Sie gehören zum Sport dazu: die Fans in ihren bunten Outfits, mit ihren siegesgewissen Posen, den johlenden Anfeuerungsgesängen, ihren Transparenten und kreativen Einfällen, mit denen sie sich für die Kameras interessant machen. Wenn im Fußball Tore fallen, sieht man sie hochspringen und herumschreien, verfehlt der Spieler das Ziel, schlagen sie die Hände vor dem Gesicht zusammen, verliert ihre Lieblingsmannschaft, vergießen sie bittere Tränen der Enttäuschung. In ihrer knalligen Fantracht werden gestandene Männer zu abergläubischen Nervenbündeln, Frauen verlieren die Fassung, Alte toben wie Junge. Besonders interessant dabei ist, dass gerade bei Sportgroßereignissen Fans spontan entstehen können, das heißt, dass Menschen, die sich bis dahin kein bisschen für eine bestimmte Sportart interessiert haben, plötzlich zu ihren größten, lautesten, fanatischsten Unterstützern werden können. Wie viele Sportler, die jahrelang einsam ihre Trainingsrunden ziehen, erleben erstaunt, wie mit wachsendem Erfolg auch ihre Fans, die „immer schon an ihrer Seite“ waren, wie Pilze aus dem Boden schießen! Aber seien wir ehrlich: Ohne die schreiende und etwas beängstigende Masse, die Stadien füllt oder Straßen säumt, wäre ein Wettkampf nur halb so schön. Dass Größenwahn und Randale dabei ebenso dicht an dicht liegen, erhöht nur den Reiz. Das ist unterhaltsam und wird von einer ganzen Industrie unterstützt. Vom Fähnchen zum Schal zum Siegerpokal aus Pappe gibt es keinen Fan-Artikel, den es nicht gibt. Oder doch: Eine Nische habe ich entdeckt, die noch nicht besetzt ist.
Kürzlich habe ich nämlich in einem Südtiroler Bezirksblatt über einen jungen Mann gelesen, dessen Foto es auf die Titelseite einer britischen Klatschzeitung geschafft hat. Warum? Er war vom glattrasierten Scheitel bis zur Sohle als England-Fan bemalt und eingekleidet und wurde bei der Fußball-EM nach der Niederlage der Mannschaft im Elfmeterschießen gegen Italien zum Symbol für alle enttäuschten England-Fans. Dabei verriet er dem Südtiroler Bezirksblatt, dass er keineswegs England-Fan sei und seine Enttäuschung nach dem Spiel auch nicht der englischen Niederlage gegolten habe. Er sei nur darüber verbittert gewesen, dass Italien gewonnen habe. Der junge Mann gehört damit zur gar nicht so raren Spezies der Anti-Fans, also zu jenen Sport-Beobachtern, denen es nicht darum geht, eine bestimmte Mannschaft oder einen bestimmten Sportler gewinnen zu sehen, sondern im Gegenteil: Sie sehnen deren Niederlage herbei. Das Motto lautet dabei schlicht: „Mir ist egal, wer gewinnt, Hauptsache, XY gewinnt nicht.“ Wenn ich an Turniere wie die Fußball-EM denke, dann bedeutet das, dass das Interesse eines Anti-Fans sehr schnell abflauen kann. Er fiebert nur so lange mit, wie seine „Hass-Mannschaft“ sich noch im Turnier hält – mit der entscheidenden Niederlage erlebt der Anti-Fan seinen erfüllendsten Glücksmoment. Und danach ist ihm alles egal. Erstaunlich finde ich aber die Tatsache, dass mancher Anti-Fan sich rigoros in den Farben des aktuellen Gegners seiner Hass-Mannschaft kleidet. Was das an Aufwand bedeutet! Heute Frankreich, morgen Spanien, übermorgen Deutschland – oder eben England.
Und hier erblicke ich Spielraum für findige Vermarkter. Wäre es nicht effizienter, dem Anti-Fan ebenso wie dem Fan eine Palette von Produkten zur Verfügung zu stellen? Zum Beispiel all jenen, die den FC Bayern München hassen: T-Shirts mit durchgestrichenem Bayern-Logo, Fähnchen, auf denen „Heute woll´n wir München lynchen“ steht, Pokale mit der Aufschrift „Nie mehr wieder“ und so weiter und so fort. Da ließe sich bestimmt einiges machen. Freilich hat man am Anti-Fan nicht so dauerhaft Freude. Scheidet sein Hassobjekt schon in der Vorrunde aus, ist es auch mit dem Anti-Fan vorbei. Er kann sich wieder seinem Alltag zuwenden und hat nur die laue Befriedigung, dass er recht hatte, nicht Fan von XY gewesen zu sein. Insofern ist ihm zu wünschen, dass das Ziel seiner Wut und Abscheu möglichst weit nach vorne kommt, am besten in Medaillennähe. Das hält den Anti-Fan bei der Stange, frischt seine Frustration auf, die er doch wie die Luft zum Atmen braucht. Letztlich lebt der Anti-Fan davon, dass sein Anti-Sportler möglichst erfolgreich ist. Es macht einfach keinen Spaß, auf die hinunterzusehen, die schon auf dem Boden liegen. Wenn aber der Große stürzt, dann bleiben die Spötter nicht aus. Wie befriedigend es doch ist zu sehen, wenn auch Erfolgsverwöhnte scheitern. Um das aber sehen zu können, müssen die Erfolgsverwöhnten erst mal vom Erfolg verwöhnt werden.
Und dennoch gibt es immer wieder auch Anti-Fans, die sich ausgerechnet die aussuchen, die sowieso nichts zu lachen haben. Die österreichische Fußballmannschaft etwa. Freilich hat der Anti-Fan bei so einer Wahl besonders viel Grund zur Häme – auch wenn es auf Dauer keine allzu große Befriedigung bringen dürfte. Sich zu freuen, wenn andere weinen, ist des Anti-Fans Essenz. Als Verkörperung der Schadenfreude lauert er auch außerhalb des sportlichen Umfelds. Jeder, der schon einmal etwas geleistet hat, hatte schon mit seinen persönlichen Anti-Fans zu tun. Aber wie heißt es so schön: Mitleid kriegt man geschenkt. Neid muss man sich verdienen.