt er den Satz, der wie ein Leitmotiv über dem Haus steht: „Man kommt hierher, um zu stöbern, zu probieren, sich beraten zu lassen – und um etwas zu finden, von dem man vielleicht gar nicht wusste, dass man es sucht.“
„Die Leute sind sensibler geworden, ein Geschäft muss heutzutage mehr sein als reiner Verkaufspunkt.“ Andy Innerebner
Welche Instrumente sind die Bestseller bei Musik Walter? „Gitarre geht immer“, sagt Florian, „weil man schnell anfangen kann und sie leistbar ist.“ Daneben der Klassiker zum Schulbeginn: die Blockflöte. Und ein Bereich, der leise groß geworden ist: Klangschalen, Ethno-Instrumente, Stimmgabeln.
In den Regalen stapeln sich methodische Schulhefte für den ersten Schritt am Instrument; an den Wänden hängen Saxofone, Klarinetten, Trompeten. Ein paar Schritte weiter beginnt das Herz der Kapellmeister:innen: Blasorchester-Noten. „Jede Kapelle stellt jedes Jahr neue Programme zusammen. Die Verlage bringen Neuheiten, wir beraten, spielen hinein“, sagt Florian. „Kapellmeister verbringen hier ganze Vormittage. Hören, vergleichen, suchen.“
Die Kundschaft? Bunt gemischt. Andy: „Touristen und Touristinnen kommen zum Schnuppern. Der Hauptteil aber sind Südtirolerinnen und Südtiroler – aktuell viele aus dem Trentino, weil es dort keine Geschäfte gibt, die auf Blasmusik spezialisiert sind.“
Im oberen Stock, im E-Gitarren-Zimmer, treffen sich Jugendliche, die sich vorher nicht kannten, und spielen zusammen. Laut? Ja – aber der Raum ist schallisoliert. Florian lacht: „Ich hab dort als Jugendlicher gespielt. Ein Stück Geschichte.“ Und wenn jemand die Tür auflässt, kommt Andy und macht sie wieder zu – ihm wird’s manchmal zu laut.
Charaktere am Klangpult
Wer die beiden eine Weile reden hört, versteht, warum Evi von Anfang an das richtige Gespür hatte. „Ich hab recht bald gesagt: Überleg dir das mit der Übernahme“, erzählt sie über Florian. Der suchte sich Andy, weil er „gleich gepfiffen hat wie ich“ – ein Satz, so leicht, wie ihre Zusammenarbeit wirkt. „Wir kannten uns gar nicht so lange“, sagt Florian. „Aber du merkst, wenn jemand passt. Der Andy kommt rein, pfeift, lächelt, hat Leichtigkeit – und die Leute mögen ihn.“
„Arbeit ist das eine – aber die Freude daran, sie gemeinsam zu tun, das ist es, was trägt.“ Florian Gasser
Andy ist 30, Florian feierte heuer seinen 40er. Andy spielt Klarinette und Tuba, dirigiert die Musikkapelle in seinem Heimatdorf Weißenbach, leitet den Chor – und schwärmt von der Orgel: „Wie ein Orchester in einem einzigen Instrument. Ich kann sie nicht gut spielen, aber sie fasziniert mich am meisten.“ Mit der Brass Band Überetsch stand Andy auf Wettbewerbspodien. Musik, sagt er, sei „Genugtuung und Geschenk zugleich: Du machst es nicht nur für dich, du gibst auch anderen etwas.“ Florian zählt seine Instrumente. „Drei gut, fünf okay“, sagt er und lacht. Seine Liebe ist großflächig: „Volksmusik bis Metal – ich habe alles gemacht und hör alles.“
Verantwortung ohne Verlust der Leichtigkeit
Was bedeutet die Übernahme für sie? Andy denkt kurz nach. „Schwer zu sagen. Herzblut steckt seit Jahren drin. Ich hoffe, es geht gleich weiter – vom Kopf her. Dass wir nicht nur auf Zahlen schauen, sondern auf den Puls dieses Hauses.“ Florian ergänzt: „Herausforderung. Und Glück. Wenn du dich selbstständig machst, bist du ständig selbst – das betrifft dich und die Familie. Ohne Rückhalt geht’s nicht.“
Die beiden planen nicht die Weltrevolution des Musikeinzelhandels. „Wir wollen wachsen, ohne zu verlieren, was uns ausmacht“, sagt Florian. Konkret heißt das: südtirolweit denken, Wege verkürzen, etwa ins Eisacktal liefern. Dorthin fährt Florian abends ohnehin nach Hause. Auf dem Parkplatz in Klausen können dann die Leute ihre Bestellungen abholen. „Langfristig vielleicht ein Zwischenlager. Oder ein zweites Musik Walter, wenn’s finanziell Sinn ergibt“, sagt Florian.
„Du gehst nicht ins Großmarkt-Labyrinth und suchst Verkäufer, die weglaufen“, sagt Florian. „Du kommst hier rein, und jemand hört dir zu.“
Mehr als ein Laden: Ein Versprechen
Online? „Wir verkaufen natürlich auch per WhatsApp, Telefon, E-Mail. Aber wir hoffen, dass das ‚Erlebnis Laden‘ wieder wichtiger wird. Beratung, Stimmung, ein Gespräch zwischendurch. Vielleicht ist das der Kern: Musik Walter unterscheidet sich vom Warenkreislauf, weil hier Menschen Musik ernst nehmen – als Handwerk, als Handreichung, als Haltung. „Du gehst nicht ins Großmarkt-Labyrinth und suchst Verkäufer, die weglaufen“, sagt Florian. „Du kommst hier rein, und jemand hört dir zu.“
„Wir sind jetzt verheiratet“, hatten sie am Anfang gelacht. Es ist mehr als ein Witz. Es ist ein Versprechen an ein besonderes Geschäft, an eine Stadt, an eine Szene. Ein Versprechen, das man hören kann, wenn man hierherkommt – nicht nur, um ein Instrument zu kaufen, sondern um zu träumen, zu verweilen, sich in der Welt der Musik zu verlieren. Und vielleicht mit etwas hinauszugehen, von dem man beim Reinkommen noch gar nicht wusste, dass man es gesucht hat.


















