Pfalzen – „Wir wollten etwas herstellen, das die Schmerzen von Frauen während ihrer Tage lindert“, erklärt Franziska Rössler den Beginn ihres Start-ups Mestrualia. Was genau es sein sollte, habe sie zum Zeitpunkt der Gründung, im Jahr 2021, selbst nicht gewusst. Nur, dass es das Leben für Frauen erleichtern sollte.
Heute, vier Jahre, viele klinische Tests und mit einem Mestrualia-Produkt auf dem Markt später, ist der Weg, den Franziska Rössler vor Augen hat, klarer: Unbeschwertere Tage will sie Frauen immer noch bescheren, dazu kommt heute aber noch viel Engagement für das Thema Frau-Sein, genauer: Endometriose, Menstruation und der Zyklus sowie die weibliche Sexualität. An ihrem Einsatz für die Sache will sie nicht verdienen.
Eine von vier Millionen Italienerinnen
Bevor Franziska Rössler, 25, uns an diesem Vormittag mehr über ihr Start-up erzählt, spricht sie über ihre persönliche Erfahrung. „Das muss ich, damit man versteht, warum ich das alles mache“, sagt sie. Sie sei lange Zeit eine gute Läuferin gewesen, auch an Marathons habe sie teilgenommen. Ab dem Alter von 16 oder 17 Jahren sei zu ihrem Training eine unerwartete Herausforderung dazugekommen: extrem starke Schmerzen in den Tagen vor ihrer Menstruation. Ihre Familie – sie stammt aus der Bozner Apothekerfamilie Rössler – habe nicht so recht gewusst, was zu tun sei. Ihr Gynäkologe habe sie hingegen nicht ernst genommen. „Irgendwann bin ich gar nicht mehr hin.“ Frauen in ihrem Umfeld, spätere Arbeitskolleginnen zum Beispiel, hätten ihre starken Schmerzen ebenfalls mit den Worten „stell dich nicht so an“ abgetan. „Das war zum Verzweifeln“, erinnert sich die 25-Jährige.
„Anfangs wollten die Investoren nicht – jetzt wollen sie, aber ich nicht mehr.“
Heute weiß sie: Ihre Schmerzen sind keine normalen Symptome der Menstruation. Sie waren vielmehr Anzeichen einer chronischen Krankheit: Endometriose (siehe Infobox). 190 Millionen Frauen weltweit leiden darunter, allein in Italien sind es vier Millionen, klärt Rössler auf. „Wobei die Dunkelziffer wohl noch um einiges höher sein dürfte, denn es dauert im Schnitt sieben bis zehn Jahre, bis die Krankheit diagnostiziert wird.“
Weil Endometriose im Körper an unterschiedlichen Stellen auftreten kann und sich die Symptome dementsprechend je nach Patientin unterscheiden können, ist eine Diagnose schwierig. Dazu kommt, dass das medizinische Personal die Krankheit oftmals nicht erkennt, wie Betroffene erzählen. Auch bei Franziska Rössler vergingen mehrere Jahre, bis sie wusste, was ihr fehlt. Mittlerweile hat sie zwei OPs hinter sich.
Vom Pharmaunternehmen zum Start-up
Franziska Rössler spricht sehr offen über ihre Krankheit. Man merkt, dass ihr dieses Thema am Herzen liegt und dass sie es gewohnt ist, darüber zu reden. „In der Gesellschaft wird kaum über die Menstruation und über Probleme damit geredet. Das ist ein Tabuthema“, sagt die 25-Jährige. Dabei spüre sie immer wieder: Wenn jemand darüber spricht, dann öffnen sich auch andere Frauen. „Der Bedarf ist auf jeden Fall da, nur wird bisher wenig Konkretes gemacht.“
Diese Feststellung und ihre eigenen Erfahrungen bewegten Rössler im Jahr 2021, kurz nachdem sie Mutter geworden war, ihr eigenes Start-up zu gründen: Mestrualia. Darin sah sie auch die Chance, ihren Familiennamen wieder in den Regalen zahlreicher Apotheken zu sehen: Das Pharmaunternehmen Rössler wurde 1920 gegründet, zuletzt führte es Franziska Rösslers Vater. Die Firma war im Import von Produkten für den Apothekenmarkt tätig und hatte zudem eine eigene Produktlinie. Dann starb 2005 ihr Vater, einige Jahre später verkaufte die Familie das Unternehmen. „Ich wollte das Erbe meines Vaters wieder aufleben lassen“, sagt Rössler.
Arnika, Ingwer, Szechuan-Pfeffer und Kava-Kava
Heute besteht das Kernteam des Start-ups aus Franziska Rössler und einer Physiotherapeutin. Dazu kommen mehrere Ärztinnen und Ärzte, wie der Gynäkologe Martin Steinkasserer, und weitere Fachleute, darunter die Weiblichkeitspädagogin Naomi Kircher. Sie alle seien für das Start-up eine große Unterstützung, unterstreicht Rössler.
Das Unternehmen wandelte sich: Es fokussiert sich heute nicht nur auf den Verkauf von Produkten, sondern engagiert sich auch in der Aufklärung.
Das erste Produkt, das das Start-up auf den Markt brachte, war eine Periodencreme, die den Bauch wärmt und helfen soll, Krämpfe zu lösen. Wie man ein solches Produkt entwickelt, fragen wir Rössler. Eine Rezeptur hatte sie bereits vor Augen, wie sie erzählt – sie hatte zuvor Biochemie in Boulder (Colorado) studiert –, aber eine Person mit Erfahrung in der Entwicklung solcher Produkte fehlte noch. Also sprach sie mit Ärztinnen, Apothekern, Fachleuten. „Ich wurde aber belächelt.“ Über LinkedIn fand sie schließlich eine französische Biochemikerin, die sich in Mailand mit ähnlichen Themen beschäftigte.
Gemeinsam entwickelten sie die Creme. „Diese besteht größtenteils aus natürlichen Zutaten, die Hauptzutaten sind Arnika, Ingwer, Szechuan-Pfeffer und Kava-Kava“, sagt Rössler stolz. Dann folgten zahlreiche klinische Tests. Ab November 2023 war die Creme erhältlich, zunächst ausschließlich in Apotheken. Mittlerweile sind es 85 in Südtirol, dazu weitere in Norditalien, u. a. in Mailand. „Wir bekamen aber immer mehr Anfragen, etwa aus der Basilikata oder Kalabrien. Also stellten wir im Januar innerhalb kürzester Zeit einen Shop ins Internet.“ Verkauft wurde zunächst ein Prototyp, um zu testen, ob die Nachfrage überhaupt vorhanden ist. Es stellte sich heraus: Der Markt ist sehr wohl da. Nur fehlte etwas anderes.
Insta-Videos und Treffen mit dem LH
„An der Aufklärung mangelt es noch. Sowohl für Endometriose als auch insgesamt für Menstruation und das Frau-Sein“, sagt Rössler. Das Unternehmen wandelte sich: Es fokussiert sich heute nicht nur auf den Verkauf (neben der Creme vertreibt Mestrualia auch Produkte von anderen Firmen, zum Beispiel eine Menstruationstasse), sondern engagiert sich auch in der Aufklärung. Rössler lädt regelmäßig Videos auf Instagram hoch, dazu baut sie ein Netzwerk an medizinischem Personal, Fachleuten im Bereich Ernährung, Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie Yogalehrerinnen und -lehrern auf. Diese Partner bezeichnet sie als „Verbündete“.
Sogar beim Südtiroler Landeshauptmann und in der römischen Abgeordnetenkammer sprach sie vor, gemeinsam mit dem Endometriose-Verein „Noi Con Voi“ und dem Unternehmen Hormoon, das in einer ähnlichen Sparte wie Mestrualia tätig ist. Das Ziel der beiden Austausche: das Recht auf den „congedo mestruale“ für Endometriosepatientinnen zu erwirken, also die Möglichkeit, aufgrund von starken Regelschmerzen an zwei Tagen pro Monat der Arbeit fernzubleiben.
Auch einen Ärztekongress zu Endometriose organisiert Rössler mit. Dieser soll im Herbst stattfinden.
„Der Einsatz für die Sache ist mir mittlerweile wichtiger als der Verkauf“
Eine direkte Einnahmequelle stellt dieses Engagement freilich nicht dar. „Der Einsatz für die Sache ist mir mittlerweile wichtiger als der Verkauf“, so Rössler, auch wenn der ganz gut läuft. „Ich werde nicht reich, aber ich kann davon leben.“ Ihr Unternehmen hat sie bisher mit Eigenmitteln finanziert sowie mit Förderungen der Provinz. Investoren hat sie keine. „Anfangs wollten die Investoren nicht – jetzt wollen sie, aber ich nicht mehr“, sagt die 25-Jährige mit einem Schulterzucken.
Wie Rössler so dasitzt, wirkt sie wie ein richtiges Energiebündel. Sie spricht schnell, ihre Gedanken sind oft schneller als ihre Worte. Nachdem sie eine Weile geredet hat – es muss mindestens eine halbe Stunde sein – fällt ihr auf, dass sie ihr „Schokoladegipfele“ und ihren Cappuccino noch gar nicht angerührt hat. „Ich mag kalten Kaffee mittlerweile. Mit einem kleinen Buben daheim gewöhnt man sich daran“, sagt sie lachend. Bei der Betreuung des kleinen Jakob – sie und ihre junge Familie wohnen in Pfalzen – greifen ihr immer wieder die Schwiegereltern unter die Arme. „Anders ginge das alles nicht“, so Franziska Rössler.
Eine Libelle
Für die Arbeit sei sie viel unterwegs, das Auto sei ihr Büro. Bald soll Mestrualia eine eigene Niederlassung erhalten, im NOI Techpark in Bozen. Dazu stehen zwei weitere Meilensteine an: Im Herbst soll eine Plattform mit den Kontaktdaten von Fachleuten zu Endometriose online gehen, gleichzeitig soll der Verkauf von fünf bis acht neuen Produkten starten. Welche das sein werden, will die Start-upperin nicht verraten. „Sie werden aber ein neues Design haben“, freut sie sich.
Das Menstrualia-Logo – eine Libelle verbunden mit den Umrissen einer Frau und einer Gebärmutter – behält sie bei. „Als Kind habe ich Libellen bewundert“, sagt Rössler und deutet auf ihren Unterarm. Dort ist eine Libelle tätowiert, ein Mitbringsel von einer Reise nach Afrika vor einigen Jahren. Es dauere bis zu vier Jahre, bis sich die Larven entwickeln und es aus dem Wasser schaffen. „Die Libelle mit ihren schimmernden Farben ist für mich ein Symbol dafür, dass eine gewisse Zeit vergehen muss, bis etwas wirklich Schönes entstehen kann.“ So, wie es bei den Libellen eine Weile dauert, bis sie lernen zu fliegen, sei das auch bei ihrem Unternehmen. „Bis jetzt war es eher ruhig, nun geht’s aber richtig los.“
Ihren hundertprozentigen Einsatz fürs Unternehmen hat Franziska Rössler mit vielen Start-upperinnen und Start-uppern in Südtirol gemeinsam. Doch während andere auf einen Exit hinarbeiten, kommt eine Veräußerung von Mestrualia für Franziska Rössler nicht infrage. Dazu sagt sie: „Das würde ich niemals tun. Das Start-up ist mein Baby – und ich habe noch vieles vor.“
DIE SERIE Die SWZ stellt in diesen Wochen in der Serie „Start-up Südtirol“ junge Unternehmen und deren Gründer:innen vor, so wie bereits in den vergangenen Jahren. Alle Artikel können hier und in der SWZapp gelesen werden.
Info
Endometriose
Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Laut der Website „Frauenärzte im Netz“ des deutschen Berufsverbandes der Frauenärzte haben die Betroffenen „gutartige, meist schmerzhafte Wucherungen aus gebärmutterschleimhautartigem Gewebe, das außerhalb der Gebärmutterhöhle meist in benachbarten Organen und Geweben wächst.“ Dieses Gewebe kann sich beispielsweise an den Eierstöcken, im Bauch- und Beckenraum, am Darm oder Bauchfell ansiedeln. In einigen Fällen kommt es auch außerhalb des Bauchraumes, z. B. in der Lunge, vor.
So verschieden die Orte sind, an denen sich Endometriose ansiedelt, so unterschiedlich können die Erkrankung und ihre Symptomatik ausgeprägt sein. Ein häufiges Symptom sind sehr starke Menstruationsschmerzen.