Bozen – Die Landesregierung hat sich bei einer Klausurtagung im Mai mit der Frage auseinandergesetzt, welches die großen Herausforderungen für die Südtiroler Gesellschaft sind. Einige dieser Zukunftsfragen sind Klimakrise, demographischer Wandel, Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Die Probleme sind vielfältig und betreffen sowohl die Mobilität und die Energieversorgung als auch die Zahl und Qualität der Arbeitsplätze, die zuletzt in Südtirol geschaffen wurden. Als Antwort auf solche Zukunftsfragen wurde ein Dokument erarbeitet, das den vielversprechenden Titel „NachhaltigkeitsPakt – Für unser Land“ trägt. Die (ersten) Leitsätze daraus hat die Landesregierung am 23. Juli den Sozialpartnern präsentiert – mit der Aufforderung, dazu Stellung zu nehmen. Es solle, meinte Landeshauptmann Arno Kompatscher damals, ein gemeinsamer Diskussionsprozess angeschoben werden, mit dem Ziel, ein langfristig lebenswertes, nachhaltiges Südtirol zu sichern: „Wir stehen vor einmaligen Herausforderungen und haben jetzt die Chance, mutige Entscheidungen für ein enkelgerechtes Südtirol zu treffen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen“, sagte Kompatscher.
Die Stellungnahmen sind gesammelt und bewertet worden und münden in konkrete Vorschläge für den Landeshaushalt 2020. Darin enthalten sind erste Maßnahmen, weitere sollen folgen. Nur: Der Nachhaltigkeitspakt umfasst bisher lediglich einige Vorhaben im Steuerbereich, sonst nichts (siehe zum Inhalt den beigestellten Info-Block).
Dass die ersten Ergebnisse des Nachdenkens der Landesregierung als dürftig erachtet werden, überrascht nicht. Der Unternehmerverband Südtirol (UVS) ist denn auch letzte Woche mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit gegangen, mit der er weit über den Inhalt des vorgelegten Dokuments hinausgeht. Der Verband unterstützt zwar die Ausarbeitung eines „Nachhaltigkeitspaktes“ als Gesamtstrategie und weitreichende Vision, in deren Mittelpunkt die künftigen Generationen stehen, betont jedoch, dass es darum gehe, „die uns zur Verfügung stehenden menschlichen, natürlichen und finanziellen Mittel effizient und verantwortungsvoll zu nutzen und uns klar zu entscheiden, auf welche strategischen Bereiche wir für die Zukunft unseres Landes setzen wollen“. Ein sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltiges Südtirol müsse „offen und einbindend, achtsam und auf die künftigen Generationen ausgerichtet, innovativ und vernetzt, effizient und verantwortungsvoll, attraktiv und wettbewerbsfähig“ sein. Und weiter: „Dieses Land liegt uns am Herzen, wir wollen mit seinen Ressourcen maßhalten, uns für dieses Land einsetzen, in immer modernere und effizientere Technologien investieren, zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beitragen und auf die Verwirklichung und Entfaltung der Menschen setzen, die hier leben und arbeiten. Nachhaltigkeit bedeutet für uns, unseren Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre Vorstellungen und Zukunftsperspektiven hier zu verwirklichen. Unsere Unternehmen wollen dafür ihren Beitrag leisten.“ Der UVS listet alle zentralen Anliegen auf – von der Förderung der Mehrsprachigkeit und der Verbesserung der Ausbildung (da ist viel zu tun) bis zur Entwicklung von Unternehmen, die sich durch gezielte Kompetenz und Know-how, Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen, Innovationsbereitschaft und hohe Produktivität bei nachhaltiger Ressourcennutzung auszeichnen, damit eine europäische „Smart Region” geschaffen werden kann. Die Überarbeitung des Landeshaushaltes auf der Grundlage einer genauen „Spending review“ sei Voraussetzung, um mehr Mittel für wichtige Investitionen bereitstellen zu können.
Südtirol muss sich, das hat auch SWR-Präsident Hannes Mussak letzte Woche in einem Interview mit dieser Zeitung betont (nachzulesen auf SWZ-Online und in der SWZ-App), „Gedanken machen, wohin es will“. Südtirolpolitisch strebt die Mehrheitspartei SVP nach dem Paketabschluss eine „dynamische Autonomie“ an und arbeitet mit wechselnden, aber sichtbaren Erfolgen dafür in Verhandlungen mit Rom. In wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Fragen jedoch fehlt ein Leitbild, das den Veränderungen Rechnung trägt, die von der Globalisierung und Digitalisierung getrieben werden. Es wird, so der Eindruck, zu löschen versucht, wenn es brennt (siehe die jüngsten Entscheidungen in Sachen Hotelneubauten), aber eine vorausschauende, flexible Planung fehlt. „Südtirol muss definieren, wer es in zehn Jahren sein will: Es braucht eine Vision“, sagte diesbezüglich IDM-Generaldirektor Erwin Hinteregger in einem Gespräch mit der SWZ (auch dieses nachzulesen auf SWZ-Online und in der SWZ-App). Jedem Unternehmen tue eine verschriftlichte Vision gut. Wer sein Leitmotiv kenne, tue sich leichter, Entscheidungen zu treffen, die dazu beitragen, „einerseits den Wohlstand zu erhalten, und andererseits die Schönheiten unseres Landes bewahren zu können.“
Diese Diskussion muss geführt werden, und sie muss schnell geführt werden, aus einer Position der Stärke heraus, in der sich Südtirol (noch) befindet. Die Wirtschaftstreibenden erwarten sich eine umfassende Zukunftsplanung, ausgehend von der gegenwärtigen Lage und den sich abzeichnenden Herausforderungen. Es braucht, meinen sie, Zielvorgaben und einen Maßnahmenkatalog. Die Unternehmen sind offener für einen Politik- und Strukturwandel, als gemeinhin vermutet wird. Sie verlangen aber Planungssicherheit. Die Anregungen des UVS sind ein erster Schritt. Vielleicht ringt sich die Landesregierung dazu durch, ein umfassendes Dokument vorzulegen, über das zu reden und zu streiten es sich lohnt.