Meran – Seit Jahrhunderten wird an der Entschlüsselung des sogenannten Voynich-Manuskripts, das vermutlich um 1500 entstanden ist, gearbeitet. Auch eine Äbtissin der Congregatio Jesu (bekannt als Englische Fräulein) im Zentrum von Meran beschäftigte sich vor vielen Jahren damit – doch so wie viele andere vor und nach ihr ohne Erfolg. Oder vielleicht doch nicht? Liegt der Schlüssel unentdeckt im inzwischen aufgelassenen Kloster?
Diese Geschichte bildet die Basis für den Escape Room in Meran, ein Gemeinschaftsprojekt des Jugenddienstes Meran mit dem Start-up Capacitas. Ein Escape Room ist ein Abenteuerspiel, bei dem eine Gruppe von Menschen in einer vorgegebenen Zeit in einem realen Raum Aufgaben oder Rätsel lösen muss. Der Raum von Capacitas befindet sich in der einstigen, inzwischen entsakralisierten Herz-Jesu-Kirche am Sandplatz, die direkt an das ehemalige Kloster der Englischen Fräulein angebaut ist.
Seit vergangenem Herbst ist der Meraner Escape Room, einer von derzeit vier in Südtirol, nun geöffnet. Das Abenteuerspiel ist allerdings nur eines der Standbeine von Capacitas. Daneben bietet das Start-up mit Spieleentwicklung und Unternehmensberatung mit spielerischem Ansatz auch B2B-Dienstleistungen an. „Wir denken Spiel weiter als üblich. Unsere Leitidee ist: Unsere Ideen schaffen spielerisch/e Erfahrungsräume für Menschen“, erklärt Iwan Hofer, einer der Co-Founder von Capacitas. Und Hannes Waldner, ebenfalls Co-Founder, ergänzt: „Es dreht sich also alles um Game Thinking und Gamification.“ Gamification, so definiert es das Gabler Wirtschaftslexikon, ist die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Anwendern.
„Capacitas“, führt Hofer die Geschäfts- idee weiter aus, „entwickelt spielerisch bedeutsame Erlebnisse, die Kunden und Mitarbeitern einen Mehrwert ermöglichen.“ Mittels Gamification sollen „positive Kundenerfahrungen und eine Mitarbeiterbegeisterung zum Aufbau einer emotionalen Bindung an das Unternehmen geschaffen werden, denn die Erlebnisqualität wird zum entscheidenden Kauf- und Differenzierungsfaktor für Produkte und Dienstleistungen“, so Hofer.
„Beim Spiel denken viele an Kinder- oder Glücksspiel, deshalb wird der Ansatz gerade in der Wirtschaft oft belächelt bzw. nicht angenommen. Doch Gamification“, führt Kathrin Hofer, die dritte Co-Founderin, aus, „geht Dinge aus einer anderen Perspektive an und bietet eine riesige Bandbreite von Anwendungsmöglichkeiten, die aber alle darauf abzielen, das Potenzial von Mitarbeitern, Unternehmen und Produkten zu fördern.“ Etwa bei spielerischen Teamtagen zur Verbesserung der Zusammenarbeit, bei der Gestaltung von Innovationsworkshops oder der Gamification von Produkten hin zu Erlebnissen. Bei all dem werde stets der Mensch in den Mittelpunkt gestellt. „Es ist der Ansatz“, erklärt Waldner, „mit dem auch Spiele entwickelt werden: Es wird vom Nutzer ausgegangen. Gut entwickelten Spielen gelingt es deshalb, die Spieler in einen Flowzustand zu versetzen.“ Solch ein Zustand entstehe auch bei Produkt- oder Prozessentwicklungen, die mit Gamification arbeiten, und habe positive Auswirkungen auf den Prozess.
Doch warum sollten Workshops, die eigentlich Arbeit sind, wie Spiel und Erlebnis wirken? „Weil“, sagt Iwan Hofer, „die Generationen, die jetzt nach und nach in die Arbeitswelt einsteigen, immer erlebnisorientierter werden und stets nach dem Mehrwert fragen. Weil sich die Anforderungen an Arbeit und Produkte verändern.“ Kathrin Hofer fügt an: „Und weil Spiel Emotionen und Motivation weckt, und diese spielen in Unternehmen, insbesondere bei Innovationsprozessen, eine immer wichtigere Rolle.“
Ausgegangen ist die Gründung von der Idee Waldners, einen Escape Room einzurichten. Seine Lebenspartnerin Kathrin Hofer und deren Bruder Iwan holte er mit ins Boot. Gemeinsam mit einem Coach wurde ein Gesamtkonzept erarbeitet, das schließlich weit über die Ursprungsidee hinausging. Gegründet wurde Capacitas dann Anfang 2018.
Waldner ist Jahrgang 1985 und stammt aus Meran. Er hat Informatik studiert und Ausbildungen zum Wildnis-, Spiel- und Medienpädagogen absolviert sowie zwölf Jahre Erfahrung in der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung gesammelt. Derzeit absolviert er einen Masterstudiengang in Game Studies, Spielewissenschaften, an der Donau-Universität Krems. Kathrin und Iwan Hofer, Jahrgang 1980 bzw. 1977, stammen aus St. Leonhard im Passeiertal. Kathrin Hofer ist Sozial- und Gestaltpädagogin sowie Naturcoach und war lange in der Jugendarbeit sowie in der Personalentwicklung beim Landesrettungsverein Weißes Kreuz tätig. Iwan Hofer hat u.a. eine Ausbildung zur Fachkraft für Unternehmensführung, einen Marketinglehrgang am MCI sowie eine Ausbildung zum geistlichen Begleiter abgeschlossen und war als Projekt- und Eventmanager tätig. Die letzten fünf Jahre vor der Gründung der eigenen Firma war er als Sozialarbeiter an Schulen tätig.
Inzwischen sind alle drei hauptberuflich für Capacitas im Einsatz. „Ein fixes, regelmäßiges Gehalt können wir uns noch nicht ausbezahlen“, sagt Waldner. Zwar bilde der Betrieb des Escape Rooms eine Grundlage, dazu sorge die Entwicklung von Spielen für Südtiroler Unternehmen und Institutionen für Einnahmen. „Woran wir noch arbeiten müssen, ist die Beratungstätigkeit“, sagt Iwan Hofer.
Und wo sehen sich die Gründer mit ihrem Unternehmen in fünf Jahren? „Wir möchten“, sind sie sich einig, „sagen können: Wir haben die Marktreife erreicht und uns in Südtirol und im nahen Ausland etabliert.“
Als 100-prozentige Start-upper sehen sich die Gründer übrigens nicht. Denn einerseits bieten sie – für ein Start-up eher ungewöhnlich – eine reine Dienstleistung, andererseits fehlt die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells. „Doch Haltung und Herangehensweise sind typisch Start-up, ebenso dass wir ein Angebot haben, das nicht jeder gleich versteht, dessen Mehrwert jedoch ersichtlich wird, sobald das Konzept erklärt wird“, sagt Iwan Hofer und ergänzt schmunzelnd: „Wobei uns andere Start-upper durchaus verstehen.“