SWZ: Hand aufs Herz: Spielen Sie schon mit dem Gedanken, künftig Vizelandeshauptfrau zu sein?
Brigitte Foppa: Gedanken kann man nicht sagen, aber ein Wunsch wäre es schon – nicht nur von mir, sondern offensichtlich von vielen Menschen im Lande. Die Größenordnung unserer Wählerschaft hat sich so verändert, dass wir daran denken können und sollen. Aber die Vizeposition ginge bei uns – wenn man realistisch ist – vermutlich an eine italienischsprachige Person. Ich werde also nie Vizelandeshauptfrau sein – außer es gibt wirklich große Veränderungen im Lande.
Laut Autonomiestatut muss einer der Vizelandeshauptleute der deutschen Sprachgruppe angehören.
Nur wird das wohl kein Grüner werden, leider. Die wichtigsten Posten für die Grünen würde die SVP viel lieber der italienischen Sprachgruppe zuweisen, auch wenn das für uns ein schwieriges Thema ist, da wir als mehrsprachige Partei nicht in die Kategorien hineinfallen, in die wir hineingekastelt werden.
Laut dem SWZ-Politbarometer legen die Grünen gegenüber der Landtagswahl 2018 von sieben auf 17 Prozent zu. Wie erklären Sie sich diesen Sprung, der sechs bis sieben Landtagsmandate statt bisher drei bedeuten könnte?
Wir sind viel unterwegs – und dabei merkt man schon seit einer Weile, dass die Stimmung uns gegenüber sehr positiv ist. Als ich mit der Politik begann, waren die Grünen vielfach noch als Neinsager verschrien. Sie wurden als nicht-südtirolerisch, als fundamentalistisch wahrgenommen. Diese Wahrnehmung hat sich sehr verändert. Das hat einmal damit zu tun, dass die Themen, die wir vertreten, jetzt weltweit einen ganz anderen Status haben. Zudem haben wir uns mit viel Geduld aus der Ecke herausgearbeitet. Letztendlich wird man für das bewertet, was man als Partei ist, aber auch wie man in der Realität steht und was die Schwesterparteien im Ausland schon aufs Parkett bringen. Eine Frau, die ihr ganzes Leben lokale Wirtschaftsvertreterin der SVP war, hat mir gesagt, sie identifiziere sich nicht mehr mit ihrer Partei und sie habe in Deutschland gesehen, dass man vor den Grünen keine Angst haben muss. Die Grünen regieren gut, pragmatisch, gescheit und schauen auch auf die Wirtschaft. Die Menschen sind zufrieden. Das kommt uns natürlich entgegen.
Man könnte es so zusammenfassen, dass die Grünen salonfähig geworden sind. Sie regieren in Österreich und Deutschland, ohne dass es – zugespitzt formuliert – zu Aufständen in der Bevölkerung kommt. Sind die Grünen weniger „radikal“ geworden oder hat sich die Gesellschaft in Richtung der Grünen entwickelt?
Die Themen, die wir immer schon vertreten haben, sind einfach in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine der größten Sorgen der Menschen in Südtirol ist heute der Klimawandel. Ich finde aber nicht, dass wir weniger radikal geworden sind. Wir haben immer noch sehr fundierte Ansätze. Allerdings haben wir in der Methode große Fortschritte gemacht: im Ansatz, in der Kommunikation, im Management, um konsensfähige Vorschläge zu machen.
Die wahrscheinlichste Regierungskoalition in Südtirol hieße nach den aktuellen Umfragewerten SVP-PD-Grüne oder auch nur SVP-Grüne. Spricht für Sie etwas gegen eine Partnerschaft mit der SVP?
Nein, überhaupt nicht. Seit geraumer Zeit kommt immer wieder ein regelrechter Auftrag der Bevölkerung an die Politik, dass die ideale Koalition SVP plus Grüne ist. Das ging bereits aus den letzten Landtagswahlen hervor, nur entschied sich die SVP damals für die Lega. Dieser Wunsch der Bevölkerung ist jetzt noch einmal stärker geworden. Zudem tritt der Landeshauptmann stark für die Nachhaltigkeit ein. Die Grünen wären also der ideale Partner. Es ist widersprüchlich, einen Nachhaltigkeitskurs zu fahren und gleichzeitig mit der Lega zu regieren.
Arno Kompatscher kann man einen grünen Touch nachsagen. Soll er noch einmal als Landeshauptmann kandidieren?
Das werden er und seine Partei entscheiden. Ich spreche aus, was aus den Umfragen hervorgeht: Der Auftrag ist klar, die Menschen wünschen es sich. Ich hoffe, dass Kompatscher klar und rasch kommuniziert, damit die Menschen Gewissheit haben. Jetzt lange herumtaktieren und zaudern ist ungesund – auch für sein eigenes politisches System.
Welches Verhältnis haben Sie zu Kompatscher?
Ich sitze ihm im Landtag genau gegenüber und beobachte ihn natürlich. Wir können auf Sachebene sehr gut miteinander umgehen und haben – zumindest wie sich jetzt abzeichnet – viele Ziele gemeinsam. Deswegen wäre eine Kooperation sehr fruchtbar. Der Landeshauptmann ist durchaus jetzt schon kooperativ, denn die Anträge der Grünen werden häufig angenommen.
Gibt es SVP-Politiker:innen, mit denen Sie gar nicht können?
Ich bin eine Person, die mit den meisten Leuten gut auskommt. Da kommt mir wohl mein Unterlandler Wesen zugute, indem ich Beziehungen humorvoll und mit einer gewissen Leichtigkeit erhalte. Von einigen Personen bin ich natürlich sehr weit entfernt. Für das Locher’sche Frauenbild habe ich etwa keine Sympathien. Generell sehe ich in den Menschen das Positive und docke immer an jenen Seiten an, bei denen ich für mich etwas Gutes entdecke. Das brauche ich, um mein sonniges Gemüt aufrechtzuerhalten, und ist nicht unvorteilhaft. Denn wir haben in der Politik oft Konfliktverhältnisse. Da ist es für mich wichtig, die persönliche Ebene gut am Leben zu erhalten – auch mit jenen, die meine politischen Gegner sind.
Man sollte auch endlich mit vorgefertigten Zuschreibungen aufhören, wonach die Grünen bornierte Gegner von allem oder dass alle Bauern Absahner sind.
Welche zwei Punkte müssten im Koalitionsprogramm ganz weit vorne stehen?
Ein strategischer Kernpunkt der Nachhaltigkeitspolitik ist die Mobilität. Man muss sich auf ein detailliertes Programm zur öffentlichen Mobilität verständigen, auf die letzte Meile, damit tatsächlich alle Menschen in Südtirol heimkommen, ohne ans Auto denken zu müssen. Wenn die Landesregierung innerhalb weniger Jahre den Fuhrpark der Südtiroler halbieren will, braucht es eine sehr dezidierte Strategie. Das zweite Thema: Das Soziale ist immer ein Stiefschwesterchen und hat momentan im Landeshaushalt einen geringen Stellenwert. Es braucht ein klares Programm für den sozialen Ausgleich. Ich denke etwa an den öffentlichen Wohnbau, der sich in den letzten Jahren nicht gut entwickelt hat. Oder an Geringverdiener:innen wie Schulwarte und Kleinkindbetreuer:innen.
Die Wirtschaft und besonders die Landwirtschaft wirft ein kritisches Auge auf die Grünen. Muss sie Angst vor den Grünen in der Landesregierung haben?
Ich zitiere nochmal die Frau, wonach man sich vor den Grünen nicht fürchten muss. In Deutschland ist der Grüne Cem Özdemir Landwirtschaftsminister, den wir gut kennen und an dem ich beobachte, wie er sich bewegt. Auch mit Renate Künast haben wir lange darüber geredet, wie sie als Landwirtschaftsministerin agiert hatte. Sie war furchtlos, ging zu jeder Konfrontation und Veranstaltung. Wenn eine grüne Landwirtschaftsministerin furchtlos sein muss, müssen es auch die Bauern sein. Natürlich muss man eine Vertrauensbasis aufbauen, und es braucht Verbündete. Ich mag das grundsätzliche Bauernbashing nicht. Es gibt sehr viele innovative Bauern und Bäuerinnen, die nachhaltig arbeiten und die landwirtschaftlichen Betriebe zukunftsfähig machen, junge Bauern und Bäuerinnen, die Lust drauf haben. Das darf man nicht vergessen – der Sektor ist sehr dynamisch. Natürlich ist die Lobbyvertretung sehr einseitig. Das ist ein großes Problem und zu ändern. Wenn man die richtige Sprache spricht, den Sektor kennt und kompetent auftritt, muss man keine Angst voreinander haben. Man sollte auch endlich mit vorgefertigten Zuschreibungen aufhören, wonach die Grünen bornierte Gegner von allem oder dass alle Bauern Absahner sind.
Auch generell in der Wirtschaft gibt es Skepsis gegenüber den Grünen, denen die Titulierung Neinsager-Partei immer noch anhängt.
Ich persönlich erlebe das nicht so. Die Wirtschaftswelt ist mir auch nicht fremd, da ich aus einer Unternehmerfamilie komme. Das ist bei vielen von uns der Fall. Zudem pflegen wir Kontakte zu Verbänden, etwa dem Baukollegium oder den Industriellen. Dieser Austausch ist hochinteressant und offenbart Gemeinsamkeiten, auf die man bauen kann. Es braucht Vertrauensbeziehungen: weg von Zuschreibungen, hin zu Verständnis, Zuhören und zur Suche nach gemeinsamen Aufträgen. Nachhaltigkeit funktioniert nur so. Es wird Regeln und Gesetze brauchen, die vereinbart werden müssen – einen Konsens darüber, was machbar und was notwendig ist. Die Wirtschaft merkt selbst, dass sich der überzogene Ausbeutungskapitalismus totläuft und dass es neue Wege braucht, die sanfter sind. Auf Ressourcen, Natur und Personal zu schauen, hat sich schon lange in Firmenphilosophien eingeschrieben.
Wie schaut die Vision der Grünen für Südtirol in zehn Jahren aus?
Den Auftrag in Sachen Klimaschutz muss man wirklich ernst nehmen. Dazu werden einige Auseinandersetzungen zu führen sein. Die Zeit, in der man nur gut klingende Ziele formuliert hat, sind vorbei. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Wir müssen retten, was zu retten ist. Wahrscheinlich wird man mit einer Klimaveränderung rechnen müssen, weshalb es Anpassungspläne braucht. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass die Gesellschaft sehr respektvoll miteinander umgeht. Mein Leitsatz lautet „Was zählt, ist die Haltung“. Wenn man Haltung und Respekt zeigt gegenüber der Umwelt, den Bedürfnissen der Menschen, den Armen, der Unternehmerschaft, den Angestellten, kann man viel verbessern. Ich wünsche mir auch, dass das Zusammenleben der Sprachgruppen besser wird. Ich sehe so viele junge Familien, die sich zunehmend mehrsprachige Schulen wünschen. Wir brauchen ein weltoffenes und respektvolles Südtirol, das gut auf seine Ressourcen schaut, anstatt sie zu verpulvern, bis es zu spät ist.
Interview: Heinrich Schwarz