SWZ: Frau Hartung, nicht in Erfolgszeiten, sondern in Krisenzeiten zeigt sich, wie gut ein Unternehmen aufgestellt ist. Denken die Unternehmen zu wenig an die Krisenvorsorge?
Isabel Hartung: Ich bin eine große Befürworterin von Krisenvorsorge. Das Thema habe ich sowohl als Unternehmensberaterin als auch als Leiterin der Unternehmensentwicklung bei Trumpf bearbeitet. Unternehmen dürfen nicht erst aktiv werden, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Sie müssen über mögliche Krisenszenarien nachdenken, wenn es ihnen noch gut geht. Dazu gehört, dass sie für bestimmte Ereignisse oder Entwicklungen geeignete Maßnahmen entwickeln. Ist das geschehen, müssen sie definieren, welche Maßnahme in welchem Szenario und zu welchem Zeitpunkt umgesetzt werden sollen. Insgesamt ist besonders wichtig, dass immer auf die Zeit nach der Krise geschaut wird.
Wie meinen Sie das?
Erfahrungsgemäß kommen 70 Prozent der Unternehmen nicht während einer Umsatzkrise in akute Schwierigkeiten, sondern erst danach, wenn es wieder aufwärts geht. Dann werden ja Kapital und Ressourcen für das erneute Wachstum gebraucht.
Erfahrungsgemäß kommen 70 Prozent der Unternehmen nicht während einer Umsatzkrise in akute Schwierigkeiten, sondern erst danach, wenn es wieder aufwärts geht.
Lässt sich die Krisenvorsorge tatsächlich systematisieren? Es gibt ja schier unendlich viele Krisenszenarien, von einem verheerenden Brand über eine Konjunkturflaute bis hin zu geopolitischen Verwerfungen.
Ja, hier können Unternehmen durchaus vordenken und systematisieren. Zugegeben, das ist harte Arbeit. Sie können sich das aber vorstellen wie den Aufbau eines Baukastens, der aus verschiedenen Bausteinen besteht, das sind die Maßnahmen. Zudem muss es Bauanleitungen geben, die klar beschreiben, bei welchem Krisenauslöser – häufig spricht man von Trigger-Punkten – welche Bausteine umgesetzt werden sollen. Solche Programme sind mit der Belegschaft und idealerweise auch mit dem Sozialpartner im Vorfeld zu besprechen und zu verhandeln. Mitten in einer Krise muss ein Unternehmen sehr viel agiler sein und schneller Entscheidungen fällen. Hier zahlt sich die Vorbereitung aus.
Warum ist die Krisenvorsorge ein Stiefkind? Weil es angenehmer ist, sich mit Strategiepapieren und Mehrjahreszielen den Erfolg auszumalen als mit Vorsorgepapieren eine mögliche Krise?
Es gibt immer Leute, die befürchten, dass sie in diesen Planungen eine Krise quasi herbeidenken. Allein schon die Beschäftigung mit dem Thema macht daher einigen Menschen Angst. Deswegen ist Kommunikation ungemein wichtig. Dazu kommt ein zweiter Punkt.
Nämlich?
Die Komplexität hat zugenommen. In wirtschaftlicher und geopolitischer Hinsicht gibt es immer mehr Unsicherheiten. Unternehmen müssen ständig auf aktuelle Geschehnisse reagieren. Unter so einem Druck dominiert das Gefühl, dass es schlicht an der Zeit fehlt fürs Innehalten und Nachdenken und für eine systematische Vorsorge – denn das ist es ja, worum es im Kern geht. Krisenvorsorge braucht personelle Ressourcen, die gezielt ausgesucht und dafür abgestellt werden. Unternehmen müssen die hohe Priorität des Themas erkennen. Im Krisenfall geht es mitunter um existenzielle Entscheidungen. Und für die sollte es sich doch lohnen, kompetente Leute freizustellen.
Krisenvorsorge braucht personelle Ressourcen, die gezielt ausgesucht und dafür abgestellt werden. Unternehmen müssen die hohe Priorität des Themas erkennen.
Für große Konzerne mag das machbar sein. Für kleine Unternehmen ist das aber ein kaum stemmbarer Aufwand.
Es spielt keine Rolle, wie groß oder wie klein ein Unternehmen ist. Ein Krisenvorsorgeprogramm lässt sich in jedem Unternehmen erstellen. Kleine Unternehmen haben sogar einen Vorteil: Die Entscheidungswege sind viel kürzer.
Kommen wir noch einmal zurück zu den Strategiepapieren: Machen Sie in einer Zeit, in der der Wandel so rasant und der Transformationsbedarf so groß ist, noch Sinn?
Gerade in so einer Zeit ist es sinnvoll, zunächst das Ziel zu definieren und dann rückwärts geeignete Maßnahmen auf dem Weg dorthin festzulegen. Natürlich heißt das nicht, dass ein Dokument verfasst wird und dann jahrelang die einzig richtige Wahrheit bleibt. Es muss ständig überprüft werden, ob die Annahmen noch stimmen und wie sich die Rahmenbedingungen vielleicht geändert haben. Entsprechend wird die Strategie weiterentwickelt. Auch über mögliche disruptive Umfeldänderungen, die Auswirkungen auf den eigenen Erfolg haben, ist ständig nachzudenken. Da sind wir dann auch wieder bei der Krisenvorsorge.
Apropos Transformation: Wird die künstliche Intelligenz die Arbeitswelt revolutionieren wie einst das Internet?
Die KI ist für mich eines von vielen digitalen Elementen, die es zu nutzen gilt. Derzeit gibt es einen regelrechten Hype um die KI, obwohl sie in Produktionsunternehmen schon seit 15, 20 Jahren zum Einsatz kommt. KI ist kein Selbstzweck, und ich finde, es sind zwei Aspekte zu berücksichtigen.
Die wären?
Der erste Aspekt ist, dass wir Mitarbeitenden die Angst nehmen müssen, von der KI wegrationalisiert zu werden. Der zweite Aspekt ist, dass man die KI nur gewinnbringend einsetzen kann, wenn man sie auch versteht.
Wir müssen Mitarbeitenden die Angst nehmen, von der KI wegrationalisiert zu werden.
Sprechen wir über die Angst.
Wenn die Belegschaft emotional gegen die KI ist, dann bekommt ein Unternehmen ganz sicher diese Technologie nicht mobilisiert. Wenn hingegen klar wird, dass die KI Aufgaben übernimmt, die den Mitarbeitenden ohnehin keinen Spaß machen, dann ist das etwas ganz anderes. KI wird dann zum Begleiter und Helfer.
Die Angst, dass die Maschinen uns Menschen arbeitslos machen, hat es schon oft gegeben. Bewahrheitet hat sie sich nie.
Es werden aber andere Qualifikationen notwendig. Ich bin der Überzeugung, dass Unternehmen die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden sehr ernst nehmen sollten. Entwicklungen passieren nie über Nacht, sondern sind eine Evolution. Das gilt nicht nur für die KI.
Ist Wandlungsfähigkeit auch eine Anforderung an die moderne Führungskraft? Oder was ist es, was eine gute Führungskraft ausmacht?
Eine Führungskraft muss einerseits Klarheit und Orientierung geben und andererseits stärker mit den Mitarbeitenden interagieren. Sie muss zuhören können, sie muss den Teamgedanken stärker leben, um das ganze Wissen der Mitarbeitenden zu nutzen. Eine Führungskraft muss vor allem viel kommunizieren. Ich bin davon überzeugt, dass es keine Überkommunikation gibt. Und selbstverständlich muss sich eine Führungskraft auch auf die unterschiedlichen Erwartungen der Mitarbeitenden einstellen und spüren, wie es ihnen geht. In den Unternehmen arbeiten mehrere Generationen mit unterschiedlichen Wertekanons. Diese Vielfalt ist wertvoll für das Unternehmen, aber auch anstrengend. Vertrauen ist daher ebenfalls ein ganz wichtiges Thema.
Gute, motivierte Menschen sind die neue Währung. Sie zu gewinnen und zu halten, liegt zu einem beachtlichen Teil in den Händen der Führungskräfte.
Das klingt, als seien Fähigkeiten im Umgang mit Menschen gefragter denn je. Sind sie das?
Absolut. Unternehmen können noch so tolle Pläne erarbeiten, wenn die Menschen nicht dahinterstehen, dann werden diese Pläne nicht erfolgreich. Gute, motivierte Menschen sind die neue Währung. Sie zu gewinnen und zu halten, liegt zu einem beachtlichen Teil in den Händen der Führungskräfte.
Sie engagieren sich für weibliche Führungskräfte. Haben es Frauen auf der Karriereleiter immer noch schwerer?
Ja, die Zahlen belegen das. Da gibt es enormen Nachholbedarf, auch beim Aufbrechen von Rollenmodellen. Wir sprechen so viel über den Fachkräftemangel und nehmen in Kauf, dass toll ausgebildete Frauen wegen unzureichender Rahmenbedingungen nur in Teilzeit oder überhaupt nicht arbeiten.
Sie sind in den verschiedensten Branchen in Aufsichts- und Beiräten tätig, von der Automotive- bis hin zur Technologiebranche. Heißt das, dass die Herausforderungen letztendlich überall ähnlich sind, unabhängig von der Tätigkeit?
Es gibt spezifische Herausforderungen, genauso gibt es Schnittmengen, zum Beispiel die Digitalisierung. Die größte Herausforderung derzeit ist die unsichere Marktentwicklung, was uns wieder zur Notwendigkeit führt, in Szenarien zu denken.
Der gute Gedanke, die Nachhaltigkeit systematisch anzugehen, ist zu einer für Unternehmen sehr aufwendigen Berichtspflicht geworden.
Was ist mit der Bürokratie?
Regulatorien machen Sinn, aber ich fände etwas mehr Pragmatismus begrüßenswert. Brüssel hat diesbezüglich ja Schritte angekündigt. Die Nachhaltigkeitsthematik ist ein schönes Beispiel: Der gute Gedanke, die Nachhaltigkeit systematisch anzugehen, ist zu einer für Unternehmen sehr aufwendigen Berichtspflicht geworden. Da können wir sicher vieles besser machen.
Interview: Christian Pfeifer
Dieses Interview ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Gewappnet für die Krise
Info
Hartung am 4. April beim SWF
Isabel Hartung hat rund 17 Jahre lang beim Beratungsunternehmen McKinsey gearbeitet. Dann wechselte sie zum Maschinenbauunternehmen Trumpf, wo sie sich zunächst der Unternehmensentwicklung widmete und dann als CEO dem Auf- und Ausbau des globalen Lasertechnologie-Geschäfts. Seit 2022 engagiert sich Hartung in zahlreichen Aufsichts- und Beiräten.
Beim Südtiroler Wirtschaftsforum am Freitagnachmittag, 4. April, im Kongresszentrum MEC spricht sie über „Mut, Transformation & Resilienz in Unternehmen“. Ebenfalls zu Gast sind Robert Kunze-Concewitz, der als Campari-CEO den Umsatz der Unternehmensgruppe verdreifacht hat, die Sterzingerin Larissa Leitner, die mit ihrem Start-up Empion in Berlin erfolgreich ist, Cornelius Matthes, der die Wüsten zu grünen Kraftwerken machen möchte, und Katherina Reiche, die nach ihrer politischen Karriere zur Vorstandsvorsitzenden des größten regionalen Energiedienstleisters Deutschlands wurde.
Im Rahmen des Wirtschaftsforums gibt es auch eine Start-up-Arena.
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