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Ein populärer Wahnsinn

Gagen – Die Fußballclubs in Europa können Millionen für Spieler ausgeben, weil die öffentliche Hand ihnen indirekt hilft. Die Kosten der Politik sind tägliches Brot, jene des Fußballs ein Tabu.

Robert Weißensteiner von Robert Weißensteiner
27. Juli 2018
in Gesellschaft
Lesezeit: 3 mins read

Italien jubelt, weil Juventus Turin den Top-Fußballer Cristiano Ronaldo für über 100 Millionen Euro erworben hat und dem alternden Star (er ist 33) in den nächsten vier Jahren je 30 Millionen Euro netto überweisen will. Die an der Mailänder Börse kotierte Juventus Football Club AG, die zu knapp zwei Dritteln einer Investmentgesellschaft der Familie Agnelli (Chrysler-Fiat) gehört, lässt sich den Transfer also insgesamt über 300 Millionen Euro kosten. Unterm Strich, so die Club-Verantwortlichen, handle es sich um ein gutes Geschäft, da damit zu rechnen sei, dass die Mehreinnahmen aus Sponsorgeldern, TV-Rechten oder auch Merchandising-Artikeln über den Kosten liegen werden.

Der Ronaldo-Kauf hat nicht nur Juve-Fans begeistert, sondern fast die gesamte italienische Nation. Nur ein kleines Häuflein Fiat-Arbeiter konnten die Gewerkschaften zu einem harmlosen Protestauftritt bewegen. Dabei gäbe es Gründe genug, gegen den kollektiven Wahnsinn mobilzumachen, der da um sich greift – und zwar nicht nur in Italien. Viele europäische Clubs geben mehr aus, als sie einnehmen, und nur mitunter großzügige Plusvalenzen bezüglich des Wertes ihrer Kader halten die Bilanzen einigermaßen im Lot.

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Sogar die „Gazzetta dello Sport” stuft die finanzielle Lage der 20 Serie-A-Clubs als kritisch ein. Die Bilanzdaten des Geschäftsjahres 2016/2017 weisen Nettoschulden in Höhe von 2,1 Milliarden Euro aus (siehe Tabelle auf dieser Seite). Verbindlichkeiten bestehen insbesondere gegenüber Banken (1,3 Milliarden), aber auch gegenüber Lieferanten (400 Millionen) und dem Fiskus. Ausdrücklich genannt werden diesbezüglich Udinese, Chievo und Genoa. Allein der zuletzt genannte Club schuldet dem Staat 60 Millionen an MwSt und Irap. Die Steuerämter fassen die Fußballunternehmen mit Samthandschuhen an. Das vielleicht eklatanteste Beispiel ist Lazio, dem die Einnahmenagentur 2005 zugestanden hat, seine aufgelaufenen Steuerschulden in 23 Jahresraten zu begleichen.

Ähnlich besorgniserregend ist die Lage der Fußballvereine in der spanischen Primera Division. Deren Schuldenberg wird auf 3,5 Milliarden Euro beziffert. Und auch in Spanien sind die angeblich so reichen und attraktiven Clubs säumige Steuerzahler. Sie schulden dem Fiskus nach Berichten spanischer Zeitungen 750 Millionen Euro. Deren Stars haben in den letzten Jahren Unsummen verdient (Ronaldo etwa inklusive der Vermarktung der eigenen Person allein 2017 an die 100 Millionen), aber sie drücken sich vor dem Finanzamt, wo immer es geht (und nicht geht). Lionel Messi musste 2016 an die 12 Millionen an Steuern nachzahlen und wurde in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung zu 21 Monaten bedingter Haft verurteilt, und von Ronaldo heißt es, er habe Spanien auch deshalb verlassen, weil er in Italien für seine Auslandseinkünfte nur pauschal 100.000 Euro zahlen muss (siehe SWZ vom 20. Juli, Seite 9).

Der neue Ronaldo-Verein Juventus ist kein Krösus. Zwar hat der Club 2016/2017 einen Überschuss von rund 43 Millionen erzielt, aber seine Nettoschulden belaufen sich auf 524 Millionen. Beste Bedingungen für den Ronaldo-Deal?

Nun ist es zweifellos so, dass Neid in Zusammenhang mit dem, was Fußballer verdienen, fehl am Platz ist. Wir leben in einer freien Marktwirtschaft, und jeder kann seine Leistungen, sein Wissen, seine Fähigkeiten oder seine Produkte zum höchsten erzielbaren Preis verkaufen. Problematisch wird die Sache erst, wenn Steuergelder im Spiel sind. Zwar werden weder die Ablösen noch die Gehälter der Fußballer direkt mit Staatshilfen bezahlt, wohl aber eine Reihe von Leistungen rund um den Betrieb. Alle Liga-Spiele und die Begegnungen im Rahmen internationaler Wettbewerbe erfordern aus Sicherheitsgründen ein massives Polizeiaufgebot in den Stadien, vor den Stadien und sogar auf den Zugangsachsen wie etwa U-Bahnen oder Zügen. Bezahlen müssen das wir alle! Wenn überall die Veranstalter stärker zur Kasse gebeten würden, wären die Transfersummen und Gehälter wohl bescheidener. Dazu kommt, dass die großen Vereine eigene Stadien gebaut haben – in der Regel durch großzügige Unterstützung der öffentlichen Hand. Ein Beispiel: Die Allianz Arena München Stadion GmbH, eine 100%ige Tochter der FC Bayern München AG, hat das gleichnamige Stadion vor etwa 15 Jahren errichtet. Die Baukosten betrugen 286 Millionen Euro, die Gesamtkosten einschließlich Finanzierungskosten 340 Millionen. Allerdings hat die öffentliche Hand 210 Millionen Euro für die Arealerschließung und die Infrastruktur beigesteuert und außerdem das Grundstück von Gewerbegebiet in Sondernutzungsfläche umgewidmet, so dass sich dessen Wert von 84 auf 14 Millionen verminderte und der Erbbauzins (Entgelt für die Nutzung) deutlich niedriger ausfällt. Die Bayern haben ihr Stadion nicht nur mithilfe ihres Großsponsors und Miteigentümers Allianz, sondern auch mithilfe des Steuerzahlers vorzeitig abbezahlt – und damit Geld in der Portokasse, um teure Fußballer zu kaufen.

Aber Ronaldo wird ihnen schon die Lederhosen ausziehen – und dann haben auch wir etwas von unserem Geld!

Auf einen Blick: Bilanzen der Serie-A-Clubs und Ronaldo in Zahlen

Schlagwörter: 30-18freenomedia

Ausgabe 30-18, Seite 7

Robert Weißensteiner

Robert Weißensteiner

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