Nicht wissen schützt nicht vor Strafe, lautet ein juristischer Grundsatz. Wer mit zu viel Alkohol im Blut am Steuer erwischt wird, kann sich nicht darauf hinausreden, nichts von der 0,5-Promille-Grenze gewusst zu haben. Nicht so scheint es auf einem anderen Feld zu sein: Italien steht mit über 1,9 Billionen Schulden am Rande des Bankrotts, und wir Wählerinnen und Wähler zeigen mit den Fingern auf die Politiker, die uns das eingebrockt haben, denn wir selbst, wir haben ja nicht gewusst, dass das, was da abläuft, gefährlich werden kann.
Tatsächlich gibt es ein gefährliches Nichtwissen, ja geradezu eine verbreitete Ignoranz in Fragen der Wirtschaft und des Finanzwesens. Sie bewirken beispielsweise nicht nur, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch heute noch kaum eine Ahnung davon hat, was der ominöse Spread ist, von dem die Medien zuletzt so viel berichtet haben, sondern führen auch zur irrigen Meinung, man müsse nur die Politikergehälter kürzen und schon wären die finanziellen Probleme Italiens gelöst. Die blödesten einfachen Formeln werden aufgesagt, die dümmsten Allgemeinplätze bedient, wenn es um Fragen der Funktionsweise von Wirtschaft und Märkten geht. Und so kommt es, dass es als Unverschämtheit empfunden wird, wenn eine Bank mit einer Bilanzsumme von zehn Milliarden und einem Eigenkapital von 700 Millionen 20 Millionen Gewinn macht (obwohl dies zu wenig ist, nicht zu viel!). Schuld am Wissensnotstand sind weniger die (guten) Zeitungen, die sehr ausführlich berichten, als vielmehr die Verbraucher, die zuweilen das nicht lesen, auf was es ankommt – und sie lesen es nicht, weil sie es entweder nicht verstehen oder weil ihnen die Bedeutung nicht bewusst ist.
In Sachen Wirtschaftswissen ist die Schule gefordert. Es gibt Oberschulen mit einer wirtschaftlichen Ausrichtung, ja. Aber zu viele junge Menschen erfahren in acht Jahren Pflicht- und fünf Jahren Oberschule sowie im Laufe ihrer Ausbildung an der Universität nie etwas über das, was wir Ökonomie nennen! Es gibt das Fach Heimat- und Umweltkunde, aber wo bleibt die Wirtschaftskunde? Über den fernen Dreißigjährigen Krieg wissen wir mehr als über den Primärüberschuss im italienischen Staatshaushalt. Ist das nicht bedenklich?