EQUAL PAY DAY – Am 24. April wird der diesjährige Equal Pay Day begangen. Die Initiative verweist auf die unbereinigte Lohndifferenz von Frauen und Männern, die in Südtirol 17 Prozent beträgt. Wie diese Zahl errechnet wird – und wie die Lücke geschlossen werden kann.
Bozen – Noch immer werden Frauen und Männer für gleiche Arbeit nicht gleich bezahlt. Die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern, der Gender Pay Gap, liegt in Italien und Südtirol bei 17 Prozent. Umgerechnet sind das 62 Tage, die Frauen unentgeltlich arbeiten. Auf den aktuellen Gender Pay Gap wird alljährlich in verschiedenen Ländern durch den Equal Pay Day hingewiesen. Die Debatte rund um den Tag hat einen wichtigen Beitrag dazu geliefert, das Thema der Gleichberechtigung von Frauen mehr in die öffentliche Aufmerksamkeit zu rücken.
Nach Südtirol wurde die Initiative zum ersten Mal vor elf Jahren geholt, und zwar vom Landesbeirat für Chancengleichheit und dem Frauenbüro. Das zehnjährige Jubiläum konnte im vergangenen Jahr wegen der Pandemie nicht begangen werden. Die anlässlich des runden Geburtstags organisierte Onlinekonferenz wurde am Mittwoch dieser Woche nachgeholt, am kommenden Freitag, 23. April, ist dann die offizielle Ausgabe des Equal Pay Day auf dem Programm.
Die SWZ hat sich zu diesem Anlass umgehört, welche Gründe es für die Lohnunterschiede gibt, welche Rolle Diskriminierung spielt und wie sich die Lücke verkleinern lässt.
Die Berechnung: Nicht per se Zeichen von Diskriminierung
Der Gender Pay Gap in Südtirol liegt seit Jahren konstant – wie eingangs erwähnt – um die 17 Prozent. Berechnet wird er jährlich auf den Tageslohn sowohl vom Landesinstitut für Statistik Astat als auch vom Arbeitsförderungsinstitut Afi anhand der Daten des Nisf-Inps zu den unselbstständig Beschäftigten in Vollzeit. Es handelt sich somit um einen Durchschnittswert, der verschiedene Faktoren wie den Bildungsgrad nicht berücksichtigt, weshalb man von der unbereinigten Lohnlücke spricht.
„Für diese unbereinigte Lücke ist eine Palette von Faktoren verantwortlich, die teils eng miteinander verknüpft sind. Wichtig ist anzumerken, dass es sich dabei nicht per se um ein Zeichen von Diskriminierung am Arbeitsplatz handelt. Das lässt sich besonders gut daran erkennen, dass der unbereinigte Gender Pay Gap im öffentlichen Sektor nicht wesentlich vom Privatsektor abweicht.
Entscheidend sind nämlich andere Faktoren, zum Beispiel, dass Frauen seltener in Führungspositionen arbeiten. Sie erhalten seltener Zulagen und machen weniger häufig Überstunden, weil sie vielfach zuhause nicht entlohnte Arbeit verrichten. Ebenso spielen unterschiedliche Bildungsgrade eine Rolle, aber auch dass sich Frauen und Männer häufig für verschiedene Berufsfelder entscheiden, wobei Frauen in gut bezahlten MINT-Fächern unterrepräsentiert sind. Frauen arbeiten zudem häufiger in kleineren Betrieben, in denen seltener als in großen Ergebnisprämien ausbezahlt werden.
Um die bereinigte Lohnlücke zu berechnen, fehlen uns in Südtirol hingegen die Daten.“
Silvia Vogliotto, Afi-Vizedirektorin
Auf den ersten Blick haben die Faktoren, die die unbereinigte Lohnlücke bedingen, nichts mit dem Geschlecht zu tun. Manche argumentieren, der größte Teil des Unterschieds sei auf freie Entscheidungen von Frauen zurückzuführen. Zahlreiche Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass diese meist gar nicht so freiwillig sind, sondern häufig Ergebnis von Diskriminierung am Arbeitsmarkt. So gibt es Belege dafür, dass Frauen nicht von sich aus auf Führungspositionen verzichten oder auch dafür, dass die Löhne in Berufszweigen sinken, in die Frauen vordringen.
Und was passiert, wenn die Lohndifferenz um die beobachtbaren Faktoren bereinigt wird? Dann bleibt eine „unerklärte“ Lücke, die zum Beispiel in Deutschland bis zu sechs Prozent beträgt.
Das Aktuelle: Pandemie als Fingerzeig
Die Coronakrise stellt erwerbstätige Frauen und Männer zum Teil vor die gleichen Herausforderungen, teilweise sind sie aber auch unterschiedlich von den Folgen der Pandemie betroffen. Zu beobachten sind zwei ambivalente Entwicklungen: In einigen Familien hat sich die traditionelle Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit verschlechtert, in anderen haben sich neue Chancen eröffnet für eine fairere Aufteilung.
„Die Pandemie war Fingerzeig dafür, dass wir, um eine Gleichstellung zu erreichen, zuallererst bei der Kinderbetreuung ansetzen müssen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss funktionieren, dazu gehört auch, dass Männer daheim mithelfen. Familie ist nicht Frauensache, sondern ein Gemeinschaftsprojekt. Viele Frauen sind mittlerweile am Limit. Früher half die Großfamilie oder Nachbarschaft, heute geht es nicht ohne Unterstützung von außen.
Wir haben in den vergangenen Monaten auch gesehen, wie wichtig frauendominierte Berufe für die Gesellschaft sind. Hätten alle Frauen gestreikt, wäre das System zusammengebrochen. Wir brauchen in diesen Berufen endlich eine angemessene Bezahlung.
Frauen müssen zudem in Gremien angemessen vertreten sein, es reicht nicht, sie mitzumeinen.“
Ulrike Oberhammer, Präsidentin Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen
Das Verhandlungsgeschick: Charaktersache
Häufig wird als ein Grund für den Lohn-unterschied von Frauen und Männern angeführt, dass erstere zu wenig sicher bzw. fordernd in Gehaltsverhandlungen gehen. Frauen unterschätzen vielfach den monetären Wert ihrer Arbeit, was dazu führen kann, dass sie bei gleicher Tätigkeit und Qualifikation weniger verdienen als männliche Kollegen. Zahlreiche Frauen verhandeln bereits zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn gar nicht oder zu wenig. Eine Studie an der privaten US-amerikanischen Carnegie Mellon University zeigt etwa, dass nur sieben Prozent der Masterstudentinnen ihr erstes Gehalt verhandeln. Bei den Männern sind es 57 Prozent. Als Hauptgrund nennen Expert*innen ein fehlendes Bewusstsein für das Thema, dicht gefolgt von einer geringen Wertschätzung gegenüber den eigenen Talenten.
Hannes Mair, Geschäftsführer der Personalvermittlungsagentur look4U, hat zahlreiche Vorstellungsgespräche geleitet. Es gebe, sagt er, tatsächlich Unterschiede, aber die hingen vom Charakter ab, nicht vom Geschlecht.
„Manche überschätzen sich maßlos und verlangen viel zu viel, andere legen weniger Wert auf Monetäres, dafür umso mehr auf bestimmte Rahmenbedingungen, wieder andere stapeln zu tief. Das ist meiner Erfahrung nach Charaktersache und kann nicht pauschalisiert werden. Für Frauen und Männer gilt gleichermaßen: Fordert das, was euch zusteht.
Worüber ich froh bin, ist die Tatsache, dass sich immer mehr Frauen auf Führungspositionen bewerben und für diese auch ausgewählt werden. Ich persönlich bevorzuge die Arbeit mit weiblichen Führungskräften, weil sie mehr Biss haben. Männer lassen es manchmal gern etwas schleifen.“
Hannes Mair, Geschäftsführer look4U
Die Berufswahl: Am Ende zählt die Wertigkeit
Frauen sollen in besser bezahlte Berufe, heißt es oft, und auf einen entsprechenden Ausbildungsweg achten. Konkret bedeutet das: mehr Frauen an die technischen Unis, mehr Frauen in die Mint-Berufe.
„Es hat immer schon Berufe gegeben, in denen man mehr verdient als in anderen, sei es wegen der Wichtigkeit für die Wirtschaft oder weil dadurch ein besonders anspruchsvolles Studium honoriert wird. Im Moment gehören dazu die MINT-Fächer. Für sie sollten wir Frauen begeistern, und zwar bereits ab dem Kindergartenalter.
Leider ist es so, das haben Studien belegt, dass ein steigender Frauenanteil in einem Beruf negative Konsequenzen für das Verdienstniveau insbesondere von Frauen bedeutet. Auch der Status eines Berufs wird durch das Merkmal Geschlecht beeinflusst. Wenn Männer etwas machen, hat es eine höhere Wertigkeit. Um hier einen Wandel zu unterstützen, müssen wir bei den Kindern ansetzen, die gesamte Gesellschaft muss mithelfen.
Die Mentalität ändert sich nicht von heute auf morgen. Bis es so weit ist, liegt es an uns, uns und unsere Leistungen sichtbar zu machen, dementsprechend unseren Lohn zu verhandeln und auch hartnäckig zu bleiben.
Ergänzend dazu ist die Leistung von Menschen bei der Arbeit, also die Anforderungen an Wissen, Psyche und Körper neu zu bewerten und Verantwortung nicht allein mit Führungsverantwortung gleichzusetzen, sondern auch mit der Verantwortung für das Wohlergehen anderer Menschen. Die Löhne sollten dann in Pflege- und Betreuungsberufen auch steigen.“
Marlene Rinner, Ingenieurin und Präsidentin des Frauennetzwerks wnet – networking women
Die Erwerbstätigkeit: Vergebene Chancen
Immer mehr Frauen sind erwerbstätig, jedoch unterbrechen oder verkürzen sie wegen Kinderbetreuung und familiären Pflegeaufgaben ihre Erwerbstätigkeit häufiger und länger als Männer und sind auch weiterhin seltener in den Führungsetagen vertreten. Das Land Südtirol möchte mit seiner „aktiven Arbeitsmarktpolitik“ unter anderem hier ansetzen. Im dazugehörigen Strategiedokument gibt es einen eigenen Abschnitt zur „Stärkung der Erwerbstätigkeit von Frauen, der Chancengleichheit und der Vereinbarkeit“. Darin wird als ein Ziel genannt, die Erwerbstätigenquote der Frauen zu erhöhen. Die dazu konzipierten Maßnahmen „betreffen den Ausbau und die Sicherstellung der Betreuungsdienstleistungen, die Verbesserung der Vereinbarkeit, die Änderung der betrieblichen Rekrutierungsmuster und Betriebskultur sowie die Intensivierung/Koordination von Informations-, Beratungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen sowohl für Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende. Dies gilt besonders für vulnerable Gruppen, z. B. Frauen mit Migrationshintergrund, niederem Bildungsstand usw.“
„Noch immer arbeiten viele Frauen unter ihren Kompetenzen, zahlreiche Männer darüber. In den Führungsebenen begegnet uns dementsprechend viel Mittelmäßigkeit, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. Wir vergeben dadurch große Chancen für Innovation.
Gesetzgeberisch ist das Thema ziemlich ausgeschöpft, es geht nun um Bewusstseinsbildung. Ich würde mir von der Wirtschaft mehr Eigeninitiative und Antrieb wünschen. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass gemischte Teams erfolgreicher und kreativer sind.
Brigitte Foppa, Landtagsabgeordnete der Grünen Fraktion
Die Unternehmensebene: Mehr Transparenz
Um die Höhe der Gehälter wird in den allermeisten Unternehmen Stillschweigen bewahrt. Doch erst wenn Löhne nicht mehr tabu sind und öffentlich diskutiert werden, werden die Unterschiede zwischen Mann und Frau, aber auch jene zwischen den Branchen transparent. Und Transparenz ist der erste Schritt für eine öffentliche Diskussion und der Beginn der Gleichstellung.
„Es braucht auf jeden Fall mehr Transparenz, doch die Theorie ist eines, die Praxis etwas völlig anderes. Es wäre durchaus denkbar, in den Kollektivverträgen entsprechende Formulierungen zu integrieren. Bereits bei Beginn der Verhandlungen kann auf den Tisch kommen, welche Nachteile Frauen haben, zum Beispiel bei der Pension, zum Teil aufgrund von Unterbrechungen, aber auch wegen unterschiedlicher Karrierechancen. Je länger die Berufslaufbahn, desto weiter geht die Schere im Normalfall auseinander.“
Tony Tschenett, Vorsitzender des Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes (ASGB)