Mein Unternehmerfreund hatte mich zum Grillen eingeladen. Es war wie immer eine nette Runde, und alle genossen die wiedergewonnene Fröhlichkeit nach der langen Zeit zu Hause. Unser Gastgeber war ein wahrer Grillmeister, und auch sein Weinkeller ließ keine Wünsche offen. Es war ein gelungener, wunderschöner Sommerabend, an dem auch die Lachmuskeln nicht zu kurz kamen. Später, als dann alle – bis auf mich – gegangen waren, setzten wir uns noch unter den großen Kirschbaum im Garten und genossen das laue Lüftchen. Unser Gespräch hatte eigentlich keinen richtigen Inhalt, und so war ich dann etwas überrascht, als mein Unternehmerfreund plötzlich auf Warren Buffett zu sprechen kam, den erfolgreichsten Investor der vergangenen 50 Jahre. „Was ist eigentlich mit Warren los?“, wollte er von mir wissen und ergänzte: „Der schwächelt ein bisschen, oder?“
Zuletzt einige schwierige Jahre für erfolgsverwöhnten Investor
Ich wusste sofort, auf was mein Freund hinauswollte, denn Mitte Juni war ein längerer Artikel in der Financial Times erschienen, der sich kritisch zu Warren Buffett und dessen Holding-Unternehmen Berkshire Hathaway geäußert hatte. Er „hätte sein Händchen“ für gute Investitionen verloren, so das Fazit des Journalisten.
Wahrlich, die vergangenen ein, zwei Jahre waren kein Zuckerschlecken für den erfolgsverwöhnten Investor gewesen. 2019 schloss Berkshire Hathaway zwar mit einem Zuwachs im Buchwert von elf Prozent, der Börsenindex S&P 500 war dem aber mit einem Jahresplus von mehr als 30 Prozent regelrecht davongezogen. Dazu kam eine Milliarden-Dollar-Abschreibung auf ein Berkshire-Hathaway-Investment in das Lebensmittelunternehmen Kraft Heinz Company und ein unglücklicher Einstieg in mehrere amerikanische Fluglinien, welche dann am Tiefpunkt der Coronakrise im März und April zu Ausverkaufspreisen wieder abgestoßen wurden. Obendrauf kam eine große Beteiligung am Öl-Explorationsunternehmen Occidental Petroleum, dessen Aktienkurs innerhalb eines Jahres um 2/3 gefallen ist. Und während 2019 noch 40.000 Aktionäre zur Hauptversammlung – eine Art Aktien-Woodstock – nach Nebraska gekommen waren, zeichnete ein zittriger Buffett in diesem Jahr in einer Videokonferenz vor leeren Rängen ein düsteres Bild für die Wirtschaft.
Mit einem Investmenterfolg von jährlich 20 Prozent Rendite seit 1965 wurde Buffett zum „Orakel von Omaha“
„Naja, Warren Buffett wird im August immerhin 90 Jahre alt, das darf man nicht vergessen“, so mein erster Kommentar. „Und sein Investmenterfolg von jährlich 20 Prozent Rendite seit 1965, der ihm den Namen Orakel von Omaha eingebracht hat, ist konkurrenzlos – und das muss ihm erst mal einer nachmachen!“ Buffett hat zwar die vergangenen beiden Jahrzehnte in seinen Investitionen weiter auf klassische Industrieunternehmen gesetzt und damit die große Technologiewelle von Amazon, Google und Facebook ziemlich verpasst. Seine Aussage dazu war stets, dass er diese Geschäfte nicht gut verstehen könne. „Wobei“, sagte ich weiter, „das Verständnis des Geschäftsmodells bekanntlich ein zentraler Punkt seiner Anlagestrategie ist. Er hat hier übersehen, dass sich diese Firmen über die Jahre durch gewaltige Netzwerkeffekte zu Oligopolen bzw. Quasimonopolen fortentwickelt haben, eigentlich ‚klassisch Buffett‘.“ Mein Freund hörte mir aufmerksam zu und meinte dann: „Der aktuelle Kritikpunkt aber ist, dass Buffett die Krise an den Börsen vom März und April komplett verschlafen hätte und zu pessimistisch gewesen sei.“ Ich überlegte – und erwiderte daraufhin: „Das stimmt. Man muss aber bedenken, dass Warren Buffett mit riesigen Geldbeträgen arbeitet, allein die liquiden Mittel von Berkshire liegen aktuell bei rund 140 Milliarden Dollar. Solche Summen kann man nicht von einem Tag auf den anderen einsetzen. In der Krise von 2008 konnte er noch Firmen wie Bank of America, Goldman Sachs und General Electric mit lukrativen Hilfskrediten in Milliardenhöhe versorgen.
US-Notenbank intervenierte dieses Mal schnell, Buffett konnte nicht – wie in der Finanzkrise 2008 – agieren
Durch die schnelle und massive Intervention der amerikanischen Notenbank an den Kreditmärkten im März und durch die große Konkurrenz der Private-Equity-Investoren, die beispielsweise AirBnB und Expedia letzthin unter die Arme gegriffen haben, blieben ihm solche Möglichkeiten in dieser Krise bis dato verwehrt. Aber wer weiß, vielleicht kommt der Abschwung an den Finanzmärkten zurück, wenn die Unternehmensdaten überraschenderweise länger schwach bleiben als erwartet? Dann könnten sich vielleicht Chancen für den Elefanten-Jäger Buffett ergeben!“
Ich ließ mich daraufhin noch etwas tiefer in den Sessel sinken und fuhr fort: „Ein Kritikpunkt bleibt natürlich: Wie bei so vielen Unternehmer- Alphatieren ist die Nachfolge bei Berkshire Hathaway für Außenstehende auch heute noch unklar, denn auch mit nahezu 90 Jahren will Buffett von Ruhestand nichts wissen. Sein Ego wird, wie so oft in solchen Fällen, ein ordentliches Führungsvakuum hinterlassen, wenn er einmal nicht mehr ist. Wenn wir also von einem Debakel sprechen wollen, dann bei der Unternehmensnachfolge!“ Mein Freund, der kurz eingenickt war, zuckte plötzlich wieder auf. Das Stichwort „Nachfolge“ hatte auch ihn, den Vollblut-Unternehmer, wie magisch wieder wachgerüttelt.
Investissimus
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