Bozen – Gleich drei Mal haben Südtirols Wirtschaftsverbände und die Handelskammer diese und vergangene Woche zu Jahresauftaktveranstaltungen geladen (siehe Info), dazu kamen drei Neujahrstreffs der Handelskammer. Die Themen, die die jeweiligen Präsidenten – acht an der Zahl – dabei zur Sprache brachten, sind beileibe nicht neu. Und doch lässt sich daraus eine Agenda ableiten, an der sich die hiesigen Wirtschaftstreibenden und ihre Mitarbeiter, aber auch die Politik bei der Arbeit der nächsten Monate orientieren können. Obwohl Südtirol zu den wirtschaftlich blühendsten Regionen Europas zählt, gibt es genügend (zum Teil knifflige) Herausforderungen. Das sind sie:
Nachhaltigkeit: Das vergangene Jahr hat die Nachhaltigkeit endgültig zum allgegenwärtigen Topthema gemacht. Dabei warnt Federico Giudiceandrea, der Präsident des Unternehmerverbandes UVS, vor einer eindimensionalen Definition: Echte Nachhaltigkeit beschränke sich nicht auf Umwelt- und Klimaschutz, sondern fuße auf den drei gleichberechtigten Säulen Umwelt, Soziales und Wirtschaft. „Wenn wir uns nur auf eine dieser Säulen konzentrieren, stürzt das Konzept der Nachhaltigkeit ein“, so Giudiceandrea an diesem Montag beim Unternehmerempfang, und weiter: „Es ist ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander.“
Auch der Landeshaushalt müsse nachhaltig sein, fordert Giudiceandrea: ‚ „Wenn wir uns wirklich an den Bedürfnissen der Jungen orientieren wollen, ist es unerlässlich, dass wir die laufenden Spesen unter Kontrolle bringen.“ Die wirtschaftlich guten Jahre seien dafür zu nutzen. Der UVS-Präsident hat aber auch Lob für die Landespolitik in Sachen Nachhaltigkeit: Sie habe auf Wasserstoff schon zu einer Zeit gesetzt, als dies nur ganz wenige getan haben.
Für Manfred Pinzger, den Präsidenten des Hoteliers- und Gastwirteverbandes HGV, ist es notwendig, dass „wir uns mit der Bevölkerung über Nachhaltigkeitsstrategien austauschen“. Die Overtourism-Diskussion habe die Tourismustreibenden getroffen.
Martin Haller, der Präsident des Wirtschaftsverbandes Handwerk und Dienstleister, seinerseits plädiert für eine „nachhaltige Betriebsentwicklung“. Nachhaltiges Wachstum bedeute nicht zwingend Größerwerden, sondern genauso Besserwerden.
Unternehmensnachfolge: Die Handelskammer hat die Unternehmensnachfolge zum Jahresthema erhoben. 5.800 Unternehmen stehen laut Handelskammer vor dieser Herausforderung, weil demnächst eine große Zahl von Betriebsinhabern in den Ruhestand tritt. Die Nachfolge ist erfahrungsgemäß in vielen Fällen ein heikler Moment, für den Betrieb genauso wie für die Familie.
Fachkräftemangel: Standortattraktivität und Ausbildung
Fachkräfte- und Mitarbeitermangel: Er stellt für alle Branchen eine Herausforderung dar, weshalb Südtirol erstens „auf neue Mitbürgerinnen und Mitbürger angewiesen“ ist (Giudiceandrea) und zweitens an seiner Standortattraktivität arbeiten muss, zum Beispiel in Sachen leistbares Wohnen (und Mieten). Martin Haller sieht in der dualen Ausbildung ein probates Mittel gegen den Fachkräftemangel und denkt dabei nicht nur an die traditionelle Lehre, sondern auch an die berufsspezialisierende Lehre und die höhere Lehre. Federico Giudiceandrea plädiert einmal mehr für die Realisierung einer English School: „Wir sind überzeugt, dass dieses zusätzliche Angebot eine Chance für die Kinder unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus aller Welt bietet, aber auch eine Bereicherung für die Ausbildung der jungen Südtirolerinnen und Südtiroler.“
Digitalisierung: So inflationär der Begriff verwendet wird, so bedeutend ist er für die Unternehmen, und zwar ebenfalls in allen Branchen. „Zuallererst brauchen wir dafür eine zukunftsfähige Infrastruktur mit Glasfaserverbindungen einerseits, und – obwohl umstritten – mit 5G-Mobilfunkverbindungen andererseits“, sagt Philipp Moser, der Präsident des Handels- und Dienstleistungsverbandes hds.
Unverzichtbar ist aber auch die richtige geistige Haltung. Moser: „Alle stehen in der Verantwortung: die Betriebe genauso wie die Schule und die öffentliche Verwaltung. Apropos öffentliche Verwaltung: Seit 1993 existiert eine Bestimmung, wonach die öffentliche Verwaltung keine Daten abfragen darf, die sie schon hat. Die Realität sieht 27 Jahre später ganz anders aus.“ Peter Gliera, der Präsident der Vereinigung Südtiroler Freiberufler VSF, ist der Meinung, dass für eine gelungene Digitalisierung die Resistenzen bei den Mitarbeitern nicht außer Acht gelassen werden dürfen: Die meisten Menschen seien nun mal so gestrickt, dass sie Veränderung lieber vermeiden.
Bürokratieabbau und Rechtssicherheit: Die Digitalisierung sollte eigentlich helfen, Bürokratie abzubauen. Peter Gliera weiß als Wirtschaftsberater um die unzumutbare Vielzahl an Auflagen. Und er fordert mehr Rechtssicherheit. „Am 20. Dezember bekommen wir ein Gesetz (das italienische Haushaltsgesetz, Anm. d. Red.), das am 1. Jänner in Kraft tritt und bei dem 177 Durchführungsbestimmungen fehlen“, schüttelt Gliera den Kopf. Das Land mache es aber nicht immer besser als der Staat, verweist Gliera auf das Chaos rund um das Raumordnungsgesetz.
Innovation und Export = höhere Löhne
Innovation: Mit der Innovation verhält es sich wie mit der Digitalisierung. Der Begriff ist abgedroschen, der Auftrag aber unverändert aktuell. Federico Giudiceandrea hält es mit Charles Darwin: „Es überleben jene Arten, die sich am besten der Veränderung anpassen.“ Es sei die Aufgabe der Unternehmen, sich ständig anzupassen und sich ständig neu zu erfinden – und sie täten dies. Einen Seitenhieb auf den Technologiepark NOI kann sich Giudiceandrea nicht verkneifen: „Es sind besonders die Unternehmen, in denen Innovation entsteht und die mit ihren hochqualitativen Produkten Botschafter Südtirols in aller Welt sind: Institutionen wie der NOI Techpark werden nur dann großen Mehrwert für unser Land schaffen können, wenn sie die Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen suchen.“
Internationalisierung: Damit wären wir bei der Internationalisierung. Südtirols Exporte wachsen unaufhaltsam, und es muss weiterhin das Ziel sein, die Internationalisierung voranzutreiben, sagt Leo Tiefenthaler, Obmann des Südtiroler Bauernbundes SBB. Federico Giudiceandrea ist kategorisch: „Unternehmen, die auf Innovation setzen und sich neuen Märkten öffnen, sind jene, die am stärksten investieren, sichere und besser bezahlte Arbeitsplätze garantieren und so vor Ort den höchsten Mehrwert schaffen.“
Mobilität: Internationalisierung bedeutet aber Verkehr. Man löse Probleme nicht mit „unnützen Verboten“, spielt Giudiceandrea auf die Tiroler Verkehrspolitik an, die er einen „Handelskrieg“ nennt, weil das exportorientierte Tirol für die eigenen Unternehmen Ausnahmen macht und die anderen Unternehmen behindert. Wer Emissionen reduziere, müsse fahren dürfen, unabhängig vom Unternehmenssitz, meint Giudiceandrea.
Der Verkehr beschäftigt auch den Tourismus: Es gehe um Erreichbarkeit, und es gehe um die Lenkung von Besucherströmen an touristischen Attraktionspunkten, meint Pinzger.
Vieles läuft richtig in Südtirol
Bei allen Herausforderungen betonen die Wirtschaftspräsidenten aber auch: Vieles in Südtirol laufe gut. Hannes Mussak, der Präsident des Wirtschaftsrings swr-ea, spricht von einem „Goldstück im Herzen von Europa“ und davon, dass mit den richtigen Rahmenbedingungen dafür zu sorgen sei, dass es das bleibt. Handelskammerpräsident Michl Ebner nennt Südtirol eine „glückliche Insel“ in einem internationalen Umfeld, das 2019 nicht allzu rosig war. Federico Giudiceandrea verweist darauf, dass Südtirol zu den 20 wohlhabendsten Regionen Europas gehört. Und Leo Tiefenthaler unterstreicht, dass dies nicht zuletzt dem Fleiß der Südtiroler geschuldet sei. Er tut es mit einem Witz: Spricht ein Wanderer einen Bauern, der vor seinem schönen Bauernhof steht, an und sagt, dass es der Herrgott offensichtlich gut mit ihm gemeint habe. Darauf der Bauer: „Das stimmt schon, aber sie sollten sich mal ausmalen, wie es aussehen würde, wenn der Herrgott hier alleine wirtschaften würde.“
Info
Drei Termine in sechs Tagen
Der Unternehmerempfang des Unternehmerverbandes Südtirol UVS zum Jahresstart hat Tradition. Was Past-Präsident Christof Oberrauch 2005 ins Leben gerufen hat, ist genau 15 Jahre später einer der wichtigsten Wirtschaftstreffs Südtirols. An diesem Montag trafen sich rund 450 Wirtschaftstreibende und Entscheider bei Pichler Projects in Bozen Süd, wo der Unternehmerempfang 2006 schon einmal stattgefunden hatte. Vier Tage zuvor hatte die Handelskammer Bozen zu einer Medienkonferenz gerufen, um auf das soeben angebrochene Jahr vorauszuschauen. Und weitere zwei Tage zuvor hatte der Südtiroler Wirtschaftsring swr-ea erstmals zu einem Jahresauftakt-Medienfrühstück geladen, bei dem die Präsidenten aller angeschlossenen Wirtschaftsverbände sowie Handelskammerpräsident Michl Ebner gemeinsam die Herausforderungen erläuterten. Nicht immer in der Vergangenheit präsentierten sich Wirtschaftsring und Handelskammer so demonstrativ geschlossen. Es gab immer mal wieder Reibereien, weil beide Seiten den Vertretungsanspruch für Südtirols Wirtschaft erheben: einerseits die Handelskammer, die alle Unternehmen durch die Pflichteintragung im Handelsregister vereint, andererseits der Wirtschaftsring mit den Sektorenverbänden, die sich aufgrund der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft als eigentliche Sprachrohre der heimischen Wirtschaft betrachten.