Bozen/Mals – Schweiß tritt auf die Stirn des Mannes, während er sich am Turkish Get-up versucht, einem Bewegungsablauf mit sieben Schritten. Mit einer Kugelhantel, einer sogenannten Kettlebell, in einer Hand muss er aus der Rückenlage in den Stand kommen. Neben ihm steht ein zweiter junger Mann, der immer wieder kurze Anweisungen gibt, die Haltung korrigiert und motiviert. „Coach Fabi“ steht auf seinem T-Shirt. Für Coach Fabi, der eigentlich Fabian Untersteiner Fellin heißt, ist es das erste Einzeltraining an diesem Tag. Um 7 Uhr war der Kunde, Andreas, hier im Souterrain des NOI Techparks in Bozen, wo die Homebase von ProActive Südtirol ihren Platz hat. Der Boden erinnert mit seiner sattgrünen Farbe und der Kunstrasenoptik an eine Wiese. Von der Decke baumeln Schlingentrainer, am Boden liegen Medizinbälle, Blackrolls und Widerstandsbänder.
„Wenn Kunden zum ersten Mal herkommen, wundern sich viele, dass es in unserer Trainingshalle nicht so ausschaut, wie in einem klassischen Fitnessstudio“, schmunzelt Fabian. Wer nach Geräten sucht, ist bei ihm an der falschen Adresse, denn bei ProActive wird im funktionellen Bereich gearbeitet, vielfach mit Körpergewicht oder verschiedenen Zusatzgewichten, ganz nach dem Motto: „Gesundheit vor Fitness“. „Nur weil jemand fit ist“, erklärt der 26-Jährige, „ist er noch lange nicht gesund.“ Früher sei es beim Training hauptsächlich darauf angekommen, in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Wiederholungen mit einem bestimmten Gewicht zu machen. „Heute steht im Fokus, dass die Bewegung zuerst richtig ist, und dann erst oft gemacht wird.“ Denn viel helfe in diesem Fall nicht viel – im Gegenteil. Wer über einen längeren Zeitraum falsche Bewegungen wiederholt, kreiere ein gesundheitliches Problem, das dann vielfach ignoriert werde. „Wenn beim Auto ein Lämpchen leuchtet, laufen die meisten Leute gleich zum Mechaniker. Wenn der Körper Signale schickt, zum Beispiel in Form von Schmerzen, wird häufig einfach nichts gemacht. Ich habe mich jahrelang selbst fast kaputt trainiert,“ sagt Fabian. Doch dann kam der Augenöffner.
Nach seinem Studium der Sportwissenschaft an der Uni Innsbruck absolvierte Fabian die Ausbildung für den Functional Movement Screen (FMS) in München. Darauf baut er heute sein gesamtes Trainingskonzept auf. „Nach drei Kurstagen sind mein heutiger Geschäftspartner und ich heimgefahren, haben uns angeschaut und gesagt: Wir haben ja keine Ahnung, was wir machen“, erinnert sich Fabian. Im Nachhinein sei die Trainingsgestaltung anhand von FMS logisch und in sich stimmig. „Das, was ich im Studium gelernt hatte, war nicht falsch, aber es war drei Stufen zu weit für die meisten Leute.“
Aus der gemeinsamen Überzeugung entstand die Geschäftsidee, funktionelles, individuell abgestimmtes Training nach Südtirol zu holen. Im Februar 2016 startete Fabian gemeinsam mit Martin Stark und Florian Pohl das sportliche Unternehmen. Im Jänner 2017 gründeten sie schließlich die ProActive Südtirol GmbH. Heute arbeiten mehrere Freiberufler in der Homebase in Bozen und der Base in Mals sowie bei den verschiedenen Kleingruppenkursen in zwölf Südtiroler Gemeinden: vier Trainer, zwei Yoga-Lehrerinnen, eine Ernährungswissenschaftlerin und eine Psychologin.
„Im Mittelpunkt steht bei allem, was wir tun, der Mensch als Individuum“, sagt Fabian. Das Alter spiele dabei keine Rolle. Die jüngsten Kunden sind im Jugendalter, die älteste Kundin ist 72 und geht trotz Hüftprothese gerne zum Training. Das funktioniere nur, weil Bewegungsmuster angewandt werden, die jeder Mensch von klein auf kennt und natürlich ausübt: krabbeln, rollen, aufstehen, hinlegen. „Die einen machen es mit Gewicht, die anderen ohne, die einen mit mehr Progression, die anderen mit weniger.“ Rund 170 Kunden trainieren auf diese Art mittlerweile in der Homebase in Bozen, mehr als 60 in der Base in Mals und noch mal 200 bis 250 bei den Kursblöcken, die übers Jahr verteilt stattfinden. Außerdem bieten Fabian und sein Team Konditionstraining für Sportler und Firmenfitness in Form von Schulungen und Vorträgen an. Wer will, kann auch außerhalb des regulären Trainings an Ausflügen und Aktivitäten teilnehmen wie Rodeln, Törggelen oder Sonnenaufgangswanderungen. „Wir sind eine richtige Community“, sagt Fabian.
Diese enge Betreuung fordert viel Zeit. Um 6 Uhr beginnt normalerweise Fabians Arbeitstag, manchmal auch früher, wenn Einzeltrainings anstehen. Zwölf bis 14 Stunden kommen so schnell zusammen. Dennoch sagt er: „Gearbeitet habe ich seit drei Jahren nicht mehr. Vor ProAcitve habe ich Zeit gegen Geld getauscht. Jetzt kann ich zu hundert Prozent meiner Berufung nachgehen.“ Auch privat nimmt er sich Zeit für Sport, versucht gleichzeitig, den Kontakt zu seinen Freunden zu halten. Höchstens der Schlaf komme bei alldem manchmal zu kurz, räumt Fabian ein.
Müde wirkt er aber kein bisschen. Seinen Enthusiasmus schätzen die Kunden besonders. Das sagt auch Andreas, der sein Training mittlerweile beendet hat. Ob es ihm hier gefällt? „Natürlich, sonst wäre ich nicht schon seit November dabei“, sagt er. „Und wenn ich mal keine Lust habe, ruft mich der Fabi an. Und dann komm ich trotzdem.“