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Gemeindewahl: Wenn der Name wichtiger als das Programm ist

GEMEINDERATSWAHLEN – Hier tritt der Kommandant der Feuerwehr an, dort die bekannte Unternehmerin: Bei Gemeinderatswahlen sind die Beliebtheit und Bekanntheit der Kandidierenden oft wichtiger als ihr Programm und ihre Expertise. Ist das ein Problem?

Silvia Santandrea von Silvia Santandrea
27. März 2025
in Südtirol
Lesezeit: 4 mins read

Foto: Shutterstock / beeboys

Bozen – Wer steigt in den Ring? Am Mittwoch vergangener Woche mussten die Parteien die endgültigen Listen mit den Namen ihrer Kandidatinnen und Kandidaten für die Gemeinderatswahl im Mai abgeben. Die bespielten Themen unterscheiden sich von Ort zu Ort, genauso wie die Strategie, die die Parteien fahren.

„Die Gemeinderatswahl ist die einzige Wahl, bei der die Wähler wirklich wissen, wen sie wählen, und bei der sie ein klares Bild der Kandidaten haben.“

Was hingegen viele Listen gemeinsam haben: Es kandidieren, wie auch bei vorangehenden Wahlen, auffallend viele bekannte Gesichter. Mal ist es der Obmann der Musikkapelle, mal die erfolgreiche Unternehmerin, ein andermal der rundum bekannte Koch des Restaurants im Dorf. Das hat Strategie – und kann sich am 4. Mai bezahlt machen. Denn mittlerweile weiß man: Bei Gemeinderatswahlen ist der Name, sprich die Bekanntheit und Anerkennung einer Person, wichtig für den Wahlerfolg. Das Programm und die Partei sind oft nur zweitrangig.

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Wenn jede jeden kennt

Hermann Atz

„Die Gemeinderatswahl ist die einzige Wahl, bei der die Wähler wirklich wissen, wen sie wählen, und bei der sie ein klares Bild der Kandidaten haben“, sagt Hermann Atz. Bei Wahlen auf höherer Ebene, wie jener des Landtages oder des italienischen Parlaments, seien die Kandidatinnen und Kandidaten hingegen großteils unbekannte Leute, die man nur aus den Medien kennt. Deshalb stehen dort politische Positionen im Vordergrund. „In einer 2.000-Seelen-Gemeinde, wo jeder jeden kennt, bestimmen das Ansehen, genauso wie das Vertrauen, ob man ihn oder sie wählt“, sagt Atz. Besonders sichtbar werde das bei Bürgermeisterwahlen, wo zwei Kandidierende der selben Liste angehören und ähnliche Positionen vertreten.

Aus der Wahlforschung weiß man heute: Von der Bekanntheit und Beliebtheit profitieren insbesondere Männer. „Studien zum Wahlverhalten zeigen, dass Männer meist Männer wählen. Sie stellen sich zwar die Frage, ob jemand kompetent ist, diese geht aber immer einher mit der Überlegung: ,Kenne ich ihn und mag ich ihn?‘“, sagt Verena Wisthaler, Politikwissenschaftlerin bei Eurac Research. Frauen seien hingegen kritischer, insbesondere bei Frauen. „Sie fragen sich als Erstes: Kann die das?“ Insgesamt habe dieses Phänomen zur Folge, dass bei Frauen im Vergleich zu Männern mehr auf Expertise geschaut werde und weniger auf die Bekanntheit.

Dem Wahlsystem sei Dank

Verstärkt wird das Phänomen der personenzentrierten Wahlen laut Hermann Atz durch das in Südtirol gültige Wahlsystem. Die Wähler:innen können ihre bevorzugte Liste ankreuzen und bis zu vier Namen auf den Wahlzettel schreiben, sprich vier Vorzugsstimmen abgeben. „Diese sind ausschlaggebend, ob es jemand in den Gemeinderat schafft“, sagt Hermann Atz.

Bei unseren Nachbarn in Tirol hingegen steht die Reihenfolge der Kandidatinnen und Kandidaten mehr oder weniger schon fest. Dort entscheidet im Grunde die Partei bzw. die Liste schon vorher, wer als Erstes, Zweites oder Drittes in den Gemeinderat einzieht. „Vorzugsstimmen können zwar abgegeben werden, sie ändern aber nur in seltenen Fällen etwas an der Reihung“, erklärt Hermann Atz.

Bei Konflikten werden Themen wichtiger

Andreas Schatzer (Foto: Moling Photography)

Dass die Bekanntheit wichtig ist, beobachtet auch Andreas Schatzer. Er ist der Präsident des Gemeindenverbandes und seit 25 Jahren politisch aktiv. „Die Bekanntheit spielt sicher eine Rolle, vor allem in den kleinen Gemeinden“, sagt er und führt aus: „Ich glaube, dass eine Person, die zwar bekannt ist, aber keine Visionen und kein Programm hat, nicht besonders erfolgreich sein wird.“ Auch bekannte Kandidatinnen und Kandidaten stünden für ein Thema. Schatzer nennt ein Beispiel: „Der Obmann einer Musikkapelle könnte sich beispielsweise besonders für Kultur oder das Dorfleben interessieren und einsetzen.“

Die Bekanntheit der Kandidierenden sei nicht in allen Gemeinden gleich relevant, sagt Verena Wisthaler. „Wenn es in der Bevölkerung verschiedene Positionen zu einem Thema gibt, dann werden Programme und Inhalte wichtiger“, sagt Verena Wisthaler und nennt als Beispiel die Diskussion rund um den Bau von Speicherbecken in Kaltern. „Da spürt man im Wahlkampf: Es geht um Inhalte“, so Wisthaler.

Außerdem, sagt Hermann Atz, komme das Phänomen Persönlichkeitswahl manchmal auch bei Wahlen auf höheren politischen Ebenen vor. Ein Beispiel sei die Wahl des Gesundheitslandesrates Hubert Messner, der als Quereinsteiger mit den zweitmeisten Vorzugsstimmen (nach Landeshauptmann Arno Kompatscher) in den Landtag gewählt wurde: „Das war der Erfolg einer Persönlichkeit und nicht eines Programms.“

Ein Problem?

Was passiert aber, wenn Wähler:innen Persönlichkeiten wählen und weniger auf Programme und Expertise achten? Mehr Personenzentriertheit sei nicht per se gut oder schlecht, findet Verena Wisthaler. Man müsse sich jeden Fall einzeln anschauen, wenn jemand im Amt ist: „Wenn persönliche Interessen über jenen der Allgemeinheit stehen, oder wenn es zu Abhängigkeitsverhältnissen oder klientelistischen Beziehungen kommt, dann ist es ein Problem.“

Verena Wisthaler (Foto: Eurac Research)

Fehlende Expertise, weil möglicherweise jemand Bekanntes ohne ausreichende Erfahrung gewählt wird, befürchtet die Politikwissenschaftlerin indes nicht: „Kompetenz kann sich auch darin äußern, dass jemand fähig ist, mit unterschiedlichen Positionen umzugehen, Interessen zu managen oder das soziale Leben im Dorf zu gestalten. Dafür braucht man nicht unbedingt Expertise in einem bestimmten Feld.“ Diese Fähigkeiten würden oft gerade solche Menschen haben, die es beispielsweise in Vereinen gewohnt sind, verschiedene Meinungen in Einklang zu bringen, meint Wisthaler.

Ähnlich sieht das Hermann Atz: „Gemeindereferenten sollten schon etwas von ihrem Themenbereich verstehen. Entscheidend ist aber bei Politikern auf allen Ebenen, mit wem sie sich umgeben.

Einheitslisten: „Wie ein Blankoscheck“

In rund einem Fünftel der Gemeinden treten die Kandidierenden bei der Gemeinderatswahl auf einer Einheitsliste an. Dort ist die Beliebtheit der Einzelnen umso wichtiger. Gleichzeitig wissen die Wähler:innen oft nicht, was genau auf sie zukommt, sagt Hermann Atz. „Mit Einheitslisten wählen zu müssen, ist ein bisschen, wie einen Blankoscheck zu unterzeichnen.“ Manche der Leute auf der Liste vertreten verstärkt das Soziale, andere die Wirtschaft oder Umweltbelange. „Aber woher weiß ich als Wähler, wer sich bei Diskussionen durchsetzen wird?“

„Die Wähler sollten Visionen und Programme von den Kandidaten einfordern, um verstehen zu können, wer wofür steht, was die Personen erreichen wollen.“

Bei mehreren Listen können die Wähler:innen hingegen die einzelnen Positionen besser unterscheiden. „Mit mehreren Listen können Wähler rationalere Entscheidungen treffen, weil sie eher wissen, welche Linie sie mit ihrer Stimme unterstützen.“

Verena Wisthaler sagt, es sei schade, dass Programme und Inhalte bei Gemeinderatswahlen oft in den Hintergrund rücken. „Da sollte man die Wähler mehr in die Mangel nehmen. Sie sollten Visionen und Programme von den Kandidaten einfordern, um verstehen zu können, wer wofür steht, was die Personen erreichen wollen.“ Es reiche nicht, zu wissen, wer eine Person ist. Um eine gute Wahl treffen zu können, brauche es auch klare inhaltliche Vorstellungen.

Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Die ist mir sympathisch!

Schlagwörter: 12-25free

Ausgabe 12-25, Seite 5

Silvia Santandrea

Silvia Santandrea

Die Eppanerin hat in Innsbruck Politikwissenschaft und Sprachwissenschaft studiert und hat nach mehreren Praktika bei Südtiroler Printmedien sowie in Radio- und TV-Redaktionen ihren Weg in die SWZ gefunden. Herausforderungen liebt sie – im Job und auch am Berg.

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