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Florian Gartner: Lesen und lesen lassen

PORTRÄT – Florian „Flötschman“ Gartner liest rund 100 Bücher pro Jahr. Er betreibt sein eigenes Literaturfestival und nennt sich einen Lebenskünstler. Er hat ein Faible für Kunst, Design, Musik und Mode, schreibt einen Blog und hilft im Dormizil. Und ganz nebenbei ist er ein Hotelier, der ursprünglich Rechtsanwalt werden sollte.

Christian Pfeifer von Christian Pfeifer
22. Oktober 2024
in Südtirol
Lesezeit: 6 mins read

„Ich bin, wie ich bin.“ Florian Gartner in der hoteleigenen Bibliothek. Gartner besitzt um die 10.000 Bücher, ganz genau weiß er es selbst nicht (Foto: SWZ).

Dorf Tirol – Markante Retrobrille auf der Nase, hellblaues Foulard um den Hals, ein schwarz gestreifter weißer Pulli unter der dunklen Jeansjacke in Übergröße, zerrissene Jeans und dazu weiße Sneakers: Wie Florian Gartner die Treppe herunterkommt, stellt man sich keinen Hotelier vor. Schon eher einen Musiker. Oder einen Künstler. Oder vielleicht einen, der irgendetwas mit Mode macht. Wenn es stimmt, dass der erste Eindruck entscheidend ist, dann beherrscht ihn dieser Mann. Schon von Weitem grüßt sein offenes Lächeln, das signalisiert: „Ich mag Menschen.“ Dann ein fester Händedruck, bei dem die vier silbernen Ringe an den Fingern seiner rechten Hand deutlich spürbar werden. Nur der Daumen trägt keinen Ring.

Im Frühjahr hat Florian Gartner mit einem dreiwöchigen Literaturfestival in seinem Hotel Aufmerksamkeit erregt.

Florian Gartner, gebürtig aus Schlanders, führt gemeinsam mit Ehefrau Barbara und mittlerweile auch mit einer der beiden Töchter das Designhotel Gartner an der Hauptstraße in Dorf Tirol. 43 Zimmer und rund 40 Mitarbeitende hat es. Die andere Tochter studiert Medizin in Innsbruck. Im Frühjahr hat Florian Gartner mit einem dreiwöchigen Literaturfestival in seinem Hotel Aufmerksamkeit erregt. Daniel Kehlmann, Bodo Kirchhoff, Elias Hirschl und andere Größen der deutschen Literatur konnte er für das „Festi-Wahl“ gewinnen und den Erlös aus den Eintrittsgeldern – alle Festivaltermine waren ausgebucht – dem Bozner Nachtquartier Dormizil spenden, wo Gartner zu den 120 Freiwilligen gehört und regelmäßig Frühstücksdienste übernimmt.

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Ende April 2025 wird es eine Neuauflage von Festi-Wahl geben, Florian Gartner arbeitet bereits daran. Ein bisschen ist er immer noch überrascht, wie seine Idee eingeschlagen hat und auch welch mediales Interesse sie geweckt hat. „Ich bin einfach meinem Herzen gefolgt“, sagt Gartner, um dann hinzuzufügen: „Natürlich stand auch ein Marketinggedanke dahinter, alles andere wäre gelogen.“

Florian Gartner liest an die 100 Bücher pro Jahr

Dass ein Hotelier ein Literaturfestival veranstaltet, ist reichlich ungewöhnlich, passt aber zu Florian Gartner. Erstens weil er ein unkonventioneller Typ ist. Und zweitens, weil er Bücher liebt. Er besitze um die 10.000, schätzt er, ganz genau weiß er es selbst nicht. Rund 7.000 Bücher stehen bei ihm zu Hause im Regal, einige Tausend tun es im Hotel. Wenn Gartner von dieser Leidenschaft erzählt, ist sein Redeschwall noch weniger zu bändigen als ohnehin schon. „Ich träume gern und genieße es, in Parallelwelten zu versinken“, schwärmt er von der Zeit, die er mit den Büchern verbringt. Das sei schon als Kind so gewesen. Heute lese er an die 100 Bücher pro Jahr. Da kann es schon mal vorkommen, dass er ein Buch ein zweites Mal liest und erst irgendwann merkt, dass es bereits ein erstes Mal gegeben hat – „mit zunehmendem Alter passiert mir das öfter“, lacht er.

„Bücher schlagen eine Brücke zwischen Menschen. Sie lassen dich Menschen ganz anders kennenlernen.“

Florian Gartner kauft ständig Bücher, vorwiegend Romane, aber auch Sachbücher und Bildbände, zuweilen verschenkt er sie weiter, nachdem er sie gelesen hat. Besonders genießt er es, wenn an Regentagen seine Gäste in den Büchern der Hotelbibliothek schmökern. „Bücher schlagen eine Brücke zwischen Menschen. Sie regen Gespräche über Themen an, die sonst nie entstanden wären. Und sie lassen dich Menschen ganz anders kennenlernen“, philosophiert Gartner.

Ein Hotel als Villa Kunterbunt

Freilich wäre es fahrlässig, Florian Gartner auf sein Faible für Bücher zu reduzieren. Denn er ist ein Mann mit einer unbändigen Neugierde. Es gibt kaum ein Thema, zu dem er nicht gerne philosophieren und diskutieren würde. „Das Leben ist so vielfältig, überall gibt es etwas zu lernen“, sagt er. Er hat Spaß an Mode, wie sich an seinem Kleidungsstil unschwer erraten lässt. Er findet Reisen bereichernd. Er fährt leidenschaftlich Motorrad. Er lässt sich gerne von Musik treiben und gibt im Hotel regelmäßig den Deejay. Er interessiert sich für Design und Kunst, wie unzählige auffällige Objekte überall im Hotel zeigen, etwa der bunte Elefant gleich beim Eingang. „Als meine Frau und ich das Hotel Mitte der 1990er-Jahre übernommen haben, wollten wir daraus unsere Villa Kunterbunt machen, so wie sie uns gefällt und wie wir sind“, erinnert sich Florian Gartner und ist heute – nach mehreren Umbauten und Erweiterungen – sichtlich zufrieden: „Hier steckt viel Leidenschaft drin und eine Portion Verrücktheit.“

Der Vater, Rechtsanwalt in Schlanders, hatte für den Sohn ganz andere Pläne gehabt, nämlich die Nachfolge in seiner Kanzlei.

Der Entschluss, es mit dem Hotel zu probieren, fiel auf der Hochzeitsreise. „Wir haben dafür blankes Entsetzen geerntet“, lacht er. „Zwei Akademiker – meine Frau Betriebswirtin, ich Jurist – wollen ins Gastgewerbe, wie seltsam!“ Der Vater, Rechtsanwalt in Schlanders, hatte für den Sohn ganz andere Pläne gehabt, nämlich die Nachfolge in seiner Kanzlei. Deswegen hat Florian Gartner Rechtswissenschaften in Florenz und Innsbruck studiert und in Wien bei Gericht und im Gefängnis Praktika absolviert. „Aber interessiert hat mich die Juristerei nie. Mich interessieren Menschen“, so Gartner. Die „Fluchttür“, wie er sie selber nennt, fand er nach seiner Rückkehr nach Südtirol im Mediengeschäft: Anderthalb Jahre lang arbeitete er in der Dolomiten-Bezirksredaktion Vinschgau. Und dann kam besagte Hochzeitsreise. Nach anfänglichem Zögern überließ der Vater den Frischvermählten tatsächlich das renovierungsbedürftige Hotel Gartner, das er Anfang der 1960er-Jahre gebaut und lange Zeit verpachtet hatte.

Auf die Frage, ob er nie Angst gehabt habe, dass es schiefgehen könnte, antwortet Florian Gartner selbstbewusst: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“ Aber natürlich seien er und seine Frau nicht unbedarft an die Sache herangegangen. Das Rüstzeug hätten sie sich zuerst im Weißen Rössl in Kitzbühel geholt: „Wir haben dort gearbeitet, ich in der Küche und im Service, sie an der Rezeption und in den Zimmern – aber nicht für Geld, sondern für Wissen.“

Leidenschaft für Kunst und Design: die Eingangshalle des Hotels Gartner (Foto: Designhotel Gartner)
Das „guest nest“, ein Whirlpool im Geäst eines zum Kunstwerk umfunktionierten Baumes (Foto: Designhotel Gartner)

Kein Grund zur Klage

Wer mit Florian Gartner durch sein Hotel geht, muss damit rechnen, sich ihn mit den Gästen teilen zu müssen. „Wir haben Ihre Playlist angesehen, ich hätte eine Frage“, kommt eine ältere Dame auf ihn zu. „Angehört, hoffe ich. Angehört, nicht angesehen“, scherzt er und schon beginnt ein Gespräch über Musik.

Als er im Augenwinkel eine andere Frau erblickt, lupft er mit der linken Hand die Jeansjacke und tippt sich mit dem beringten rechten Zeigefinger auf die Brust. „Schauen Sie, Partnerlook“, stellt er fest, während zwei kleine Tattoos auf seinem Handrücken sichtbar werden. Und tatsächlich, die Frau trägt dasselbe Streifenmuster. Schon könnte sich ein Gespräch über Mode entwickeln.

„Ihr tut meine Leichtigkeit gut, mir ihre Vernunft.“

Man spürt, dass ihn die Gäste mögen. Und er die Gäste. Florian Gartner strahlt gute Laune aus, genauso übrigens wie seine Frau. „Wir ergänzen uns. Ihr tut meine Leichtigkeit gut, mir ihre Vernunft“, sagt er. Florian Gartner verkörpert in der Tat eine gewisse Leichtigkeit des Seins. „Mein Glück ist es, dass ich einen optimistischen Charakter mitbekommen habe. Natürlich habe auch ich jeden Tag Herausforderungen zu bewältigen. Aber ich finde es besser, mich ihnen zu stellen, als über sie zu klagen“, gibt Gartner Einblicke in sein Denken und fügt hinzu: „Welchen Grund sollte ich haben, traurig zu sein?“

Dieter Steger nannte ihn einst „Flötsch“

Florian Gartner, heuer 60 geworden, ist sich bewusst, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Freilich habe er sich diese Sonnenseite auch selbst gesucht, mit Fleiß, mit einer positiven Einstellung zu Schwierigkeiten, ein bisschen wohl mit dem Glück des Tüchtigen – und mit der Einstellung, sich selbst und das Leben nicht allzu ernst zu nehmen. Das scheint auch im persönlichen Internet-Blog durch, in dem Gartner regelmäßig Geschichten aus dem Alltag erzählt oder Mode-, Musik-, Buch- und Reisetipps gibt. „Flötschman“ heißt er dort und nennt sich „Journalist, Jurist, DJ, Gastgeber und Lebenskünstler“. Flötschman? Flötsch ist der Spitzname, den ihm der heutige SVP-Obmann und Parlamentarier Dieter Steger im Franziskanergymnasium verpasste. „Dieter war mein Banknachbar und der erste Mensch, mit dem ich in Bozen gesprochen habe“, schmunzelt Gartner.

„Vom Tourismus leben in Südtirol viele Menschen. Trotzdem tun wir gut daran, uns Gedanken zu machen, wohin wir mit diesem wunderbaren Land wollen.“

Neben all dem anderen schreibt Florian Gartner also auch noch. Kommt er manchmal auch zum Arbeiten? Der Hotelier wirft den Kopf in den Nacken und lacht laut auf. „Ich arbeite sogar viel und gern!“ Er nehme sich aber „im Normalfall“ einen Tag in der Woche frei und habe ein Glück: den Winter. Vier Monate lang ist das Hotel geschlossen. Und Dorf Tirol im Winterschlaf. Doch das darf in Gartners Augen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Overtourism-Diskussion, die in Südtirol heftig geführt wird, gerechtfertigt ist. „Es ist zu viel des Guten geworden. Vom Tourismus leben in Südtirol viele Menschen. Trotzdem tun wir gut daran, uns Gedanken zu machen, wohin wir mit diesem wunderbaren Land wollen“, grübelt Gartner.

„Warum wollen Sie ausgerechnet über mich schreiben?“, hatte er zu Beginn des Treffens gefragt. Nach zwei Stunden beantwortet sich die Frage von selbst. Und ein bisschen beantwortet sie Florian Gartner auch selbst, wenn er sagt: „Ich bin, wie ich bin.“ Er wolle sich nicht verbiegen. Und schon gar nicht verkleiden.

Schlagwörter: 41-24free

Ausgabe 41-24, Seite 6

Christian Pfeifer

Christian Pfeifer

Erste journalistische Gehversuche bei der Tageszeitung "Alto Adige", seit 1995 bei der SWZ, seit 2015 deren Chefredakteur. Moderiert nebenberuflich das Wirtschaftsmagazin Trend im Fernsehen von Rai Südtirol. Findet Ausgleich bei seiner Familie und beim Sport, vorwiegend bei Tennis, Ski und Langlauf.

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