Bozen – In einer Presseaussendung nimmt das Arbeitsförderungsinstitut Afi die Verteilungsgerechtigkeit in Südtirol unter die Lupe. Laut der Sommerausgabe des Afi-Barometers, das Ende Juli erschienen ist, schätzen nämlich acht von zehn Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in Südtirol die Kluft zwischen Arm und Reich in Südtirol als „groß“ (56 Prozent) bzw. „sehr groß“ (24 Prozent) ein. Nur zwei von zehn Befragten betrachten den Unterschied als unerheblich. Als Hauptursache werde von 29 Prozent der Befragten eine fehlgeleitete Lohnpolitik genannt, so das Afi.
Die Wahrnehmung und die Kennzahlen
Das Afi betont in der Aussendung, dass es zwei Möglichkeiten gibt, um Ungleichheiten zu messen: einerseits durch statistische Kennzahlen, andererseits auf der Grundlage von persönlichen Wahrnehmungen. Die Befragung beziehe sich auf die Wahrnehmungen.
Die müssen nicht zwingend mit den statistischen Kennzahlen übereinstimmen, sind aber trotzdem ernst zu nehmen. Denn: Wenn die Kluft zwischen Armen und Reichen als groß empfunden wird, dann birgt das Potenzial für Unzufriedenheit und sozialen Sprengstoff – selbst dann, wenn die Wahrnehmung nicht mit den statistischen Kennzahlen übereinstimmt.
Die Analyse der SWZ
Die SWZ hat im vergangenen Jahr (Ausgabe 40/23) mal versucht, genauer zu untersuchen, ob es stimmt, dass in Südtirol die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Die konkreten Zahlen liefern demnach keine eindeutige Bestätigung für diese Wahrnehmung. Als wichtigster Indikator für die Einkommenskonzentration gilt der sogenannte Gini-Koeffizient. Laut Astat liegt dieser Wert in Südtirol in etwa im EU-Schnitt und gleichauf mit Deutschland. Er ist besser als in Italien, aber schlechter als etwa in Österreich und in der Schweiz.
Das Afi hat vor einiger Zeit festgestellt, dass der Gini-Koeffizient zwischen 2011 und 2020 eine leichte Verbesserung erfahren hat, dass folglich die Verteilungsgerechtigkeit eher besser als schlechter geworden ist – bei den Bruttoeinkommen, aber noch mehr bei den Nettoeinkommen. Das italienische Steuersystem habe eine „leichte positive Umverteilungswirkung“, urteilte das Afi damals.
Und doch: Die Wahrnehmung ist ein mächtiger Einflussfaktor für die allgemeine Stimmung, zuweilen mächtiger als nackte Zahlen.