Ich bin noch nicht sehr alt, aber ich habe in meinem Leben schon mehrere angekündigte Weltuntergangstage erlebt – und zusammen mit der Welt und ihren Bewohnern überlebt. In einem Nachbardorf haben einst einige Familien im Frühling ihren Garten nicht mehr bepflanzt, weil sie für den Frühsommer das Ende der Welt erwarteten, und Jahre davor war in meiner Familie getuschelt worden, dass gute Bekannte ein Wunderwasser erworben hatten, in das man im Augenblick des Untergangs seinen Kopf stecken müsse, um zu überleben. Obwohl bisher alle regionalen und weltumspannenden Vorhersagen unzutreffend waren, finden Menschen, die einen Weltuntergang prophezeien und dafür ein fixes Datum nennen, oft und gern Gehör, besonders dann, wenn es ihnen gelingt, einen Grund dafür zu nennen, der irgendwie plausibel scheint.
Derzeit wird diesbezüglich dem Kalender der alten Maya eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil. Am 21. Dezember 2012 endet diesem zufolge ein Zeitabschnitt (das sogenannte 13. Baktun), und weil gleichzeitig die Sonne zur Wintersonnenwende ins Zentrum der Milchstraße zieht, was sie einmal alle 25.800 Jahre tut, wird vermutet, dass an diesem Tag die Pole der Erde verschoben werden, dass der Erdmantel aufbricht und Lava, Gase, Erdbeben und Tsunamis alles Leben zerstören. Kurz: der 21. Dezember 2012 ist der Tag des „Jüngsten Gerichts“. Wir alle haben demnach noch 133 Tage zu leben.
Kürzlich war dies Thema einer Radiosendung, und eine junge Frau (zumindest klang ihre Stimme so!) kündigte mit viel Humor an, sie werde in den nächsten Wochen ihren ganzen Jahresurlaub aufbrauchen, denn die Vorstellung, dass die Welt untergeht und sie noch ein Ferienguthaben hat, sei ihr unerträglich. Zuerst noch genießen, was immer möglich ist, Geld ausgeben (man kann ja keines ins Jenseits mitnehmen, heißt es immer), noch Spaß haben – und sich dann in das fügen, was unabänderlich ist.
Als eher nüchtern denkender Mensch mit nur schwachen esoterischen Neigungen und mystischen Seelenzügen habe ich das Gerede über den Weltuntergang immer als Unfug abgetan, als etwas, das nicht ernst genommen werden sollte. Die junge Frau im Radio und die gegenwärtige Schulden- und Wirtschaftskrise, die ja auch eine Vertrauenskrise ist, haben aber dazu geführt, dass ich heute das Ganze mit anderen Augen sehe und ich den Schalk rauslasse, der mir im Nacken sitzt. Nicht, dass ich jetzt an den Weltuntergang glauben würde, nein. Aber ich denke, dass es durchaus nützlich wäre, wenn möglichst viele daran glauben würden! Denn dann wäre endlich Schluss mit dem Sparen. Wir würden öfter fein essen gehen, einkaufen, was das Konto hält, ein schickes Auto leasen, kurz: konsumieren wie die Weltmeister. So wie die junge Frau noch ihre letzten Ferien genießen möchte, würden alle, die Geld haben (und das sind doch recht viele), dieses ausgeben. Manche Untergangsgläubigen würden vielleicht sogar ihr Haus verkaufen, ihren Betrieb oder ihre Aktien, und die (wenigen) Ungläubigen würden so manches Schnäppchen machen. Die Nachfrage wäre gewaltig, die Wirtschaft würde wachsen, es würde verbraucht und produziert wie selten zuvor, und die Steuereinnahmen des Staates stiegen an. Kurz: Wir bräuchten nur den Blödsinn vom Weltuntergang glauben – und schon hätten wir zumindest wirtschaftlich den Untergang abgewehrt.
Aber nicht nur das. Möglicherweise würde die Annahme, dass das Jüngste Gericht nahe ist, auch noch eine zweite positive Entwicklung einleiten. Die Politiker, die die Staatsschuldenkrise zu verantworten haben, würden Gewissenserforschung betreiben und versuchen gutzumachen, was noch gutzumachen ist, um nicht in der Hölle schmoren zu müssen; sie würden wohl die letzte Chance nutzen, sich im Fegefeuer läutern zu können. Also würden sie endlich aufräumen mit Verschwendung, Freunderlwirtschaft und Korruption, die Süditaliener müssten ihre Gebäudekataster in Ordnung bringen und IMU zahlen, und die Südtiroler wären christlich-solidarisch wie das auserwählte Volk. Die Superreichen, die niemals in der Lage wären, in wenigen Monaten auch nur einen Bruchteil ihres Vermögens auszugeben, wären vielleicht sogar bereit, dem Staat – also der Allgemeinheit – Geld zum Nullzinssatz zu leihen (wie es derzeit Deutschland tun kann).
Mehr Einnahmen, weniger Ausgaben, eine große Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, eine florierende Wirtschaft, das alles ist kein Traum, sondern ganz einfach eine Frage des Vertrauens, des Vertrauens zum Beispiel darauf, dass die Welt am 21. Dezember untergeht, was immer das auch bedeuten mag und in welcher Form auch immer das geschieht. Also raus mit dem Geld, frisch gekauft ist halb gewonnen, der Glaube versetzt Berge, der Aberglaube lässt das Bruttoinlandsprodukt explodieren.
Und wenn die Welt dann doch nicht untergeht? Dann feiern wir zu Weihnachten unsere (ökonomische) Wiedergeburt.