Die SMS eines guten Freundes als Reaktion auf meine Geburtstagsglückwünsche geht mir nicht mehr aus dem Kopf. „Iatz hon i vorne an Vierer picken“, schrieb er, wobei ich nicht verstand, ob der Satz vorwiegend wehmütig oder vorwiegend humorvoll gedacht war. Tatsächlich: 40! Bisher war mir das nie wirklich bewusst geworden, aber nach und nach durchbricht mein engster Freundeskreis die 40er-Schallmauer oder hat sie bereits durchbrochen. 40! Vor 25 Jahren, ich war 13, gehörte jemand mit 40 zu den Alten – zumindest in meinen Augen. Mit 60 war jemand steinalt, mit 80… kann jemand wirklich so alt werden? Inzwischen nähere ich mich selbst der 40er-Marke, und mein Altersempfinden hat sich grundlegend geändert. 40? So langsam zieht die Jugend von dannen. 60? Das Leben fängt doch erst mit 66 an. 80? Schau dir an, wie fit die Menschen heute mit 80 sind. Ein Mensch mit 80 Lenzen auf dem Buckel ist für mich heute wie damals ein 60-Jähriger.
Ich fühle mich eindeutig jünger als 38. Okay, ich bin gescheiter als vor 25 Jahren (ehrlich!), erfahrener, abgebrühter, aber doch nicht alt, um Gottes willen! Die Menschen bleiben heute eben länger jung, ein 40-Jähriger von heute ist wie ein 30-Jähriger von gestern, rede ich mir ein. Doch dann kommt meine bald vierjährige Tochter neulich zu mir und sagt: „Gell, Tati, du bist schon ein bisschen alt.“ Nicht mit abschließendem Fragezeichen ausgesprochen, sondern als Feststellung! Hilfe! „Schon, bin ich ein bisschen alt?“, entgegne ich meiner Tochter in der Hoffnung auf eine Relativierung. Doch die Relativierung bleibt aus. Meine Tochter nickt nur und wendet sich wieder ihrem Spiel zu.
Am Abend dieses furchtbaren Tages lag ich noch eine ganze Weile wach im Bett. Kinder sagen die Wahrheit, weiß ich. Bin ich etwa doch älter als ich mich fühle? Glaube ich nur, mir eine gewisse Jugendlichkeit erhalten zu haben, und wandle in Wirklichkeit wie ein alternder Erwachsener durchs Leben?
Es ist heute also gleich wie früher – für Kinder sind 40-Jährige alt, oder zumindest ein bisschen. Mag sein, dass 40-Jährige heute jünger auftreten als vor 25 oder 50 Jahren, aber letztendlich fühlten sich wohl auch die 40-Jährigen von damals jünger als ihr biologisches Tachometer anzeigte. Offensichtlich empfinden wir Menschen unser Alter immer ein bisschen niedriger, als es laut Geburtsurkunde ist. Gut, es kommt vor, dass nach dem Sport der Rücken zwickt oder ein Knie schmerzt – ein Zustand, den wir früher nicht kannten. Mit den Jahren kommt es sogar immer öfter vor, leider auch bei mir. Einmal der Rücken, dann das Fußgelenk, dann die Schulter, dann wieder das eine oder andere Knie, wobei sich die Knie ganz hintertückisch gegenseitig abwechseln. Sogar einen Muskelfaserriss habe ich ganz frisch hinter mir. Und was noch auf mich zukommt, eröffnete mir neulich ein Bekannter, der nur ein paar Jahre älter ist als ich: „Ach, weißt du, wenn mir nach dem Sport einmal nichts mehr weh tut, dann bin ich wohl tot.“ Aber wegen der paar Wehwehchen gehöre ich doch noch lange nicht zum alten Eisen, bläue ich mir trotzig ein.
Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber mir passiert es sogar, dass ich Gleichaltrige in meinen Gedanken älter mache als mich selbst. Victoria Beckham, Robbie Williams, Ole Einar Björndalen – alle Jahrgang 1974, alle 38. Aber sind die genau genommen nicht ein bisschen älter als ich? Nein, sind sie nicht, so schwer es fällt, das zu glauben. Andere 38-Jährige werden sich wohl auch einreden, dass sie eigentlich jünger sind als ich.
Mit dem biologischen Alter ist es so eine Sache. Mit 15 oder 20 fühlen wir uns noch älter, als wir in Wirklichkeit sind. Wir wollen von den Eltern keine guten Ratschläge mehr haben, wir sind ja erwachsen genug. Dann, wenn wir wirklich erwachsen sind, beginnt sich das Gefühl zu drehen. Dann empfinden wir uns plötzlich jünger, als wir sind. Bei Geburtstagen wird das besonders deutlich, wenn Glückwünsche mit lachenden Antworten wie „Man ist so alt wie man sich fühlt“ pariert werden. Ich schließe daraus: Wir fühlen uns nicht alt oder jung, sondern wir wünschen uns alt oder jung.
Wir machen uns selbst also jünger als wir sind, zumindest ab 20, 25 Jahren, oder wir machen die anderen älter. Nur auf die eigenen Eltern ist bei diesem Spiel Verlass. Sie stehen auf unserer Seite, und machen uns ganz sicher nicht älter als wir sind. Im Gegenteil, ich denke, für Eltern bleiben die eigenen Söhne und Töchter immer ein bisschen Kinder, auf die sie achten müssen und um die sie sich kümmern sollten – selbst dann, wenn sie erwachsen werden. Das tut gut, und das beruhigt mich. Das Alter scheint irgendwie ein subjektiver Wert zu sein. Ich bin also doch so alt wie ich mich fühle. Ich bin jung!