Bozen/Berlin – Plötzlich stand sie da. Langes, leuchtend rotes Kleid, die Augen etwas müde von der langen Autofahrt, kräftiger Händedruck – Katherina Reiche hatte es gerade noch rechtzeitig zum Südtiroler Wirtschaftsforum nach Bozen geschafft. Reiche, 2021 mit dem Mestemacher-Preis „Managerin des Jahres“ ausgezeichnet, stand für ein Bühnengespräch über die Energiezukunft auf dem Programm, und in nur 35 Minuten war der Start der Veranstaltung angesetzt.
Es gibt Begegnungen, die in Erinnerung bleiben. Diese Begegnung mit Katherina Reiche ist für mich eine solche.
Es gibt Begegnungen, die in Erinnerung bleiben. Diese Begegnung mit Katherina Reiche ist für mich eine solche, und das lag nicht am auffallenden Outfit. Sie fand Anfang April im Restaurant des Four Points by Sheraton in Bozen statt, wo ich als Veranstaltungsmoderator mit den Vortragenden am Mittagstisch saß, bevor es losgehen sollte. Dass Reiche ein paar Wochen später die Nachfolge von Robert Habeck als deutsche Wirtschaftsministerin antreten würde, konnte ich nicht ahnen. Sie wusste es vermutlich schon.
Wie Reiche wirkt
Katherina Reiche ist eine, die mit ihrer Präsenz den Raum füllt. Sie strahlt Energie aus, und es ist gut vorstellbar, dass es der Frau nie schnell genug gehen kann. Sie wirkt nicht wie eine, die auch mal Ruhe geben kann, sondern vielmehr ungeduldig und fordernd – gegenüber den anderen, aber auch gegenüber sich selbst. Tatsächlich ist in den Medien über sie zu lesen, dass sie E-Mails zu Uhrzeiten beantwortet, wo andere Menschen schlafen. Mein erster Eindruck von der 51-Jährigen: durchsetzungsstark, fleißig, ehrgeizig, diszipliniert und vermutlich hart zu sich selbst.
Mein erster Eindruck von der 51-Jährigen: durchsetzungsstark, fleißig, ehrgeizig, diszipliniert und vermutlich hart zu sich selbst.
Sie sei in der Früh mit dem Flugzeug in München gelandet und dann mit dem Auto nach Bozen gefahren, erzählte mir Katherina Reiche. Fünf Stunden habe die Fahrt gedauert, ziemlich viel Verkehr habe es gegeben. Nach dem Wirtschaftsforum werde sie nach Hause fahren, denn dort sei sie arbeitsbedingt seit zehn Tagen nicht mehr gewesen. Mit den Gedanken schien sie mir in den ersten Minuten noch halb woanders, das legte sich aber schnell. Katherina Reiche bestellte nur einen Kaffee und Wasser, Hunger habe sie keinen. Sie erkundigte sich noch schnell, wie das Wirtschaftsforum ablaufen würde und wie ich mir das Bühnengespräch vorstellen würde. Dann war es eh schon Zeit.
Kampf gegen die Stagnation
Katherina Reiche ist im soeben vereidigten Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz eine von sechs CDU-Ministern und -Ministerinnen. Sie ist die neue Chefin eines Wirtschaftsministeriums, das im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode zwar die Bereiche Digitalpolitik und Klimaschutz verloren hat, trotzdem aber wichtig bleibt. Der Anspruch der Regierung Merz ist es nämlich, dazu beizutragen, dass sich die wirtschaftliche Stimmung in Deutschland schleunigst verbessert. Europas einstige Lokomotive kämpft seit einigen Jahren mit einer ungewohnten Stagnation, die auch in Südtirol Sorgen bereitet. Immerhin ist Deutschland für Südtirol der wichtigste Wirtschaftspartner und zudem der bedeutendste Tourismusmarkt. Somit kommt dem Wirtschaftsministerium eine wesentliche Bedeutung zu – auch für Südtirol.

Karriere in Politik und Wirtschaft
Aus der Wirtschaft und aus der Energiebranche gab es in den vergangenen Tagen schon mal viele Vorschusslorbeeren für Katherina Reiche. Sie verbinde Managerqualitäten mit Politikerfahrung, hieß es. Tatsächlich ist Reiche kein Neuling im Politikbetrieb.
Aufgewachsen im brandenburgischen Luckenwalde, erlebte sie als 16-Jährige das Ende der DDR und studierte nach dem Abitur Chemie in Potsdam, New York und Turku. An der Clarkson University in New York wirkte sie ein Jahr als Forschungsassistentin am Institut für Chemie und Biologie. Ihre politische Ader wurde bereits während der Studienzeit deutlich, als sie an der Universität Potsdam den „Ring Christlich Demokratischer Studenten“ mitbegründete. 1998 zog sie als jüngste Abgeordnete von CDU/CSU in den Bundestag ein. Dort blieb sie 17 Jahre lang bis 2015 und bekleidete unter anderem die Ämter als stellvertretende Fraktionsvorsitzende sowie als Staatssekretärin im Umweltministerium und im Verkehrsministerium.
Westenergie hat den Jahresumsatz laut Handelsblatt unter Reiches Führung von 5,9 auf 8,7 Milliarden Euro gesteigert.
2015 wechselte Katherina Reiche von der Politik in die Wirtschaft. Sie wurde zunächst Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), der Interessenvertretung der kommunalen Versorgungs- und Entsorgungswirtschaft in Deutschland. 2020 wurde sie Vorstandsvorsitzende der Westenergie AG mit Sitz in Essen, dem größten regionalen Energiedienstleister Deutschlands. Westenergie beschäftigt rund 11.000 Mitarbeitende und hat den Jahresumsatz laut Handelsblatt unter Reiches Führung von 5,9 auf 8,7 Milliarden Euro gesteigert. Reiche gilt als eine der bekanntesten Topmanagerinnen der Energiebranche.
Der Kontakt zur Politik brach freilich nie ab. Seit 2020 war Reiche ehrenamtliche Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates der Bundesregierung. Nun also hat Friedrich Merz die dreifache Mutter in sein Kabinett geholt.
Pragmatisch in die Energiezukunft
Beim Südtiroler Wirtschaftsforum warb Reiche übrigens für Technologieoffenheit und Pragmatismus auf dem Weg in die Energiezukunft. Sie nannte es unrealistisch, dass Europa die Energiewende alleine schaffen könne; Europa brauche trotz aller Bemühungen um den Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen (saubere) Energie aus Afrika und dem Mittleren Osten, so wie es heute von dort Erdöl und Erdgas kaufe. Beim Podiumsgespräch, bei dem es auch darum ging, wie die heutigen Pipelines zu Wasserstoff-Leitungen umfunktioniert werden könnten, trat sie wortgewandt und schlagfertig auf. Einen äußerst kompetenten Eindruck habe Reiche gemacht und das komplexe Thema prägnant und klar erläutert, hieß es nach der Veranstaltung aus dem Publikum. Ihre Meinungen vertrat sie überzeugend. Es braucht vermutlich starke Argumente, um sie von eigenen Überzeugungen abzubringen.
Info
Was die anderen sagen
Als bekannt wurde, dass Katherina Reiche zur Wirtschaftsministerin wird, gab es in Deutschland auffallend viel Applaus aus der Wirtschaft.
„Wir brauchen eine starke Stimme und eine Anwältin für die Wirtschaft. Dass eine erfahrene Energiemanagerin und Politikerin neue Ministerin für Wirtschaft und Energie wird, ist dafür ein wichtiges Signal“, sagte Tanja Gönner, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), in der ARD-Tagesschau.
„Katherina Reiche denkt wirtschaftlich und tickt politisch. Das ist ein großer Vorteil: Wir brauchen mehr Wechsler aus der Wirtschaft in die Politik“, zitiert die NZZ Rainer Dulger, den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
„Frau Reiche ist eine gut vernetzte, pragmatische Politikerin. Wir haben eine wirtschaftlich sehr ernste Lage, die längste Rezession seit 20 Jahren. Wir brauchen Personen, die Zukunftsoptimismus ausstrahlen, und da könnte Frau Reiche durchaus die Richtige sein“, meinte Matthias Bianchi vom Deutschen Mittelstandsbund im ZDF.
Robert Halver von der Baader Bank kommentierte: „Die Berufung von Frau Reiche zeigt: Die künftige Regierung hat Marktwirtschaft verstanden. Entscheidend wird aber sein: Wie viel Beinfreiheit hat sie?“
Ingbert Liebing, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), preist seine Vorgängerin in einem Spiegel-Bericht: „Die Ernennung von Katherina Reiche stimmt uns zuversichtlich für den Wirtschaftsstandort.“ Arndt G. Kirchhoff, der Metallarbeitgeberpräsident von Nordrhein-Westfalen, lobt im Handelsblatt den „absolut marktwirtschaftlichen Kompass“ von Katherina Reiche.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm bezeichnet Reiche auf NZZ-Nachfrage als „politisch erfahren, durchsetzungsstark und mit Kompass. Ich habe sie immer als jemanden erlebt, dem es gelingt, auch sehr unterschiedliche Akteure zusammenzubringen.“
Bedenken kamen von Vereinen wie Lobbycontrol: „Es ist höchst fraglich, ob Reiche die nötige kritische Distanz und Unabhängigkeit zur Energiewirtschaft einhalten kann, um ausgewogen zu entscheiden.“

















