SWZ: Herr Grasso, Sie legen Tourismustreibenden eine dynamische Preispolitik ans Herz, die nach dem einfachen Marktprinzip von Angebot und Nachfrage funktioniert. Ist es Ihrer Meinung nach zu wenig, die Preise nach Hoch- und Nebensaison zu staffeln?
Franco Grasso: Zwei oder auch drei Preisstufen im Jahresverlauf sind zu wenig. Damit bleibt Potential für eine bessere Auslastung ungenutzt, denn in der Regel ist der Preis entweder zu hoch oder zu tief. Das „Revenue Management“ versucht, alle Zimmer eines Hotels zum bestmöglichen Preis zu belegen. Grob gesagt, werden die Zimmer im Falle einer frühzeitigen Buchung günstiger vergeben, dann steigt der Preis parallel zum knapper werdenden Zimmerangebot und – falls Zimmer frei bleiben – sinkt zuletzt in Form von Last-Minute-Angeboten wieder. Mit fixen Preis lassen sich Angebot und Nachfrage nicht zusammenbringen.
Je näher der Buchungstermin rückt, desto höher wird also der Preis.
Nicht zwingend, denn in der Nebensaison kann es durchaus vorkommen, dass der Preis unverändert niedrig bleibt, weil die Nachfrage fehlt. Für den 15. August wird der Preis aber ganz sicher steigen. Alles hängt von der Nachfrage ab.
Wann beginnt der ideale Zeitraum für Last-Minute-Angebote?
Das hängt ganz vom Zeitraum ab, der für Buchungsstornierungen gewährt wird. Wenn Last-Minute-Angebote gewährt werden, während noch Stornierungen möglich sind, dann könnte ein Gast theoretisch stornieren und das Last-Minute-Angebot in Anspruch nehmen. Das ergibt keinen Sinn. Es gibt Hotels, die bereits zwei Wochen vor der Ankunft keine Stornierung mehr zulassen, andere wiederum geben die Möglichkeit bis zwei oder drei Tage vor der Ankunft. Das muss jeder Hotelier für sich entscheiden. Ein längeres Stornierungsverbot gibt ein Mehr an Planungssicherheit, gleichzeitig schreckt es unter Umständen potentielle Gäste ab. Im Städtetourismus etwa sind kurzfristige Stornierungsmöglichkeiten das Um und Auf, in einem Hotel in Amalfi sicher nicht.
Funktioniert ein professionelles Revenue Management nur softwaregestützt oder kann ein Hoteliers auch ganz ohne Software eine Erlösoptimierung über eine dynamische Preispolitik erreichen?
Es existiert Software, welche das Revenue Management unterstützt. Aber weil sich die vielen Variablen einer sinnvollen Preisgestaltung nie und nimmer in mathematische Formeln umlegen lassen, ist der Mensch unerlässlich. Die Software kann helfen, sie setzt aber keine Preise fest.
Sehr viele Hotels sind dazu übergegangen, die Preise nach Zimmertyp zu differenzieren – höhere Preise für die schöneren und größeren Zimmer, niedrigere Preise für die anderen Zimmer. Ist auch das eine Art Revenue Management?
Nein. Wenn ein Hotel drei verschiedene Zimmertypen hat, dann trägt das Hotel genau genommen drei Hotels in sich. Das eine Hotel ist also eigentlich drei Hotels. Revenue Management heißt aber, den Preis dynamisch an die Nachfrage anzupassen. Es ist erwiesen, dass die Preissensibilität der Kunden sinkt, je näher der Buchungstermin rückt. Andererseits lässt sich ein Kunde von einer frühen Buchung überzeugen, wenn ihm ein interessantes Buchungsangebot unterkommt – ansonsten wartet er zu.
Birgt eine dynamische Preispolitik nicht die Gefahr, manchen Gast zu erzürnen? Es kann passieren, dass ein langjähriger Stammgast einen höheren Preis bezahlt als jemand, der erstmals gebucht hat, zufällig eben mit einer langen Vorlaufzeit – und wenn die Gäste dann durch Zufall in der Sauna ins Gespräch kommen, kommt der Stammgast drauf, dass er für den gleichen Service mehr bezahlt.
Tatsächlich ist das eines jener Argumente, das am häufigsten gegen eine dynamische Preispolitik ins Feld geführt wird. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Nichtproblem. Nicht das Zimmer am selben Tag mit demselben Service wird zu unterschiedlichen Preisen verkauft, sondern verschiedene Buchungszeitpunkte werden zu unterschiedlichen Preisen verkauft.
Das ist eine Wortklauberei.
Ich finde es durchaus vertretbar, wenn ein Gast, der früh bucht und damit ein gewisses Risiko eingeht, als Anerkennung eine bessere Behandlung erhält – unabhängig davon, ob es sich um einen Stammgast handelt oder nicht. Im Übrigen fördert eine solche Preispolitik frühe Buchungen, was im Interesse der Tourismustreibenden ist. Im Handel hat ja auch niemand etwas dagegen, dass ein und dasselbe Kleidungsstück zuerst zu einem Preis und im Ausverkauf zu einem anderen Preis verkauft wird. Die dynamische Preispolitik läuft völlig transparent ab, und es steht dem Gast frei, sich frühzeitig zu „verpflichten“ und dafür eventuell einen Preisvorteil zu nutzen, oder später zu buchen oder sogar ganz spät und „last minute“, mit dem Risiko, dass kein Zimmer mehr frei ist. Ich denke, der potentielle Gast sieht in einer dynamischen Preispolitik nicht eine Ungleichbehandlung, sondern vielmehr eine Opportunität.
Denken Sie?
Davon bin ich überzeugt. Nehmen wir ein wunderschönes Fünfsternehotel, das in der Nebensaison mehrere Zimmer frei hat. Hält es an seinen fixen Preisen fest, bleiben die Zimmer mit großer Wahrscheinlichkeit frei. Wendet es eine dynamische Preispolitik an, gibt es Gästen, die sonst möglicherweise nie in dieses Hotel gekommen wären, die Chance, das Tophaus kennenzulernen. Und gleichzeitig erzielt der Hotelier Einnahmen, die er sonst nicht hätte – bei gleichbleibenden Fixkosten.
Dient das Revenue Management Ihrer Meinung nach also auch als Waffe gegen die Krise, die den italienischen Tourismus – und teilweise auch den Südtiroler Tourismus – getroffen hat?
Im italienischen Tourismus wird von einer Auslastung von 40 Prozent gesprochen. Diese Zahl zeigt, dass es dem Tourismus in diesem Land nicht gelingt, seine Möglichkeiten auch nur annähernd auszuschöpfen.
Südtirols Tourismusverantwortliche warnen die Hoteliers davor, sich die Preise sozusagen kaputtzumachen – und gleichzeitig die Preise der gesamten Destination Südtirol. Ein Gast, der einmal einen günstigeren Preis bezahlt hat, wird nie mehr einen höheren Preis zahlen, sagen sie. Können Sie mit diesem Argument etwas anfangen?
Eine solche Argumentation ist völlig falsch und sehr gefährlich. Davon auszugehen, dass man einen gewissen Marktanteil hat und diesen bestmöglich auspressen muss, ist ein archaisches und falsches Konzept. Der internationale Tourismus wächst heuer um vier Prozent, das heißt, dass Südtirol und auch andere Destinationen ihren Marktanteil erhöhen können – vorausgesetzt, es wird zum richtigen Preis verkauft. Revenue Management bedeutet dabei nicht, dass die Preise reduziert werden.
Sondern?
Sondern dass die Preise in der Nebensaison möglicherweise gesenkt werden, weil die schlechte Nachfrage signalisiert, dass die derzeitigen Preise wahrscheinlich zu hoch angesetzt sind, und die Preise in der Hochsaison erhöht werden. In den von uns betreuten Häusern steigen die Preise in der Hochsaison dank Revenue Management. Es ist Fakt, dass heute die Hochsaison nicht bestmöglich verkauft wird. Schauen Sie einmal ins Internet, und es wird Ihnen auffallen, dass relativ wenige Hotels aktiv die Zeit rund um Neujahr anpreisen. Warum? Weil sie bereits ausgebucht sind. Das Problem in Südtirol – so wie in ganz Italien – ist, dass die Nebensaison schlecht und zu teuer verkauft wird, während die Hochsaison zu billig verkauft wird. Das zeigt die Tatsache, dass die Häuser in der Hochsaison vielfach mit großer Vorlaufzeit ausgebucht sind.
Fazit: Südtirols Tourismustreibende sind in ihrer Preispolitik zu konservativ.
Schauen Sie, laut World Economic Forum ist Italien in Sachen Preispoltik auf Rang 134 von 140 zu finden. Wenn Sie die europäischen Statistiken über die Nutzung des Online-Kanals für Buchungszwecke anschauen, ist Italien das Schlusslicht, obwohl Italien so viel Sehenswertes zu bieten hat.
Weisen Ihrer Meinung nach die Online-Buchungsportale mit ihrer dynamischen Preispolitik den Weg?
Die Tatsache, dass der italienische Tourismus bei der Nutzung dieser Portale zögert, zeigt das Problem in seinem ganzen Ausmaß. Italiens Tourismus versäumt enorme Chancen – und wundert sich derweil über eine Auslastung von nur 40 Prozent.
Info
Franco Grasso
Franco Grasso ist ein auf Revenue Management (Erlösmanagement) spezialisierter Berater und Buchautor. Mit seinem gleichnamigen Beratungsunternehmen ist er international tätig. Unlängst referierte er in Riva del Garda beim ersten „Lido Palace Forum“.