Sterzing – Mitte April dominieren zartes Grün und erdiges Braun an den Hängen und im Gewächshaus am Dorfrand von Wiesen im Pfitscher Tal. Dort stehen Gabi und Sepp Holzer mit Bernhard Auckenthaler vor einem Stapel Anzuchtplatten. Heute pikieren sie Kornblumen – die Sprösslinge werden getrennt und einzeln in die mit Erde befüllten Pflanzenlöcher gesteckt. Auf den mächtigen Gipfeln ringsum liegt frischer Schnee. Es wird noch einige Wochen dauern, bis die Arbeit von Gabi und Sepp Holzer in ihrer vollen bunten Pracht zu sehen ist. „Im Juni blühen die ersten Hecken“, sagt Gabi Holzer, „im Juli dann alles auf dem Feld.“ Und das ist eine Menge. Etwa 70 verschiedene Kräuter wachsen im Grenzgebiet zu Österreich in den Kräutergärten Wipptal. Dazu gehört neben dem Steirerhof der Holzers in Pfitsch auch der Botenhof von Bernhard Auckenthaler im Pflerscher Tal. Die blühende Partnerschaft der drei dauert seit nunmehr zwanzig Jahren an. Trotz Herausforderungen und Rückschlägen. „Wir teilen dieselbe Grundeinstellung und das unterschiedliche Wissen, das wir mitbringen, ergibt das Dreifache an Stärken“, bringt das Trio das Erfolgsrezept seiner Kräutergärten auf den Punkt.
Zusammen Neues wagen
Am Anfang standen eine Mitarbeiterin im Bereich Berglandwirtschaft am Versuchszentrum Laimburg, ein gelernter Kunstschmied und ein Gärtner. Bei einer Party sitzen das Ehepaar Gabi und Sepp Holzer zufällig am selben Tisch wie Bernhard Auckenthaler. Man kennt sich lose, kommt ins Gespräch – und drauf, dass man unabhängig voneinander dieselbe Idee hat: mit dem Kräuteranbau beginnen. „Die Felder hinter unserem Hof waren ideal dafür – klein, windgeschützt, sonnenorientiert, mit einer gewissen Neigung und steinigem Boden“, sagt Sepp Holzer. Und weil er „für Neues immer zu haben“ sei, wollte er mit seiner Frau genau das wagen. Bernhard Auckenthaler hatte den Spaß am Gärtnern großteils verloren – „da ist man mehr im Einkauf und Verkauf von Pflanzen tätig, als selbst zu produzieren“ – und ein zuvor absolviertes Praktikum auf Kräuterhöfen in der Schweiz führte ihn zur Überlegung, den elterlichen Hof auf Kräuteranbau umzustellen.
Sich zusammenzutun, sei naheliegend gewesen, sagen die drei. Wegen der verschiedenen Kompetenzen, dem gleichen Grundgedanken – „Qualität als oberstes Gebot“ –, der Lust auf Neues. Und nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Böden und Lagen der beiden Höfe. „In Wiesen können mediterrane Kräuter wie Basilikum oder Zitronenmelisse auch im Freien gedeihen, während Pflersch mehr Niederschlag hat und beste Bedingungen für robuste Gewächse wie Minze und Wildkräuter bietet“, erklärt Auckenthaler. 2003 wird die landwirtschaftliche Gesellschaft mit dem Namen „Kräutergärten Wipptal“ gegründet.
Genügsamkeit vor Wachstum
Im von der Milchwirtschaft dominierten Wipptal wird das bislang einmalige Projekt zu Beginn gern belächelt. Auch der Steirer- und der Botenhof waren vor der Umstellung auf Kräuter kleine Milchbetriebe mit weniger als einer Handvoll Kühe. „Nur Milch rentiert sich“, bekommen die drei oft zu hören. Auch beim Bauernbund wird die Nase gerümpft. Gute Beratung für den Sektor gibt es damals kaum. Es heißt: „Müssen es unbedingt Kräuter sein, könnt ihr euch nicht für Erd- oder Himbeeren entscheiden?“ Diese Einstellungen haben sich, genauso wie das Beratungsangebot, inzwischen völlig geändert. „Nischenprodukte wie Kräuter, Gewürze und Blüten sind mittlerweile sehr gefragt“, meint Sepp Holzer. Von dem Boom (ver-)leiten lassen will man sich bei den Kräutergärten aber bis heute nicht.
Die etwa ein Hektar große Fläche, die die Holzers und Auckenthaler in Pfitsch und Pflersch insgesamt bewirtschaften, wirft im Jahr – getrocknet – rund 350 Kilogramm an Ernte ab. Die Blüten, Blätter, Stängel und Früchte werden zu Tees, Gewürzmischungen, Kräutersalz, Sirup, Schnaps und Naturkosmetik verarbeitet. Den allergrößten Teil der Arbeit auf dem Feld und danach – säen, setzen, jäten, pflücken, trocknen, abfüllen – verrichten die Holzers und Auckenthaler selbst. In Handarbeit. Nur die Kosmetikartikel müssen in einem spezialisierten Labor hergestellt werden. „Die ersten sechs, sieben Jahre sind wir noch gewachsen und haben das Sortiment erweitert, um an den Punkt zu gelangen, an dem wir wirtschaftlich arbeiten und zufrieden sein können“, berichtet das Trio. Seither aber wurde weder Fläche noch Erntemenge nach oben geschraubt. „Unsere Überzeugung ist, dass wir nicht groß werden, nicht in große Handelsbetriebe einsteigen, sondern eine kleine Schiene fahren wollen. Denn wir wollen beim gesamten Prozess dabei sein können, schon allein, um unser oberstes Gebot einzuhalten: die Qualität. Und irgendwann muss man auch mal zufrieden sein.“
Nahe am Produkt
Um die Erzeugnisse und den Prozess dahinter erklären und erzählen zu können, setzen die Köpfe hinter den Kräutergärten Wipptal stark auf Direktvermarktung. Die Produkte gibt es ab Hof, auf Bauern- und Weihnachtsmärkten, in ausgewählten kleinen Geschäften, Restaurants und einzelnen Hotels. An Stammkunden verschickt man Bestellungen auch per Post.
Mitten in der Corona-Pandemie mieten die Holzers und Auckenthaler 2020 die historische, leerstehende Apotheke im Stadtzentrum von Sterzing an. Weil Lebensmittel und Pflegeprodukte unter die Güter des täglichen Gebrauchs fallen, darf der Laden während der Lockdowns immer geöffnet bleiben. Und das Geschäft floriert nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen weiter. Auch dank der Zusammenarbeit mit den lokalen Tourismusvereinen, die Feriengäste zu Führungen an den Steirer- und Botenhof schicken und für die Kräutergärten werben. „Der Tourismus ist ein wichtiger Faktor“, meint Auckenthaler. „Aber genauso wichtig ist für uns, dass Einheimische gern bei uns einkaufen. Was der Einheimische schätzt, schätzt auch der Gast.“ „Im engen Kontakt mit den Menschen stehen ist etwas vom Schönsten“, fügt Gabi Holzer hinzu, „da hören wir alles: das Schlechte, aber vor allem viel Gutes.“
Boden als Kapital, Partner als Sicherheit
Die Arbeit mit den Kräutern sei eine, bei der man nie ausgelernt habe, sagen die drei, während das Pikieren zügig vorangeht. Etwas sei ihm im Laufe der Zeit bewusst geworden, verrät Auckenthaler: „Ein guter Boden ist das größte Kapital.“ Entsprechend kümmert man sich an den beiden Höfen darum, die Böden der Felder mit Fruchtfolge, Gründüngung, Kompostierung und schonender maschineller Bearbeitung gesund zu halten. Große Probleme mit Schädlingen gibt es auf den Bioland-zertifizierten Flächen kaum. Und wenn, dann „wird gezielt gearbeitet, um Schäden zu minimieren; etwa, indem wir keine kleinen, sondern bereits gestärkte Pflanzen setzen und sie früh genug schneiden, damit sich Insekten wie der Erdfloh nicht ausbreiten“, erklärt Gabi Holzer. Sie erinnert sich: Einmal habe die Essigfliege beinahe für einen Totalausfall bei den Beeren gesorgt. „Aber wir haben nichts gegen die Fliege getan – natürliche Gegenspieler haben dafür gesorgt, dass sie inzwischen beinahe komplett wieder verschwunden ist.“
Beinahe vollständig verschwunden wäre 2021 auch Bernhard Auckenthalers Lebensgrundlage. Im August vor zwei Jahren ging hinter dem Botenhof eine verheerende Mure ab, die seine Betriebsgebäude und Felder unter Schlamm- und Wassermassen begräbt. Von einem Tag auf den anderen stand Auckenthaler vor dem existenziellen Aus. Weitum herrschten große Betroffenheit und Hilfsbereitschaft. Dass er die – auch mentale – Stärke fand, weiterzumachen und die zerstörten Gebäude und Felder wieder herzurichten, hat er seinen Partnern in Pfitsch zu verdanken. „Ohne Gabi und Sepp hätte ich aufgehört. Sie waren auch abseits des Wirtschaftlichen eine wichtige Stütze.“ Seine Ernte war zwar zerstört, doch am Steirerhof konnte der Betrieb weitergehen. „Unsere Vielfalt und breit aufgestellt zu sein, ist bei jeglichen Ausfällen das Erfolgsprinzip der Partnerschaft“, sagt Sepp Holzer. So überbrücken die Kräutergärten Wipptal die fordernden Zeiten. Ende Juli soll am Botenhof die Wiedereröffnung gefeiert werden.
Risiko Natur
Obwohl die Naturgewalten vorerst gebannt scheinen – aufwändige Verbauungs- und Sicherungsarbeiten sollen den Botenhof und das Pflerscher Tal künftig besser vor Murenabgängen schützen –, bleibt es die Natur, die Gabi und Sepp Holzer und Bernhard Auckenthaler mit Blick nach vorne die größten Sorgen bereitet. „Das Wasser“, antworten die drei ohne zu zögern auf die Frage nach der größten Herausforderung. Die Angst ist groß, dass es knapp wird. Schwankender Niederschlag hat die Ernte immer schon beeinflusst. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation zugespitzt: Mit dem Klimawandel steigt das Risiko für Wetterextreme – Starkregen birgt genauso Gefahren wie anhaltende Trockenheit. „Alles andere haben wir gelernt zu handhaben – wenn eine Pflanze ausfällt, gibt es eine andere, auf die wir zurückgreifen können–, aber die Natur können wir nicht händeln, wir sind vollkommen von ihr abhängig“, sagt Gabi Holzer.
20 Jahre gemeinsames Arbeiten haben zusammengeschweißt. Konflikte gibt es immer mal wieder. „Zu sagen, dass immer alles passt, wäre nicht glaubwürdig“, betont Gabi Holzer. Aber man begegne sich stets mit Respekt und rede alles aus. Kompliziert bleibe die Zusammenarbeit zwischen den beiden Höfen nur auf dem Papier. „Bürokratisch gesehen ist das wirklich ein Handicap“, sagt Sepp Holzer. Doch die drei wollen auf ihrem Weg bleiben, den sie mit derselben Überzeugung wie zu Beginn gehen. Weit voraus planen wollen sie hingegen nicht. „Das ist auch nicht möglich und nötig in einem so kleinen Betrieb, zumal größer zu werden für uns keine Logik hat“, sagt Bernhard Auckenthaler. Wachsen sollen am Steirer- und Botenhof eben allein die Kräuter.
Lisa Maria Gasser
lm.gasser@hotmail.com
DIE AUTORIN ist freiberufliche Journalistin.