Bozen – Hermann Troger war fast 20 Jahre lang als Geschäftsführer und Personalleiter tätig, etwa bei Röchling, Schweitzer und Volksbank. 2015 machte er sich als Berater selbstständig. Zudem ist er Universitätsdozent, mehrfacher Buchautor bei SpringerNature (die dritte, überarbeitete Auflage von „7 Erfolgsfaktoren für wirksames Personalmanagement“ ist soeben erschienen) und seit Anfang 2023 der Vorsitzende der Landesagentur für die Beziehungen zu den Gewerkschaften. Diese wurde vor zehn Jahren ins Leben gerufen, um das Land und die vom Land abhängigen öffentlichen Körperschaften bei Kollektivvertragsverhandlungen zu vertreten. Neben Troger gehören dem Gremium Bruni Pircher und Domenico Laratta an.
SWZ: Herr Troger, wie ist es, immer der Böse zu sein, der bei den Löhnen für die öffentlich Bediensteten knausert?
Hermann Troger: Wir – also ich und meine Kollegen Bruni Pircher und Domenico Laratta – betrachten uns gar nicht als die Bösen. Unterm Strich hat die Arbeitgeberseite ja dasselbe Interesse wie die Gewerkschaften, nämlich zufriedene Mitarbeitende. Dass die Vorstellungen darüber, wie wir dies erreichen, teilweise auseinandergehen, liegt in der Natur der Dinge. Wir versuchen, mit Vernunft und Weitsicht an die Sache heranzugehen, um eine Win-win-Situation zu schaffen. Die Zeiten, in denen Arbeitgeber übermäßig knausern können, sind ohnehin vorbei. Arbeitskräfte sind knapp, und Arbeitgeber müssen sich anstrengen, Mitarbeitende zu gewinnen, zu motivieren und zu halten.
Wir – also ich und meine Kollegen Bruni Pircher und Domenico Laratta – betrachten uns gar nicht als die Bösen.
Sie kennen die Lohnverhandlungen in der Privatwirtschaft und nun auch jene im öffentlichen Dienst. Erkennen Sie Unterschiede?
Vor allem erkenne ich Unterschiede im Verlauf der Zeit. Es macht sich bemerkbar, dass in den vergangenen zehn Jahren aus dem früheren Arbeitgebermarkt ein Arbeitnehmermarkt mit Arbeitskräfteknappheit geworden ist. Es muss konstruktiv verhandelt werden und die Arbeitgeberseite sitzt nicht mehr am längeren Hebel, wie das früher der Fall war.
Im vergangenen Jahr wurden in Südtirol acht verschiedene Kollektivverträge für den öffentlichen Dienst unterzeichnet. Auch wurden im Landeshaushalt 450 Millionen Euro zweckgebunden, um Lohnerhöhungen in den nächsten drei Jahren zu finanzieren. Das klingt nach viel, ist den Gewerkschaften aber zu wenig.
Zweifelsohne gibt es nach dem Inflationsschub der vergangenen Jahre Aufholbedarf. Es ist nachvollziehbar, dass die Gewerkschaften strukturelle Lohnerhöhungen fordern und nicht nur Una-Tantum-Zahlungen. Zugleich muss das Land – so wie jeder Arbeitgeber – schauen, was möglich ist, denn das Geld ist nicht unbegrenzt verfügbar.
Es ist immer von prozentuellen Lohnerhöhungen die Rede. Damit öffnet sich die Lohnschere aber noch mehr, während zugleich die Lohnunterschiede oft in der Kritik stehen. Ist das Prozentdenken noch zeitgemäß?
Tatsächlich werden in vielen privatwirtschaftlichen Kollektivverträgen nicht prozentuelle Erhöhungen, sondern absolute Beträge definiert. In der Vergangenheit haben wir Vorschläge in diese Richtung unterbreitet. Sie sind aber bei den Gewerkschaften auf wenig Gegenliebe gestoßen.
Es gilt, darüber zu reden, wie die öffentliche Hand als Arbeitgeber attraktiver gemacht werden kann. Es geht schließlich nicht nur ums Geld.
Wie geht es bei den Verhandlungen mit den Gewerkschaften jetzt weiter?
Die nächsten Schritte gehören der Definition der Detailfragen. Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, wie viel mehr Lohn die einzelnen Mitarbeitenden erhalten und wie viel davon strukturelle Erhöhungen sind und wie viel einmalige Nachzahlungen. Zugleich gilt es, darüber zu reden, wie die öffentliche Hand als Arbeitgeber attraktiver gemacht werden kann, zum Beispiel über neue Lohnmodelle und Karriereanreize. Es geht schließlich nicht nur ums Geld.
Sondern?
Attraktivität schafft man auch über Zusatzleistungen wie Essensgutscheine oder neue Arbeitszeitmodelle, um zwei Beispiele zu nennen. Ich denke da etwa an die Arbeitszeitreduzierung von 38 auf 36 Stunden, wie wir sie bei Gesundheitsberufen mit Blick auf die hohe Belastung vereinbart haben.
Wir benötigen in der öffentlichen Verwaltung Konzepte, die für 40.000 Menschen passen.
Vereinbart wurde auch die 4,5-Tage-Woche in der Landesverwaltung. Dann gab es Protest dagegen. Ist es nicht frustrierend, dass immer jemand unzufrieden ist?
In der Tat hat uns das überrascht. Wir dachten, etwas Gutes zu tun, und haben die Entscheidung auf der Basis einer Umfrage getroffen, in der die große Mehrheit für den freien Freitagnachmittag war. Ich kann die Gegenargumente verstehen. Insgesamt wurde die Zeitspanne, innerhalb der das Arbeitspensum erfüllt werden kann, zwar erhöht, aber an Zeiten morgens und abends, die nicht für alle nutzbar sind. Trotzdem gibt es nach wie vor ein hohes Maß an Flexibilität. Und wir benötigen in der öffentlichen Verwaltung Konzepte, die für 40.000 Menschen passen. Private Unternehmen haben es da einfacher, maßgeschneiderte Individuallösungen zu vereinbaren.
Ist das eine Schwäche des öffentlichen Dienstes? Oft ist zu hören, dass der öffentliche Dienst den Attraktivitätswettbewerb gegen die Privatwirtschaft mittlerweile verliert – trotz Vorzügen wie umfangreicherer Mutterschutz, Jobgarantie und Möglichkeit zu Sabbaticals.
Diese Möglichkeiten werden nach wie vor geschätzt. Trotzdem sind die Zeiten vorbei, in denen der öffentliche Bereich beispielgebend voranging und die privaten Arbeitgeber zähneknirschend nachzogen. Mittlerweile zwingt der Arbeitskräftemangel alle zum Handeln und häufig sind die Privaten die Vorreiter.
Was die Privatwirtschaft laut meiner Erfahrung besser kann, ist das Bieten von Karrieremöglichkeiten.
Was können die Privaten besser als der öffentliche Dienst?
Was die Privatwirtschaft laut meiner Erfahrung besser kann, ist das Bieten von Karrieremöglichkeiten. Daran möchten wir noch weiter arbeiten. Neben der klassischen Führungskarriere muss es noch mehr Expertenkarrieren geben. Es braucht Möglichkeiten, damit besondere Leistungen pekuniär honoriert werden können, ohne dass es dafür zwingend einen hierarchischen Aufstieg braucht. Wir haben in den jüngsten Verträgen Möglichkeiten für Sondervergütungen für herausragende Leistungen vorgesehen. Aber nach wie vor sind die Lohnstufen im öffentlichen Dienst viel rigider als in der Privatwirtschaft.
Das Dienstalter ist wichtiger als die Leistung.
Das hemmt zuweilen die Motivation, obwohl es nur eingeschränkt stimmt. Zudem ist die öffentliche Hand behäbiger, wenn es um die Flexibilisierung und Individualisierung von Incentive-Systemen geht. Private tun sich ungleich leichter, ihrer Belegschaft Incentives wie Wellness-Gutscheine oder E-Bikes zur Verfügung zu stellen. Im Öffentlichen ist immer darauf zu achten, was der Rechnungshof sagt.
Bleiben wir bei der Privatwirtschaft. Welche sind aus Ihrer Sicht in der modernen Arbeitswelt die wichtigsten Trümpfe in Sachen Mitarbeiterbindung?
Ganz klar eine familienorientierte Personalpolitik, wobei „Familie“ treffender als „Privatleben“ definiert werden muss. Arbeitgeber gehen immer stärker auf die individuelle Work-Life-Balance ein. Dazu gehört neben flexiblen Arbeitszeiten auch die Möglichkeit, an beliebten Urlaubsdestinationen remote zu arbeiten – Workation genannt. All das verschärft den Wettbewerb um die besten Goodies.
Seien wir ehrlich, die Arbeitgeber sind nicht plötzlich zu Philanthropen geworden.
Wird es mit dem Feel-Good-Trend mittlerweile vielleicht sogar übertrieben? Arbeit bleibt Arbeit. Und Unternehmen haben genauso Notwendigkeiten wie ihre Mitarbeitenden, wenn sie erfolgreich bleiben wollen.
In einem Markt, in dem Arbeitskräfte knapp sind, herrscht regelrecht der Zwang zum Übertreiben. Seien wir ehrlich, die Arbeitgeber sind nicht plötzlich zu Philanthropen geworden. Sie sind vielmehr durch die Gesetze des (Arbeitskräfte-)Marktes gezwungen, sich gegenseitig zu überbieten.
Was, glauben Sie, ist wichtiger: 100 Euro mehr Lohn oder die Möglichkeit zur Weiterentwicklung, sprich zur regelmäßigen Weiterbildung?
Im Moment 100 Euro mehr Lohn. Das gilt zumindest für die einfachen Mitarbeitenden. Für Besserverdienende mag es anders sein. Fakt ist, dass die Halbwertszeit von Wissen abnimmt. Unternehmen, die keine Möglichkeit zur Weiterbildung bieten, schaden sich folglich selbst, und obendrein schmälern sie ihre Attraktivität als Arbeitgeber. Natürlich kann es passieren, dass eine Arbeitskraft das Unternehmen verlässt, nachdem ausgiebig in ihre Kompetenzen investiert wurde. Genauso kann umgekehrt eine Arbeitskraft ins Unternehmen kommen und Kompetenzen mitbringen, die ein anderer Arbeitgeber bezahlt hat. Insofern müssen sich alle Unternehmen damit abfinden, dass sie in erster Linie in die Wettbewerbsfähigkeit des Mitarbeitenden investieren.
Gemeinsam mit dem Team eine gute Homeoffice-Regelung zu vereinbaren und dann zum Funktionieren zu bringen, ist das Geheimnis guter Führung.
Wie geht in Ihren Augen eine gute Homeoffice-Regelung im Spannungsfeld zwischen der Bequemlichkeit der Heimarbeit und der Wichtigkeit des Teamgeistes?
Es gibt keine beste Regel. Fakt ist, dass Homeoffice selbstverständlich geworden ist, zumindest in jenen Berufen, wo es technisch möglich ist. Die Aussage „Homeoffice gibt es bei mir aus Prinzip nicht“ wird heute niemand mehr machen. Homeoffice hat mit Vertrauen zu tun, und das mussten viele Arbeitgeber erst lernen. Gemeinsam mit dem Team eine gute Homeoffice-Regelung zu vereinbaren und dann zum Funktionieren zu bringen, ist das Geheimnis guter Führung. Die Mitarbeitenden wissen im Grunde ganz genau, was gut für die Erledigung der Arbeit ist. Sie wissen aber eben auch, was gut für sie selbst ist.
Wie beurteilen Sie den Trend zu immer kürzeren Arbeitszeiten bei zugleich weniger werdenden Arbeitskräften? Werden wir zu einer Freizeitgesellschaft, in der die Arbeit liegen bleibt?
Ja, so ist es. Vor allem bei den jüngeren Generationen ist der Wunsch, nicht zu viel zu arbeiten, stark ausgeprägt. Eigentlich würde uns der demografische Wandel dazu zwingen, mehr zu arbeiten, um den Wohlstand zu erhalten – oder aber den Zuzug von Arbeitskräften zuzulassen, denn die Weltbevölkerung wächst ja immer noch. Wir werden älter, wir werden weniger, aber wir wollen unter uns bleiben – das kann nicht funktionieren.
Wir werden älter, wir werden weniger, aber wir wollen unter uns bleiben – das kann nicht funktionieren.
Kann uns die künstliche Intelligenz retten, weil sie uns Arbeit abnimmt?
Teilweise wird die KI das Arbeitskräfteproblem durchaus entschärfen. In den nieder qualifizierten Bereichen hat sie es längst getan, die KI kann mittlerweile aber auch höher qualifizierte Profile unterstützen bzw. sogar ersetzen. Deshalb gehe ich davon aus, dass der „Skills Missmatch“, sprich das Missverhältnis zwischen verfügbaren und erforderlichen Kompetenzen, noch größer wird. Servicepersonal im Restaurant oder Pflegepersonal im Krankenhaus werden wir immer brauchen – nicht zuletzt, weil wir es so wollen.
Eine letzte Frage: Anderswo verdient man mehr als in Südtirol, ist das meistgehörte Argument, wenn vom Braindrain die Rede ist. Hat Südtirol ein Problem?
Ja, sogar zwei. Abgesehen davon, dass hierzulande die gesamtstaatlichen Kollektivverträge bestimmte Berufsbilder vergleichsweise niedriger bewerten als anderswo, etwa Lehrer und Ärzte, ist es die große Schere zwischen Einkommen und Lebenshaltungskosten – Letztere sind bekanntlich bei uns sehr hoch. Alle anderen am Stammtisch gern dozierten Vergleiche hinken häufig. Dazu kommt aktuell noch ein zweites Problem: In den uns umgebenden Ländern war man letzthin mit den inflationsbedingten Anpassungen schneller und meist großzügiger.