SWZ: Herr Coletti, wann und warum begannen Sie damit, Videos auf Youtube zu veröffentlichen?
Paolo Coletti: Ich begann 2013 damit, meine Vorlesungen zu Hause aufzuzeichnen und auf Youtube hochzuladen, damit die Studenten sie in Ruhe anschauen konnten, falls sie etwas nicht gleich verstanden. 2020 veröffentlichte ich dann erste Videos für die Allgemeinheit, da mich Studenten, die wussten, dass ich mich mit Finanzen beschäftige, danach fragten. Nachdem die Videos gut ankamen, legte ich den Schwerpunkt meines Youtube-Kanals darauf und verlegte die Videos der Vorlesungen auf einen anderen Kanal.
Wie kam es zum großen Erfolg mit mittlerweile 110.000 Abonnenten?
Es nahm 2023 so richtig Fahrt auf, als mich andere Youtuber zu Interviews einluden und Zeitungsartikel über mich erschienen. Mir kommt meine knapp 30-jährige didaktische Erfahrung zugute, indem ich komplexe Themen ruhig, einfach und mit vielen konkreten Beispielen vermittle. Besondere Aufmerksamkeit haben meine quantitativen Live-Analysen erregt: Ich schreibe während der Videoaufnahme Programme für Finanzdatenanalysen, was vor allem bei technisch Versierten gut ankommt. Weiters beschränke ich mich nicht darauf, Daten zu nennen, sondern erkläre diese auch. Das gefällt den Leuten.
Wie reagieren die Studierenden, wenn sie in der Aula einen Youtube-Star vor sich haben?
(lacht) Sie sind eher zurückhaltend und sprechen mich tatsächlich nie darauf an. Es kennen mich aber alle und die Zahl der Studenten in meinen Vorlesungen steigt aufgrund meiner Bekanntheit kontinuierlich an.
In Italien ist die finanzielle Bildung der Menschen laut Studien sehr mangelhaft. Wie erklären Sie sich das?
Das hat mehrere Gründe. Erstens waren es die Italiener immer gewohnt, Staatsanleihen zu kaufen. Dieses Verhalten geben Eltern ihren Kindern mit, und es bot angesichts der hohen Verzinsung lange die Möglichkeit, ohne Finanzbildung eine gute Rendite zu erzielen. Inzwischen ist das anders: Staatsanleihen allein sind keine gute Finanzentscheidung. Zweitens ist die Lust nicht groß, technische Dinge zu lernen, die sich zudem mit der Zeit verändern. Und drittens wird der Umgang mit Geld in den Schulen nicht gelehrt. Es gibt zum Glück Pläne, dies langsam zu ändern, dafür benötigt es aber auch eine entsprechende Ausbildung der Lehrer.
Mit welchem Thema befassen Sie sich in Ihren Videos am liebsten?
Ich wurde für meine Analysen der Renditen von Obligationen bekannt. Als die sehr technischen Staatsanleihen „BTP Italia“ auf den Markt kamen, schätzten die Menschen meine Erklärungen zur komplexen Berechnung ihrer Verzinsung. Persönlich gefällt mir der technologische Aspekt hinter den Kryptowährungen sehr gut, mehr als der finanzielle. Leider interessiert es die Menschen aber hauptsächlich, wie man mit Kryptowährungen Geld verdienen kann.
Und welches Finanzprodukt ist Ihr liebstes?
Aktien-ETFs. Ich bin damit geografisch breit diversifiziert, kaufe aber keinen weltweiten ETF, sondern einen für jedes Land – auch von Ländern wie Indonesien, Mexiko oder Südafrika. ETFs waren eine wichtige Neuerung im Finanzsektor, sind in Italien aber erst in den letzten zehn Jahren bekannt geworden. Sie ermöglichen es, zu geringen Kosten breit diversifiziert zu investieren, anstatt Einzelaktien und teure Investmentfonds zu kaufen.
Erhebungen zeigen, dass ETFs in Italien noch immer kaum bekannt sind, während sie im deutschen Sprachraum längst ein Standardprodukt sind.
Die Italiener wenden sich für Investments meist an die Banken – und diese empfehlen selten ETFs, weil sie daran wenig verdienen. Die Finanzinstitute bieten lieber Investmentfonds an, wofür sie teils hohe Provisionen erhalten.
Empfehlen Sie Investmentneulingen ETFs weiter?
Ein Neuling muss sich zuerst die Frage stellen, auf welche Geldsumme er zehn Jahre lang nicht angewiesen ist. Dieses Geld kann er ruhig in Aktien-ETFs anlegen. Den Rest aber nicht, denn ich kenne viele, die Geld verloren, weil sie das Geld nach kurzer Zeit wieder brauchten und die ETFs mit Verlust verkaufen mussten. Andere verkaufen sie aus Angst, weil der Kurs mal kurzfristig fällt. Wenn jemand Aktien-ETFs kauft, sollte er das mit dem Vorsatz tun, sie zehn Jahre lang nicht anzutasten.
Was halten Sie von Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel, sprich als längerfristige Sparmöglichkeit?
Kryptowährungen wie Bitcoin interessieren mich sehr, aber vielmehr der technologische und auch der soziale Aspekt. Ich bin einer, der mit Bitcoin bezahlt, wenn es die Möglichkeit dazu gibt. Momentan geht es im Kryptobereich aber fast nur um den Preis und um Trading. Als sicheres Wertaufbewahrungsmittel wie einen Goldbarren sehe ich Bitcoin nicht, denn vielleicht findet jemand irgendwann doch einen technischen Fehler, sodass der Preis auf null fällt. Bitcoin ist für mich jedoch eine gute Investitionsmöglichkeit auf längere Sicht, die zwar mit viel Risiko verbunden ist, aber bislang eine sehr gute Performance hingelegt hat. Höhere Geldreserven würde ich nicht in Kryptowährungen halten, auch nicht in Bitcoin.
Auf den Finanzmärkten geht es seit langer Zeit praktisch nur nach oben. Der letzte richtige Crash, der mehr als ein paar Monate dauerte, ist rund 15 Jahre her. Befinden wir uns in einer Blase, die bald platzen könnte?
Ich lese und höre dauernd von Leuten, die investieren wollen, es aber nicht tun, weil sie glauben, die Märkte seien auf einem Höhepunkt. Das höre ich aber schon seit zwei bis drei Jahren. Diese Leute haben sich derweil Gewinne entgehen lassen. Ich habe auf der Grundlage von Einzelaktien analysiert, ob es sich auszahlt zu warten, bis sie an Wert verlieren, um dann zu investieren. Das Ergebnis: Die entgangenen Gewinne aufgrund der Wertsteigerungen sind viel höher als die möglichen Gewinne, die man nach dem Abwarten eines Crashs erzielen kann. Ich erinnere an den Covid-Ausbruch 2020, als es hieß, die Märkte seien auf einem Höhepunkt. Tatsächlich stiegen sie danach aber noch stärker an als vorher. Es wird früher oder später einen Crash geben, es ist aber nie vorhersehbar, wann das passieren wird.
Wie sollte man sich also verhalten?
Wer Angst hat, viel Geld auf einmal zu investieren, sollte einen Sparplan anlegen, mit dem er monatlich einen bestimmten fixen Betrag anlegt. Im Falle eines Crashs ist der Verlust somit überschaubar und im Zeitverlauf hat man zu einem bestimmten Durchschnittswert gekauft. Ein Sparplan bringt zwar etwas weniger Rendite, birgt aber gleichzeitig weniger Risiko. Eine meiner quantitativen Analysen zeigt: Steht einem viel Geld auf einmal zur Verfügung, ist es besser, gleich das ganze Geld zu investieren. Man geht dabei aber auch das Risiko ein, dass die Märkte genau im Moment des Einstiegs crashen.
Interview: Heinrich Schwarz
Info
Zur Person
Paolo Coletti wuchs in Bozen auf und wohnt heute in Trient. Der studierte Mathematiker unterrichtet seit 2005 an der Freien Universität Bozen. Seine Schwerpunkte sind Informatik, Datenanalyse und Finanzmathematik. Aktuell hält er an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Lehrveranstaltungen für „Big Data und Blockchain“ sowie „Financial Trading and Algorithms“.