Marketing braucht Taktik

Herr Schell, Sie predigen ein neues Marketing, mehr Kreativität im Marketing. Was machen die Unternehmen im Marketing heute falsch?Leider eine ganze Menge: Erstens wird Marketing im Mittelstand leider immer wieder mit Werbung gleichgesetzt und Werbung mit Anzeigen- schalten und Prospekteverteilen. Doch Marketing ist mehr als Reklame und Promotion- betreiben. Marketing ist heute ein unverzichtbarer Teil der Unternehmensstrategie, dient der Werterhaltung des Unternehmens und geht alle Menschen im Unternehmen etwas an. Zweitens verstehen gerade die kleineren und mittleren Unternehmen ihr Marketing und ihre Kommunikation viel zu oft als eine „Kann-Aktivität“, auf die man auch einmal verzichten kann. Und die man ganz nach den eigenen Vorstellungen kreieren kann. Weit gefehlt: Ohne Marketing und Kommunikation verzichtet das Unternehmen auf Außenwirkung, auf Relevanz auf dem Markt, auf Interessentengewinnung und Kundenbindung.Und drittens?Drittens haben viele Unternehmen bis heute nicht realisiert, dass sich der „neue Kundentyp“ mit Massenvermarktungsmethoden und propagandaähnlichen Werbeformen nicht mehr ansprechen lässt. Der moderne Kunde ist informierter, anspruchsvoller, unabhängiger, individualistischer, aktiver und emotionaler. Er hat zwar nicht viel Zeit, doch vor, während und nach einem Kauf erwartet er jede Menge an Erlebnissen und persönlicher Zuwendung. Erfolgreiches Marketing setzt auf die ganze Bandbreite der Medien und Möglichkeiten - vor allem auf originelle Ideen, um mit dem Kunden in Kontakt zu treten und in Verbindung zu bleiben.Und ein vierter schwerwiegender Fehler wird im Marketing schließlich ebenfalls begangen: Nur etwa fünf bis zehn Prozent aller kleineren und mittleren Unternehmen betreiben überhaupt Marketing- und Kommunikationsplanung und konzentrieren sich auf die geeigneten, richtigen und lohnenden Zielgruppen. Die anderen merken oft gar nicht, dass sie ihr Budget an die Falschen verschwenden und auf eine Reaktion vom Markt verzichten müssen.Geben die Unternehmen ihr Marketing-Budget also falsch aus?Ja, leider. Da werden trotz begrenzter Budgets alte Gewohnheiten nicht aufgegeben, immer wieder dieselben Ideen unreflektiert von Mitbewerbern entlehnt und völlig untaugliche Methoden praktiziert. So verschwenden zum Beispiel viele Handelsunternehmen ihre Ressourcen, indem sie alle und jeden zum „Tag der offenen Tür“ einladen und verköstigen, anstatt ihren wertvollsten und besten Kunden nebst ihren Freunden eine Plattform zum Austausch mit dem Unternehmen zu bieten.Könnte also unter Umständen mit weniger Geld mehr erreicht werden?Stimmt: Nicht die Quantität, sondern die Konzentration auf das Wesentliche zählt. „Less is more“ heißt das Motto. Wer viel Geld für seine Werbung benötigt, dem fehlen in der Regel innovative Ideen. Modernes Marketing ist eher eine Sache des Kopfes und nicht des Geldes. Guerilla-Taktik nützt mehr als „Gorilla-Getrommel“.Sind traditionelle Zeitungsanzeigen sowie Fernseh- und Radiospots - bekanntermaßen recht teuer - zu vergessen?Ja und nein. Viele Unternehmer halten generell Inserate, TV- und Radiospots für unbezahlbar, weil sie mit den Werbeabteilungen der Medien schon lange nicht mehr gesprochen haben. Der Anzeigen- und der Sendezeitenverkauf ist in den letzten Jahren viel flexibler und die Schaltung für so manchen erschwinglicher geworden. Ich kenne zum Beispiel Pauschalangebote von lokalen TV- und Radiostationen für die Konzeption, Produktion und die mehrfache Ausstrahlung eines maßgeschneiderten Werbespots in Höhe von etwa 2.000 Euro.Doch verstehen Sie mich bitte richtig: Es kommt nicht darauf an, in der einen oder anderen Zeitung präsent zu sein, weil dort auch alle anderen Branchenkollegen vertreten sind. Um Aufmerksamkeit zu erzielen, muss man in der Welt der eigenen Kunden einfach vertreten sein. Der moderne Kunde nützt ein ganzes Spektrum von Kommunikationswegen - je nach Situation den einen oder anderen Kanal. Die Wahl des Werbemediums hängt also vom Kommunikationsziel, vom Anlass und vor allem vom Kundenverhalten ab.Wie kann ein Unternehmer lernen, im richtigen Moment zum richtigen Marketing-Instrument zu greifen?Ganz einfach: Er pflegt die Nähe zum Kunden. Erfolgreiche Unternehmer kennen ihre Kunden und verstehen sie. Sie tauschen sich mit ihren Kunden regelmäßig aus und beteiligen sie an der Marketingplanung. Wenn ich weiß, wer mein Kunde ist, wo sich mein Kunde befindet und was mein Kunde von mir erwartet, kann ich auch mein Marketing und meine Kommunikation darauf abstimmen. Doch wissen leider viele Südtiroler Betriebe noch nicht einmal, wer ihr Kunde ist, weil sie zum Beispiel ihren Verkauf und Vertrieb nach rein geographischen Gesichtspunkten organisieren anstatt ihn an dem Lebensstil und dem Entscheidungsverhalten der Kunden auszurichten. Das Problem in Südtirol liegt meiner Meinung nach weniger in den bescheidenen Marketing-Budgets als in der Beziehungsunfähigkeit der Betriebe.Können Sie ein Beispiel nennen, wie in Ihren Augen modernes Marketing aussehen könnte?Modernes Marketing ist flexibel genug, die Anbieterleistung, die Kundenkommunikation, den Vertriebsweg und die Konditionen auf die richtigen und wichtigen Kunden abzustimmen. Modernes Marketing beteiligt den Kunden - und ist daher erfolgreicher.Modernes Marketing analysiert Wirkung und Nutzen, betreibt Erfolgsmessung - und ist daher effizienter. Modernes Marketing setzt auf systematisches Kundenmanagement, auf langfristige Kundenbeziehungen und regelmäßige persönlich gehaltene Dialoge. Modernes Marketing setzt eher auf den Menschen als auf die Maschine. Sie haben den größten Haken des Marketing eben angesprochen. Der Wirkungsgrad kann kaum erhoben werden. Es ist für den Unternehmer schwierig zu prüfen, ob sein Marketing effizient war.Oh, da muss ich Ihnen leider widersprechen. Effektivitäts- und Effizienzmessungen im Marketing sind vor dem Hintergrund der doch zum Teil erheblichen Investitionen unverzichtbar geworden. Marketing-Controlling ist keine Worthülse mehr: Heute lässt sich der Erfolg und die Wirksamkeit praktisch einer jeder Marketing-Aktion ganz genau bestimmen. Vorausgesetzt, die einzelne Maßnahme ist „responsefähig“, also für eine Kunden-Reaktion vorbereitet - zum Beispiel mit der Angabe der Homepage-Adresse auf dem Großplakat. Und vorausgesetzt, es gibt eine genaue Planung, mit wem man wie kommunizieren und was man erreichen will. Dabei kommen neben den bekannten quantitativen Kennziffern - zum Beispiel die Zahl der Antworten bei einer Kundenbefragung - zunehmend auch qualitative Messgrößen wie Sympathie, Loyalität oder Preissensibilität zum Einsatz.Ein Beispiel?Nehmen Sie das Beispiel Messeauftritt: Neben der Zählung und Befragung von Veranstaltungsbesuchern muss das ausstellende Unternehmen die Besucherströme messen und in Verbindung mit den Aktivitäten auf dem Messestand analysieren. Die Beobachtung des Messestands bzw. des gesamten Events durch fachlich geschulte und erfahrene Beobachter lässt sich mit einem „Mysterious- Customer-Test“ verbinden, so dass auch die Service- und Beratungsqualität am eigenen Messestand mit dem der Wettbewerber verglichen werden kann. Doch welches Unternehmen denkt vor lauter Messe-Euphorie schon an Messeforschung? Immer noch viel zu wenige. Und daher hält sich das Vorurteil so zäh, der Erfolg von Marketing-Maßnahmen sei nicht messbar.

Marketing braucht Taktik

Kommunikationsexperte Alexander Schell über die Fehler der Unternehmen

Südtiroler Wirtschaftszeitung

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Ausgabe 41-03, Seite

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